Bei der Vorbereitung auf diese Reise hat mich die Topografie von La
Gomera irgendwie an die Isla Sorna aus Jurassic Park erinnert.
Na ja, Raptoren, Tyrannosaurier oder ähnlich gefährliche Urviecher
wird es auf Gomera, der "Isla Mágica", wohl nicht
geben, dafür frühgeschichtlichen Urwald, dessen grünes
Dickicht die Feuchtigkeit aus dem Nebel aufsaugt.
Und wenn doch eins von den
Biestern überlebt hat ??? Aber gemach, schau`n mer mal, wie`s wirklich aussieht auf der kleinen
Kanareninsel.
Hierher
gelangen Touristen sehr umständlich. Von Teneriffa oder Gran Canaria
aus nur per Schiff oder mit kleinen Flugzeugen. Das hat La Gomera mit
Ausnahme des Valle Gran Rey wohl vor dem Massentourismus bewahrt. Die
palmenreichste Insel der
Kanaren
liegt 360 km vor der afrikanischen Küste und ist fast kreisrund
- Durchmesser ca. 25 km. Etwa 16.000 Einwohner bevölkern das Eiland.
Die höchste Erhebung ist mit 1.486 m der Garajonay, umgeben von
einzig- artigem dichten Lorbeerwald. Gomera ist ein Wanderparadies,
die Inselstrände (Kiesel u. Fels) kann man dagegen völlig
vergessen.
Sa 30.11.2002: Morgens um 6:05 von Düsseldorf nach Teneriffa-Süd abgeflogen, warte ich 5 Stunden lang in Los Cristianos auf die Fähre nach Gomera. Mein Gepäck paßt wg. geringem Übermaß nicht in die Kofferwagen, weshalb ich die ganze Zeit auf der Cafeteria- Terrasse des Hafengebäudes verbringen muss. Schließlich kann man sich mitsamt Koffer schlecht im Ort bewegen. Aber das Warten ist in netter Gesellschaft bei sonnigen 25°C halb so schlimm. Viele Rucksacktouristen in meinem Alter lassen sich mit der Zeit an den Nachbartischen nieder. Allerdings mit Equipment vom Feinsten. Die 68er lassen mal wieder grüssen - heute hier als betuchte Individualtouristen an Bord vertreten. Aber was lästere ich eigentlich?
Die Express-Fähre der
Fred Olsen S.A. ist ein riesiger Katamaran mit Panoramadecks wie im
Kino. Das Schiff startet endlich um 15:00 (auf den Kanaren geht die
Uhr eine Stunde nach) und braucht bis San Sebastián, der Inselhauptstadt,
ca 1/2 Std. Fahrtzeit. Der Kat fliegt mehr, als dass er fährt -
in den gemütlichen großen Sesseln mit Blick durch die großen
Scheiben auf das heranfliegende Gomera ein Genuß. Am Hafen von
San Sebastian wartet ein Mitarbeiter der Verleihfirma mit dem vorgebuchten
Mietwagen, einem Citroen Saxo, den ich mit fast leergefahrenem Tank
übernehme. Wird schon die 35 km bis Playa de Santiago reichen!
Auf der bergigen Strecke steht die Tanknadel dann aber bergauf völlig
auf null, bergab ein wenig darüber. Ich schwitze Blut und Wasser,
bin es aber selbst Schuld, hätte in San Sebastian voll tanken sollen.
Ich erreiche mein Urlaubsziel mit letzter Not, in meinen Armen der Citroen
ist tot... Ne, ne, ganz so schlimm ist es nicht. Was ich aber nicht
bedenke vor lauter Freude über das Erreichen meines Reiseziels:
morgen ist Sonntag, und da haben fast alle Tankstellen geschlossen,
auch die im Ort Santiago. Genieße ich eben das Hotel. Das
soll
zu den besten Adressen der Kanaren gehören. Mir fehlt zwar der
Vergleich, aber über das vom kanarischen Künstler und Philosophen
Manrique entworfene "Jardin Tecina" kann man wirklich ins Schwärmen
kommen. Das Vier-Sterne-Kunstwerk des Olsen- Clans liegt wie ein weißes
kanarisches Dorf mit hölzernen Balkonen eingebettet in einen subtropischen
Garten, hoch oben auf einer Klippe über dem Meer. Da ich weder
zur Gruppe der Sport- Fanatiker noch der Wellness-Jünger oder Hardcore-
Wanderer gehöre, halte ich es mit Churchill und freue mich auf
die Entdeckung der einfachen aber schmackhaften regionalen Küche
in einem der 4 Restaurants. Um ehrlich zu sein: das Jardin Tecina ist
eigentlich ein Touristen- Ghetto, das dazu verführt, nicht aus
ihm auszubrechen. Aber nicht mit mir!
