Im ehemaligen deutschen Ostpreußen und Masuren gibt es keine Gutshöfe und Ländereien meiner Familie. Meine Ahnen stammen aus der Bremer Gegend.

Aber einige Nachbarn aus der Zeit meiner Kindheit und Jugend zählten zu den Vertriebenen der ostdeutschen Regionen. Sie litten an den Folgen der Vertreibung und schwärmten von den verlorenen Höfen und der Schönheit ihrer damaligen Heimat. Mir hat sich dieser Schmerz damals nicht erschlossen, denn die Vertriebenen konnten im Westen mit staatlicher Hilfe neues Grundeigentum erwerben und Häuser bauen, was einfachen Arbeitern und Angestellten bei uns im Ruhrgebiet meist verwehrt blieb. Aber ich habe den Schmerz der Vertriebenen auch aus den Erzählungen von einigen meiner Lehrer herausgehört. Besonders erinnere ich mich an einen alten Mathe- Lehrer, dem ich mich sehr verbunden fühlte obwohl ich kein Mathe- Ass war. Er kam aus der Stadt Stolp in der Provinz Pommern und war ein herzensguter Mensch - zu uns Schülern hart, aber gerecht.

Meine Generation hat die Vertreibung aus den Ostgebieten als natürliche Strafe für den Genozid der Nazis an den Juden und die Greueltaten der Hitlerarmee im II. Weltkrieg betrachtet, dabei aber das Einzelschicksal der vertriebenen Menschen verkannt. Doch wir Jugendlichen hatten damals in den späten 60ern und den 70ern andere Idole und Lebensideale. Wir fühlten uns als Europäer, als Weltenbürger. Die Welt stand uns offen - Freiheit in jeder Beziehung! Nicht Vergangenheitsbewätigung, sondern Zukunftsorientierung war unser Motto. Es war wohl die vermeintliche "Gnade der späten Geburt", die uns auf Distanz gehen ließ zu den Verbrechen unserer Väter und Großväter. Was bedeutete Heimat für uns? Der Ort, an dem wir uns gerade länger aufhielten?

Heute ist das anders. Mit zunehmendem Alter hat meine rebellische Generation sich dem Heimatbegriff genähert. Und heute kann ich auch den Schmerz meiner damaligen Nachbarn und Lehrer aus den alten deutschen Ostgebieten verstehen. Jetzt möchte ich diese Region selbst kennenlernen - zunächst einmal im Rahmen einer Gruppenreise. Nachdem mich im Vorjahr bereits die baltischen Staaten begeistert haben, reise ich Ende August 2016 mit großen Erwartungen an das alte Ostpreußen und Masuren.

Nach den Kreuzzügen wurde Ostpreußen den arbeitslosen Rittern des Deutschen Ordens (den gibt es heute noch) als Siedlungsgebiet überlassen. Es war die Heimat des baltischen Stammes der Pruzzen oder Prußen, auf den der geografische Name Preußen zurückgeht. Dort entwickelte sich ein Ordensstaat, der in ständigen Grenzstreitigkeiten mit seinen Nachbarn stand. Die Deutschritter verstanden unter ora et labora wohl am ehesten "beten und kämpfen". Der Orden betrieb seit 1226 im späteren Land Preußen mit dem Schwert in der Hand die "Missionierung" der Pruzzen und Litauer.

Ostpreußen ist heute aufgeteilt zwischen Polen und Russland. Der russische Teil mit der damaligen Hauptstadt Kaliningrad (dt. Königsberg) symbolisiert sowohl die Problematik der vertriebenen deutschen Bewohner, denen selbst der Besuch ihrer alten Heimat über Jahrzehnte verwehrt blieb, als auch das Problem der Integration in die erweiterte EU, in der sich die Oblast Kaliningrad heute als russische Exklave wiederfindet.

Auf dieser Reise werden wir uns auf die Spuren der ostdeutschen Geschichte begeben und gleichzeitig die Schönheit der Landschaft genießen.

Der Veranstalter Ikarus Tours hat auf seiner Übersichtskarte die alten deutschen Namen verwendet, unter denen man damals die Orte kannte. Damit fällt uns die Orientierung leichter. Ich bleibe in meinem Reisebericht ebenfalls bei den historischen Namen.