Leben in einer Hotelanlage
- und sei sie noch so schön - halte ich am Stück max. 2 Tage
aus. Dann muss ich raus und Land und Leute entdecken. Ich lese, dass Gomera wie alle kanarischen Inseln neben den Azoren,
Madeira und den Kapverden zu den "makaronesischen Inseln"
gehört. Aha! Diesen geografischen Namen habe ich bisher noch
nie gehört.
Am
Montag wird der Wagen vollgetankt und los gehts zur ersten Erkundungsfahrt
über die Insel. Ich fahre hinauf in die Bergwelt (wohin auch sonst,
es gibt keine
Straße am Meer entlang), durch die Barrancos, tiefe Schluchten,
die vom Inselzentrum zur Küste verlaufen. Schon nach wenigen Kilometern
ändert sich das Wetter und die Vegetation. An der Südküste
eben noch 25° C und Sonnenschein, wird es hier oben neblig- feucht,
windig und merkbar kühl. Die Natur wird von den Passatwinden und
-nebeln geprägt. Die kahlen Bergrücken wechseln gegen eine
mit Baumheide bewachsene felsige Landschaft. Vereinzelt tauchen Palmen
auf.
Der im Reiseführer angepriesene
Abstecher nach Chipude (dort bleiben mir besonders die an der Straße
abgestellten Schrottwagen in Erinnerung, der Tafelberg Fortaleza war
im Nebel nicht zu entdecken) und nach El Cercado (zwei ärmliche Töpferläden) lohnt mit dem
Auto nicht. Eins vorweg: Wer auf Gomera auch nur eine Spur von Kultur
sucht, sollte wegbleiben. Er wird nichts finden, keine Baudenkmäler,
keine historisch besonders interessanten Stätten. Diese Insel hat
nichts zu bieten außer Natur! Aber davon sehr viel.
Ich fahre erstmal ins Valle Gran Rey, das "Tal des Großen
Fürsten", dem Touristenzentrum der Insel. Das muss man
sich aber keineswegs wie El Arenal vorstellen, sondern eher wie Wernigerode
im Atlantik. Es ist ein Stütz- und Ausgangspunkt für Wanderer
jeden Alters. Das Straßenbild wird jetzt Anfang Dezember geprägt
von Daypack- bewaffneten Touristen, die hier Apartments (zum Großteil
private Untervermietung; Hotelhochhäuser gibts auch hier nicht)
bezogen haben und sich das wirklich schöne Tal erwandern.
Zurück im Hotel lerne ich meine Bungalow- Nachbarin Kristina aus Oslo kennen. Sie erzählt mir, sie sei Kinderbuchautorin und habe schon 10 selbst illustrierte Bücher veröffentlicht, ihr Vater sei einer der reichsten Männer Norwegens. Ja, ja, und ich bin der Kaiser von China... Dann klagt sie mir ihr Leid, dass ihre Tochter zu ihrem Ex- Mann gezogen sei und wie sehr sie sie vermisse. Das verbindet uns. Auch meine Tochter ist erst vor kurzem zuhause ausgezogen, allerdings zu ihrem Freund. Ich vermisse sie auch sehr. Kristina ist ziemlich overdrived, exaltiert aber eine erfrischend spontane Gesprächspartnerin. Wir verabreden uns am Abend zu einem typisch kanarischen Essen im Club Laurel, einem Restaurant des Hotels unten am Meer, das man mit einem Fahrstuhl erreicht.
Als
Vorspeise gibt es geröstetes Brot mit Almogrote, einer Paste
aus Ziegenhartkäse u. anderen Zutaten, sowie einige Tapas.
Dann
wählen wir frischen Fisch, u.a. Vieja, Papageienfisch, den
beliebten Speisefisch der Kanaren, und Papas arrugadas ("Runzelkartoffeln").
Das sind ungeschälte Kartoffeln mit Salzkruste. Hierzu werden die
Kartoffeln solange in Meerwasser gekocht, bis sich die Salzkristalle
an der Schale ablagern. Zu Fisch und Runzelkartoffeln wird immer die
berühmte kanarische Mojo (Sauce) serviert. Die Mojo gibt es in
zwei Varianten. Mojo rojo, ist eine rote, scharfe Sauce, für
die u.a. Chili und Paprika verwendet wird. Die andere, Mojo verde,
ist grün und besteht aus vielen landestypischen Kräutern.
Beide sind sehr würzig. Ein
unschlagbar gutes Gericht! Als Nachtisch gibt es die Spezialität Bienmesabe (="Schmeckt mir gut"), eine (viel zu) süße
Mandelcreme.