30.08.2016: DI Anreise - Danzig

Mittags fliegen wir von Frankfurt nach Gdansk (dt. Danzig), wo wir am Flughafen auf unsere Reiseleiterin Irina treffen. Irina ist Russin, wohnt in Kaliningrad und fängt die Gruppe gleich mit ihrem Charme ein. Unser litauischer Busfahrer Arbedas bringt uns ins zentral in der Altstadt gelegene Hotel Mercure Stare Miasto. Arbedas spricht mehrere Sprachen, die er sich autodidaktisch beigebracht hat, u.a. Deutsch, und er hat eine differenzierte Sicht auf aktuelle politische Verhältnisse. Arbedas beeindruckt mich im Laufe der Reise sehr.

Wir haben die Gelegenheit für einen ersten individuellen Bummel durch die herrliche Altstadt und Rechtstadt von Danzig. Beide alten Stadtteile sind vom Hotel aus gut fußläufig zu erreichen und auch die Orientierung fällt nicht schwer. Gdańsk ist Hauptstadt der Woiwodschaft Pommern. Eine Woiwodschaft in Polen entspricht etwa einem Bundesland in Deutschland.

Die alte Hansestadt Danzig war von einer Stadtmauer umgeben, die von dreizehn befestigten Stadttoren unterbrochen wurde. Bis heute geben die Tore einen Eindruck von der im Mittelalter einst reichsten Stadt der Welt. Die Tore wurden nach dem Krieg rekonstruiert und wieder aufgebaut. Besonders schön sind das Hohe Tor und das Goldene Tor am Königsweg sowie das Grüne Tor am Ende der Langen Gasse.

Das Krantor als weiteres Stadttor ist das Wahrzeichen der Stadt Danzig. Errichtet wurde es aus Backstein und Holz mit einer doppelten Kranfunktion. Es liegt ebenso wie das Grüne Tor direkt an der Mottlau. Mit seinem von großen Treträdern betätigten Hebewerk wurden die Schiffe entladen. Die Treträder funktionieren wie ein Laufrad im Hamsterkäfig, hier aber mit Menschenkraft statt Hamsterkraft.

Die Straßenzüge der Rechtstadt mit ihren prunkvollen Giebelhäusern wurden kunstvoll restauriert. Teilweise sind es nur die Fassaden in ihrem historischen Aussehen, während sich dahinter modernisierte Wohnungen, Büros und Praxen mit Lichthöfen befinden. Die Polen sind wirklich gute Baumeister!

Überall wird Bernstein- Schmuck angeboten, in draußen aufgestellten Vitrinen und natürlich in den zahlreichen Juweliergeschäften. Das "Gold der Ostsee" wird uns in den folgenden Tagen noch oft begegnen. Es herrscht ein reges Treiben hier im Zentrum und es sind erkennbar viele Touristen in der Stadt.


31.08.2016: MI Marienburg - Frauenburg

Unsere Ostpreußentour beginnt mit dem ersten Ziel Malbork (dt. Marienburg) und einem Besuch der gleichnamigen Festung Marienburg. Einst Sitz der Hochmeister des Deutschen Ritterordens ist die Backsteinburg an der Nogat ein Meisterwerk spätgotischer Baukunst, die aufgrund ihres historischen Wertes zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Nach ihrer Zerstörung im II. Weltkrieg wurde die Burg über Jahrzehnte wieder aufgebaut.

Wir erleben eine ausführliche geführte Besichtigung der Burganlage, die sich im Laufe der Jahrhunderte von der Trutzburg der Deutschritter zum Stützpunkt polnischer Könige bis hin zur Kaserne unter preußischer Herrschaft entwickelt hat.

Eine Marienburger Deutschlehrerin führt uns durch die Burg. Die imposante Anlage besteht aus Hochschloß, Mittelschloß und Vorburg. Der Burgkomplex gilt mit 210.000 m² Gesamtfläche und einem Gesamtvolumen aller Gebäude von über 250.000 m³ als das größte jemals von Menschen errichtete Ziegelbauwerk der Welt. Die Marienburg wurde etappenweise ab dem 13. Jh. gebaut. Die bekanntesten Hochmeister des Deutschen Ordens auf Marienburg waren Salza, Feuchtwangen, Kniprode und Albrecht, deren Statuen im Hof des Mittelschlosses zu sehen sind.

In der Schlacht bei Tannenberg 1410 wurde das Deutschordensheer vernichtend durch die Polen und Litauer geschlagen. Damit begann der Niedergang der Ordensherrschaft.

Man sagt, für eine wirklich eingehende Besichtigung der Festung benötige man einen vollen Tag. Soviel Zeit haben wir aber nicht. Wir absolvieren die Besichtigung in knapp 2 Stunden.

Weiter geht es nach Frombork (dt. Frauenburg), wo wir den Dom besuchen, in dem Nikolaus Kopernikus als Domherr in der ersten Hälfte des 16. Jh. wirkte und mit seinen Thesen zur Astronomie das mittelalterliche Weltbild revolutionierte. Mit der Veröffentlichung wartete Kopernikus bis kurz vor seinem Lebensende - nicht zuletzt aus Furcht vor dem Vatikan, für den die Erde der Mittelpunkt des Universums war. Der Frauenburger Gelehrte bewies mit dem heliozentrischen Weltbild das Gegenteil.

Ein kleiner Spaziergang durch den Yachthafen am Frischen Haff beschließt unseren Aufenthalt in Frauenburg. Die Frische Nehrung (poln. Mierzeja Wislana) trennt das Frische Haff westlich von Königsberg von der Ostsee. Zehntausende deutsche Flüchtlingen mussten im Winter 1944/45 über das zugefrorene Frische Haff fliehen. Viele Menschen erfroren oder starben durch sowjetische Luftangriffe, welche sowohl aus Bombardierungen der Eisdecke als auch aus Maschinengewehrbeschuss bestanden.

Wir fahren nach Kadyny (dt. Cadinen) und beziehen dort ein besonderes Hotel, das Srebrny Dzwon. Es ist ein 300 Jahre altes ehemaliges deutsches Gutshaus, das bis heute seinen Charme erhalten hat und auf neuzeitlichen Komfort wie Aufzüge verzichtet. Da muss man das mitgeführte Gepäck schon mal selbst in den 1. oder 2. Stock hochwuchten. Wie gut, dass die Fluglinien das Koffergewicht auf 23 kg limitiert haben.

Als Begrüßungsdrink schenkt uns Irina vor dem Hotel "15 Tropfen eines Gesundheitstrunkes" ein, nein nicht Miraculix`Zaubertrank, sondern russischen Vodka. Und wirklich, keiner von uns wird auf der Rundreise krank, der Gesundheitstrunk hilft!


01.09.2016: DO  Kadinen - Bernsteinküste

Heute morgen passieren wir die Grenze zum Kaliningrader Gebiet. Die Erledigung der Visaformalitäten dauert ca 80 min. - eine absolute Rekordzeit auf russischer Seite, sagt Irina. Das habe auch schon mehr als 3 Stunden gebraucht. Jetzt auf russischem Gebiet fahren wir zunächst nach Baltijsk (dt. Pillau), Garnisionsstadt und Stützpunkt der russischen Ostseeflotte, weshalb wir für die Stadtbesichtigung eine Sondergenehmigung benötigen.

Von hier muss auch der Witz stammen, bei dem ein Matrose im Freudenhaus darauf angesprochen wird, was denn die Tätowierung "Rumbalotte" auf seinem wertvollsten Körperteil bedeute. Darauf antwortete dieser, bei ausreichend guter Behandlung wäre der eigentliche Wortlaut zu erkennen: "Ruhm und Ehre der Baltischen Flotte!"

In Pillau, jahrelang einer der geheimsten Orte Europas, gibt es für uns nicht viel zu sehen außer Kirche, Amtsgericht, Schule und Leuchtturm. Angesprochen auf die wirtschaftliche Entwicklung der Oblast Kaliningrad antwortet Irina: "Wir waren vor einem Jahr schon eine Stunde weiter..." Das hänge mit den aktuellen Sanktionen der EU gegenüber Russland zusammen. Aber auch mit einer Eigenart der Russen, die sie von den Deutschen unterscheide, sagt Irina "Der Deutsche: gedacht - gedacht - gemacht, der Russe: gemacht - gemacht - und später dann gedacht, was hab ich gemacht". Köstlich, ihre Selbstironie.