Dienstag. Heute steht der Nationalpark Garajonay auf meinem Programm. Und der hat seine ganz eigene Geschichte, zumindest der Name des Parks:
Auf
der Insel Gomera wurde ein Fest gefeiert, an dem Boten aller Inseln
teilnahmen. Der Prinz von Teneriffa, der Jonay hieß, verliebte
sich in Gara, die Prinzessin von Gomera. Die Familien der beiden waren
strikt gegen diese Beziehung. Jonay, in Liebe zu Gara entbrannt, schwamm
täglich mit einem aus aufgeblasenen Ziegenhäuten gebauten
Floß die 35 km von Teneriffa nach Gomera. Als man versuchte, das
Paar gewaltsam zu trennen, flohen sie ins Hochland. Sie sahen keinen
Ausweg mehr und wählten den gemeinsamen Freitod, erstachen sich
mit aus Lorbeerholz geschnitzten Lanzen. In enger Umarmung wurden sie
an dem Berg gefunden, der heute ihren Namen trägt.
Ich liebe diese
Geschichten.... Kristina auch. Sie begleitet mich in den Garajonay-
Park.
Der
Nationalpark nimmt etwa 1/10 der Inselfläche ein und bedeckt vor
allem die Hochebene. Er ist eine der wichtigsten Weltreserven der "laurisilva",
ein aus Farnen, lorbeerartigen Bäumen und Heidekräuter bestehender
Wald - wohl das letzte Vorkommen auf unserem Planeten und daher mit
dem UNESCO- Status "Weltnaturerbe" versehen. Der Nebel, auf
der Hochebene herrscht eine Luftfeuchtigkeit von bis zu 90 %, hinterlässt
Wassertröpfchen auf den Blättern der Bäume. Die Blätter
"kämmen" geradezu die
Feuchtigkeit
aus den Wolken und das Wasser fällt bis zum Boden. Ohne diesen
sogenannten "horizontalen Regen" wäre La Gomera eine
Wüsteninsel. Hier sollen zahlreiche seltene Pflanzen wachsen, die
Tierwelt ist hingegen nicht so üppig vertreten. "Kanarienvögel"
hab ich weder gesehen noch gehört...
Den Garajonay kann man sich nur auf einer Wanderung erschliessen. Also gut. Schon nach 20 min stellen wir fest, dass wir die Kühle und Feuchtigkeit unterschätzt haben und nicht richtig für das Wetter angezogen sind. Man läuft fast ständig durch feuchte Nebelabschnitte. Deren faszinierendes Lichtspiel hat zu der Bezeichnung "Die magische Insel" für La Gomera geführt. Zurück zur Straße. Wir beschliessen, zum Besucherzentrum Centro de Visitantes "Juego de Bolas" zu fahren. Es liegt bei Las Rosas, zwischen Agulo und Vallehermoso an der Nordküste und ist mangels guter Ausschilderung schwierig zu finden. Hier kann sich der interessierte Besucher über das Wichtigste im Garajonay informieren. Es gibt Gärten mit der Pflanzenwelt des Parks, Infopaneelen, einen Filmvorführraum und ein kleines volkskundliches Museum.
Kristina ist frustriert, sagt, sie kenne keine Insel, die ein so erbärmliches Klima für Urlauber habe. Da übertreibt sie etwas. Der klimatische Unterschied zwischen dem warmen, sonnigen Playa de Santiago und der feucht- kühlen Inselmitte ist aber wirklich beachtlich.
Wir
fliehen mit dem Wagen nach San Sebastian. Hier scheint wieder
die Sonne. Am Hafen lassen
wir
uns in einer Bar bei Tapas nieder. Ich bestelle eine Portion frittierte
Breitlinge, ca. 2 cm kleine Fischchen. Sie sind nur mit Öl und
Essig angemacht und schmecken hervorragend zum Bier. Kristina ißt
Maccoronis. Dann erkunden wir den Ort, der sich der wichtigen historischen
Begebenheit rühmt, dass Christoph Columbus - bzw. spanisch Cristobal
Colon - hier vor der Überquerung des Atlantik und der Entdeckung
Amerikas letztmalig frisches Wasser für seine Mannschaft gebunkert
hat. Die Stelle, wo das passiert sein soll, wird wie eine Reliquie verehrt.
Verrückt, oder? Ansonsten gibt es im Hauptort der Insel 2 historisch
bedeutsame Gebäude, die Torre del Conde, ein Turm der ehemaligen
Stadtbefestigung, und die Iglesia Nuestra Senora de la Asunción.
Das wars. Gomera ist halt eine arme Insel. Der Nachmittag hier hat uns
sehr gefallen.
Heute
hat man von der Bergstrasse über San Sebastian freie Sicht auf
den höchsten Berg der Kanaren (und ganz Spaniens), den über
3.700 m hohen Teide auf Teneriffa. Ein beeindruckender Ausblick!