Wir fahren raus auf die Nordermole, an deren Ende das riesige Reiterdenkmal der Zarin Elisabeth aus dem Jahre 2003 steht. Von dem begehbaren Podest aus hat man einen guten Ausblick über den Ostseestrand.

In Pillau begann die umfangreichste Rettungsaktion von Menschen über See aller Zeiten. Im Januar 1945 bekam die Marine den Auftrag Soldaten, Frauen und Kinder zu evakuieren. Die Sowjets bombadierten die Fliehenden und nahmen die Schiffe mit U-Booten unter Feuer. Auch die "Wilhelm Gustloff" legte hier ab und ging schwer getroffen mit tausenden von Flüchtlingen in der eisigen Ostsee unter.

Am Nachmittag geht es weiter nach Jantarny (dt. Palmnicken), bekannt als der einzige Ort auf der Erde, an dem Bernstein im Tagebau gewonnen wird. 1 Gramm Bernstein wird z.Zt. mit einem Marktpreis von 10 € gehandelt. Wir besichtigen eine kleine private Bernsteinmanufaktur. An der Aussichtsplattform des Tagebaus haben sich auch gleich einige Bernsteinhändler mit ihren Verkaufsständen postiert. Sie bieten Bernsteinschmuck in allen Variationen an, aber eher von durchschnittlicher handwerklicher Qualität.

Palmnicken war Ende des Krieges Ort eines der großen Verbrechen von SS-Truppen. Ca. 5.000 jüdische Frauen wurden auf einem Todesmarsch im eisigen letzten Kriegswinter von Königsberg hierher getrieben. Die Überlebenden sollten zunächst lebendig in einem Bernsteinbergwerk eingemauert werden. Das wurde durch das Eingreifen des leitenden Direktors zwar verhindert, nicht aber die darauf folgende bestialische Ermordung durch Massenerschießungen am Ostseestrand.

Für uns geht es weiter in die Stadt Kaliningrad, wo wir im Hotel Ibis Kaliningrad Center einchecken. Es gibt ein kaltes Dinner, das eigentlich heiß sein sollte. Wir sind not amused und Irina ist sehr verärgert, weil sie das vor kurzem mit einer anderen Gruppe schon einmal erlebt und offiziell bemängelt hat. Am nächsten Tag will sie mit dem Hotelmanager "Kalaschnikow machen", wir sie sich ausdrückt. Und Irina ist nicht irgendeine Reiseleiterin, sie gehört zu den Premium- Guides, die auch hochrangige Delegationen aus dem Ausland führen.

Irina ist zudem ein Sprachgenie. Sie radebrecht Hochdeutsch und ostpreußischen Dialekt vermischt mit einigen russischen Wörtern, eine herrliche Mischung, die uns immer wieder zum Lachen bringt. Frauen und Mädchen bezeichnet sie als "Marjellchen" und Männer als "Lorbasse", beides abgeleitete Worte aus der alten Prußen- oder auch Pruzzensprache. "Marjellchen" kommt z.B. von dem alten Prußenwort "Mergell" für Mädchen. Ob der Name unserer Bundeskanzlerin auch zu dieser Sprachfamilie gehört, weiß Irina nicht - vielleicht eine diplomatische Antwort. Wußte Helmut Kohl mehr?

Im ostpreussischen Dialekt ist die auf "chen" endende Verniedlichungsform jedenfalls sehr gebräuchlich gewesen. So sagt Irina auf die Frage nach der Entfernung zum nächsten Ziel gern, es seien nur ein paar "Kilometerchen". Und die russische Währung nennt sie "Rubelchen". Und jewess doch rollt der Ostpreuße das "Rrrrr" !


02.09.2016: FR Tilsit - Insterburg

Unsere Fahrt führt uns heute über die einstige Reichsstraße 126. In Mordowskoe (dt. Legitten) sehen wir die Ruine der dortigen Kirche, in Polessk (dt. Labiau) die Reste der Ordensburg und die Adlerbrücke.

Wir erreichen die zweitgrößte Stadt des Kaliningrader Gebietes, Sovetsk, das ehemalige Tilsit. Doch zuvor machen wir Halt an der 1907 erbauten Königin Luise- Brücke. Sie verbindet nicht nur die Ufer der Memel, sondern auch die beiden Staaten Russland und Litauen. Und im kleinen Grenzverkehr wechseln Bürger beider Staaten täglich von einem Ufer zum anderen.

Wir besichtigen bei einem Stadtspaziergang die Hohe Straße, das Gericht und das Theater. Ich versorge mich am Bankomat mit Bargeld und folge dann mit meinem Mitreisenden Georg Irinas Empfehlung für ein nahes Hotel-Restaurant. Das Restaurant ist in barocker Pracht eingerichtet und eingedeckt. Es gibt zur Mittagszeit aber nur ein Gericht. Das bezeichnen sie als "Business Lunch" - für sage und schreibe umgerechnet 3 Euro. Dafür serviert eine hübsch kostümierte Kellnerin einen gemischten Salat als Vorspeise, Hackklöpse mit Kartoffeln und Bohnen als Hauptgang und ein Stück Kuchen als Dessert, wahlweise mit Kaffee oder Tee.

Zwei Ehepaare aus unserer Gruppe sind in Tilsit auf Vergangenheitssuche. Horst ist als fünfjähriger mit seinen Eltern von hier geflohen und kennt genau die damalige Straße und Hausnr., wo sie damals gewohnt haben. Dort werden er und seine mitreisende Familie höflich von den jetzigen Bewohnern in die Wohnung gebeten und Horst meint sogar die alte Küche der Eltern wiederzuerkennen, die dort bis heute ihren Dienst tut.

Angela hingegen hat keine eigenen Erinnerungen, nur die Adresse des Elternhauses. Und tatsächlich steht auch dieses noch. Sie kann es zumindest von außen besichtigen.

Beide Begegnungen wirken auf mich als Verstärker für meine heutige Sicht des Heimatbegriffs. Die Betroffenen hegen keinerlei Ressentiments - die Zeit hat die Wunden geheilt.

Tilsit ist natürlich auch Namensgeberin für den berühmten Tilsiter- Käse, den wohl jeder kennt. Allerdings ist der streng riechende Käse als Gemeinschaftsproduktion mit Hilfe von ausgewanderten Holländern, Österreichern und Schweizern entstanden.

Kurz vor Insterburg liegt das Gestüt Majovka (dt. Georgenburg), ein Zentrum der damaligen ostpreußischen Pferdezucht. Hier empfängt uns Igor, ein russisches Original. Er würzt seine Führung über das riesige Gestüt mit zahlreichen Witzen. Wir lachen Tränen. Hier in Georgenburg standen bis 1945 fast 500 Warm- und Kaltbluthengste, die mehr als 17.000 Stuten deckten. Die Größe der Pferdeställe ist beeindruckend.

Wir erreichen Tschernjachowsk (dt. Insterburg). Trotz der schweren Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg ist der Stadtkern weitgehend erhalten geblieben. Wir sehen die katholische und russisch- orthodoxe Kirche, das alte Rathaus, den Wasserturm sowie den alten Bahnhof. Der Bahnhof ist wirklich groß, aber die Gleise und die riesige Wartehalle sind menschenleer. Kein Wunder, wenn nur 3 Züge pro Tag fahren...

Beim Ortsnamen Insterburg erinnere ich mich sofort an die Band Insterburg & Co, zu deren Mitgliedern neben Ingo Insterburg auch Karl Dall gehörte. Das Komikerquartett kultivierte in den 70er-Jahren die Kunst des Blödsinns. "Ich liebte ein Mädchen in Lichterfelde ...", "Diese Scheibe ist ein Hit..."

Am späten Nachmittag fahren wir zurück nach Kaliningrad. Zum Dinner gibt es vom Hotelmanagement für jeden ein Freigetränk als kleine Entschuldigung für das kalte Essen von gestern abend. Wir sind nicht nachtragend...