Der Pico de Teide ist ein Vulkan, der zuletzt vor 200 Jahren ausgebrochen
ist. In der Hafenstadt selbst ist der Berg nicht zu sehen, er wird von
einer Dunstschicht verborgen.
Es gibt übrigens eine
sehr alte
Besonderheit der Kommunikation auf Gomera:
El Silbo, die Pfeifsprache. El Silbo ist kein gepfiffener Code,
sondern eine Sprachnachahmung mit eigenen Lauten. Diese Art der Verständigung
wird auch heute noch von den Bauern und Hirten der höher gelegenen
Regionen genutzt um sich über Schluchten und Täler hinweg
zu verständigen. Damit das Aussterben der Pfeifsprache verhindert
wird, hat man seit kurzem deren Erlernen zum Pflichtfach in allen Grundschulen
gemacht. Das ist fast so, als würde man "Jodeln" in den
bayerischen Alpen zum Pflichtfach machen. Ich habe in den Tagen auf
Gomera allerdings weder einen Pfeiffer gesehen noch gehört, weshalb
ich (ersatzweise) das Foto im Garajonay- Besucherzentrum gemacht habe.
Kristina fliegt am nächsten Morgen zurück nach Oslo, ich breche auf zur Nordküste Gomeras. Noch einmal geht es auf der Bergstrasse mitten durch den Garajonay. Der Anblick wie gewohnt: Nebel, Dunst, Feuchtigkeit...
Ich
bin auf dem Weg nach Hermigua, einer Streusiedlung, die sich
über 6 km durch eine Schlucht bis zum Meer zieht. Das Wasser aus
der Hochebene und ein ausgeglichenes Klima haben diese Gegend zum Hauptanbaugebiet
für Bananen, Papayas, Mangos, Zitrusfrüchte, Wein usw. gemacht.
Auf den Terrassen wurden Plantagen angelegt. In den letzten 100 Jahren
gab es große soziale Unterschiede und daraus resultierende Konflikte
in der Bevölkerung. Heute noch ist der Unterschied zwischen den
ärmlichen Häuser der Arbeiter und Bauern und den Villen der
Großgrundbesitzer offenkundig.
Kurz hinter Hermigua treffe ich auf das schönste Dorf der Insel, Agulo. Eingerahmt von Felsen liegt es mit seinen weißen, eng zusammengebauten Häusern auf einem Vorsprung 200 m über dem Meer - ein überwältigendes Panorama! Ein Rundgang durch die schmalen Straßen und Gassen läßt mich erahnen, dass es hier schon immer so ausgesehen hat. In der Bar Pepe bestelle ich Garbanzas, Kichererbseneintopf, eine wohlschmeckende Spezialität.
Dann geht es weiter, landeinwärts nach Vallehermoso. Wie Hermigua ist auch dieser Ort ein bevorzugtes Anbaugebiet für Obst und Gemüse aller Art. Vallehermoso ist aber vor allem bekannt als Zentrum für Miel de Palma, "Palmenhonig" oder besser Palmensirup. Miel de Palma schmeckt ähnlich wie Ahornsirup und wird auf der Insel gern zur Verfeinerung von Gebäck und Speisen genommen. Auch als Souvenir ist der Palmensirup sehr beliebt. Natürlich kaufe auch ich davon für zuhause ein. Eine andere Spezialität der Kanaren ist Gofio, ein Mehl aus geröstetem Mais und Gerste. Das Zeug ist aber eine kulinarische Verirrung erster Klasse und erzeugt bei Nicht- Gomeros todsicher Übelkeitsanfälle - wie bei mir! Die Einheimischen verwenden es zu allem möglichen, sie rühren Gofio in ihren morgendlichen Milchkaffee, servieren es zu Gemüse und Suppen und bereiten Desserts daraus. Aber wie gesagt: Vorsicht!
Sa 07.12.2002: 1 Woche La Gomera ist um, die Fähre geht um 9:00 ab San Sebastian, der Rückflug um 12:55 von Teneriffa. Mein Bruder holt mich abends in Düsseldorf ab. Temperatur dort: -2°, also mind. 25° kälter als auf den Kanaren, brrrrrr....
La Gomera ist in erster Linie ein Urlaubsziel für Liebhaber purer Natur und für Wanderer, keineswegs aber "Sodom und Gomera" wie Else Kling in der Lindenstrasse schimpfte. Zu meinem Lieblingsziel wird die Insel eher nicht, da bietet mir z.B. Madeira wesentlich mehr. Vielleicht war ich auch nur zur falschen Zeit an diesem Ort...
Ach so, Saurier hat es auf den Kanaren nie gegeben. Die Inseln sind viel zu jung. Bei ihrer Entstehung waren die Biester schon "dead and gone".