03.09.2016: SA Kurische Nehrung

Nach einem ausgiebigen Frühstück, zu dem in Königsberg wie überall in Ostpreußen immer auch Fisch (Hering, Makrele u.a.) gereicht wird, fahren wir Richtung Norden auf die Kurische Nehrung, einem 100 km langen Landstrich, der das Kurische Haff von der Ostsee trennt und durch großartige Landschaftsbilder begeistert. Die Nehrung besteht ausschließlich aus Sand und riesigen Wanderdünen. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. gelang es, die Dünen mittels Bepflanzung zu stabilisieren, nachdem diese immer wieder ganze Orte unter sich begruben. Die Kurische Nehrung gehört mit der südlichen Hälfte zur Oblast Kaliningrad und damit zu Russland. Der Norden gehört zu Litauen. Dort war ich im Jahr zuvor.

Wir besuchen die weltweit älteste Vogelwarte, die 1901 von Johannes Thienemann in Rossitten gegründet wurde. In der Station Fringilla werden in 2- 4 Großreusen, deren Einflugschneisen jeweils 30 m breit und 15 m hoch sind, jedes Jahr zehntausende Zugvögel gefangen, gewogen und beringt. Durch Wiederfänge in anderen Regionen kann man die Zugbahnen der Vögel bestimmen.

In Rossitten gab es früher die Tradition des Krähenfangs. Die Krähen wurden gebraten oder gepökelt verzehrt. Thienemann kaufte den Krähenfängern lebende Vögel ab, beringte sie und ließ sie wieder frei. So begann die Erforschung des Vogelzuges.

Ab und zu gerät auch schon mal ein ungebetener Gast in die Reusen, wie z.B. Fledermäuse. Unser Führer, der Ornitologe Anatol, arbeitet schon sein Leben lang auf der Vogelwarte. Er zeigt uns seinen Gast Batman.

Wir fahren weiter nach Swetlogorsk (dt. Rauschen), der „Perle der Bernsteinküste“ und zugleich schönster Kurort des Samlands. Während eines Spaziergangs können wir die alten Häuser aus dem vergangenen Jahrhundert, Skulpturen des deutschen Bildhauers H. Brachert sowie die Sonnenuhr betrachten. Inzwischen sind hier auch die neureichen Russen eingefallen und haben prachtvolle Villen und Apartmenthäuser errichtet, die einen Vergleich mit anderen Luxus- Seebädern nicht scheuen müssen. Das hat natürlich seinen Preis. Aber bei diesem Klientel spielen "Rubelchen" keine Rolle. Das erklärt wohl auch den Bau der modernen Stadthalle, die von dem amerikanischen Stararchitekten Frank O. Gehry entworfen sein könnte. Wow!


04.09.2016: SO Kaliningrad

Heute besichtigen wir die beiderseits des Pregel gelegene, ehemalige ostpreußische Hauptstadt Königsberg. Große Teile der Stadt wurden im Krieg bis auf die Fundamente zerstört und die deutsche Bevölkerung bis 1948 vollständig vertrieben. Der Wiederaufbau erfolgte durch die Sowjetunion weitgehen in Plattenbauweise, auch "Stalinbarock" genannt. So wurde z.B. das alte Königsberger Stadtschloß restlos dem Erdboden gleichgemacht und an seiner Stelle ein futuristisches Hochhaus errichtet - das bis heute nicht bezogen wurde. Die Exklave Kaliningrad ist die westlichste Stadt Russlands, fast 400 km vom Mutterland entfernt.

Wir steigen in Königsberg auf einem zentralen Platz aus dem Bus. Es regnet leicht, einige von uns haben Regenschirme dabei, andere Regenjacken. Der Bus fährt schon mal vor. Was dann beginnt, kann man nur als Sintflut bezeichnen. Es schüttet wie aus Eimern, da helfen weder Schirme noch Regenjacken. Es gibt auch keine Möglichkeit, sich unterzustellen. Die Gruppe wird pitschnass bevor sie den Bus wieder erreicht. Das Wetter kann sich hier stündlich ändern und ist deshalb schwer prognostizierbar. Irina meint, deshalb würde man die Wetterfrösche hier "Meteorolügen" nennen.

Aber wir ziehen unser Besichtigungsprogramm jetzt durch, besichtigen den Königsberger Dom, dessen Orgel mit 122 Registern die größte in Russland ist, und das Grabmal Immanuel Kants an der Außenseite des Doms. Mir fällt auf, wie liebevoll Irina von dem kleinen Mann erzählt, wie er so pünktlich seinen täglichen Morgenspaziergang machte, dass die Königsberger ihre Uhr danach hätten stellen können. Kant ist zwar vor mehr als 200 Jahren verstorben, aber offenbar heute eine Brücke Kaliningrads nach Europa...

Weiter geht es ins Bernstein-Museum im Dohna-Turm, das gerade von mehreren Gruppen besucht wird. Das liegt aber nicht am anhaltenden Regen, sondern an der herausragenden Qualität der Exponate. Jährlich besuchen bis zu 300.000 Menschen das Museum. Also schieben auch wir uns an den Schauvitrinen vorbei und bewundern die kunstvollen Arbeiten der Bernstein- Juweliere.

Es sind wirkliche Meisterstücke der Bernsteinkunst, die hier auf 1.000 m² Fläche ausgestellt sind. Hier gibt es auch das mit 4,3 kg Gewicht größte jemals in Russland gefundenen Bernsteinstück zu bewundern. Für die Zukunft will man eine weitere originalgetreue Kopie des Bernsteinzimmers aus dem St. Petersburger Katharinenpalast einrichten.

Als wertvollste Schmuckstücke gelten Bernsteine mit Inklusen. Sie enthalten Insekten, Pflanzenreste und in seltenen Fällen sogar Eidechsen, die an der klebrigen Flüssigkeit hängen blieben und anschließend vom Harz umflossen und konserviert wurden.

Unser nächstes Ziel wurde in einem Stadttor der alten Stadtmauer eingerichtet, das Museum "Friedländer Tor". Hier werden wir mit der Geschichte der Stadt Königsberg vom Deutschritterorden bis zur heutigen Zeit vertraut gemacht. Mich beeindrucken besonders die alten Filmplakate aus der Ufa-Zeit.

Da werden bei den Älteren unter uns Erinnerungen wach: Marlene Dietrich, Hans Albers, Emil Jennings, Zara Leander, Veit Harlan, das waren die Stars der damaligen Zeit - allerdings weit vor meiner Geburt.

Heute mittag hat Irina für uns Tische in einem kleinen Restaurant reserviert, dessen Besitzer einst ein Schüler von ihr war als sie noch als Lehrerin unterrichtete. Und hier gibt es die ersehnten typischen Gerichte: Königsberger Klöpse, Pelmini, Blini, Manti, Borschtsch, Soljanka, Steinpilzsuppe. Eine tolle Wahl!

Dazu gleich eine Kritik an dieser Reise: Die inkludierten Abendessen fanden immer in den Hotels der Accor- Gruppe statt und hatten unabhängig von der Qualität ungefähr soviel mit lokaler Küche zu tun wie Erbsensuppe mit mediterraner Küche. Das fanden wir enttäuschend zumal sich fremde Länder dem Besucher auch über ihre regionalen Küchen erschließen und Ikarus Tours dies fast immer auf seinen Reisen berücksichtigt.

Wir passieren die polnische Grenze und kommen nach langer Busfahrt am Abend in Mrangowo (dt. Sensburg) an. Das Mercure Mragowo Hotel wird unser Domizil für die nächsten 3 Nächte sein. Die Betten hier sind eine Katastrophe, sie sind viel zu weich und durchgelegen.


05.09.2016: MO Wolfsschanze - Nikolaiken

Am Vormittag besichtigen wir die Trümmer der "Wolfsschanze", Tarnname für ein militärisches Lagezentrum des Führungsstabes der deutschen Wehrmacht, eines ehem. "Führerhauptquartiers" der Nazis, wo am 20.07.1944 Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg ein Attentat auf Adolf Hitler, den größten Verbrecher des 20. Jh., unternahm. Leider schlug der Anschlag fehl und Nazi- Deutschland versank im Großangriff der Allierten...

Ich habe Vorbehalte, das Gelände der Wolfsschanze zu besuchen, will nicht dazu beitragen, dass dieser verfluchte Ort, an dem kranke Hirne sich Genozid und Weltkrieg ausgedacht haben, zu einem Wallfahrtsort der ewig Gestrigen wird. Ich nehme dennoch an der Führung teil. Auch vor diesem Teil unserer Geschichte will ich nicht die Augen verschliessen.

Wir werden von dem ortskundigen polnischen Reiseleiter Stanislaw Sieminski durch die Anlage geführt. Sieminski hat auch mehrere Reiseführer zu Masuren geschrieben, die er im Anschluß an seine Führungen gerne mit handschriftlicher Signierung verkauft.

Das für das Lagezentrum ausgesuchte Gebiet lag weit ab von Hauptverkehrswegen in einem Mischwald, der das ganze Jahr über für natürlichen Schutz sorgte. Die Wolfschanze war ein perfekt getarntes Dorf mit über 200 Gebäuden, Bunkern, Baracken, zwei Flughäfen, Bahnhof, Klimaanlagen, Fernheizwerk, Wasserversorgung und 2 Fernschreibdiensten. Im Jahr 1944 sollen hier über 2000 Menschen gelebt haben.

Fast jeder NSDAP-Bonze hatte hier seinen eigenen Bunker, Hitler, Bormann, Göring, Keitel, Jodl. Und auch der Reichsheini, Heinrich Himmler, hatte in der Nähe sein Quartier. Noch bevor die Russen vor der Tür standen, sprengten die abrückenden Nazis die Anlagen der Wolfsschanze. Wegen der bis zu 10 m dicken Decken und Außenwände der Bunker gelang das nur ansatzweise. In diesem Zustand sind sie bis heute zu besichtigen. Die Holzstöcke als Stützen an den umgestürzten Mauerresten stammen von polnischen Schulklassen, die sich hier einen Spass erlauben.

"We share the same biology,
regardless of ideology.
What might save us, me and you,
is if the Russians love their children too"

heißt es 40 Jahre später in einem wunderschöner Song von Sting am Ende des Kalten Krieges. Und damit sind bis heute unsere Hoffnungen verbunden, dass weder wir noch die Generationen unserer Kinder und Enkel jemals wieder in kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Ost und West verwickelt werden.

Nach diesem Trip in düsterste deutsche Vergangenheit fahren wir durch das ausgedehnte Waldgebiet der Johannisburger Heide. "Heide" nannte man schon in früheren Zeiten ausgedehnte Waldgebiete. Ich habe den Begriff bisher immer mit der typischen Erica- Flora der "Lüneburger Heide" in Verbindung gebracht. Jedoch war auch die Lüneburger Heide einst eine große Waldlandschaft bis man sie abgeholzt hat. Und aus der bewaldeten Zeit stammt der Name Heide. Wir legen einen Stop ein am alten Forsthaus in Kleinort (heute Piersławek) bei Peitschendorf, wo der Schriftsteller Ernst Wiechert geboren wurde und seine Kindheit verbrachte. Viel zu sehen gibt es hier nicht. Wiechert wurde von den Nazis verfolgt. Er war einer der meistgelesenen Autoren der 30er bis weit in die 50er Jahre.

Unser nächstes Ziel ist Mikolajki (dt. Nikolaiken). Wir machen einen Rundgang durch das "masurische Venedig". Wer sich diese Bezeichnung ausgedacht hat, kann nie in Venedig gewesen sein... Mir ähnelt Nikolaiken eher Waren an der Müritz, was keineswegs abwertend gemeint ist. Beide Orte liegen an einem wunderschönen Binnensee inmitten einer Seenplatte.

In Nikolaiken steht das Denkmal des Stinthengstes, des Königs der Stinte. Das sind sehr schmackhafte kleine Fische. Man erzählt sich die Legende des Stinthengstes: Einst verfing sich der König der Stinte in den Netzen der hiesigen Fischer, er bat inständig um sein Leben und versprach als Gegenleistung für großen Fischreichtum zu sorgen. Die Fischer ließen ihn zwar am Leben, aber nicht davonschwimmen. Sie ketteten ihn unter einer Brücke an. Der Stinthengst hielt sein Versprechen. Und bis heute schwimmt eine hölzerne Nachbildung des Stinthengstes unter der Stadtbrücke...

"So zärtlich war Suleyken" ist eine Liebeserklärung des Schriftstellers Siegfried Lenz an seine masurische Heimat und den dort anzutreffenden herrlich kauzigen und schrullige Menschentyp. Das Dorf Suleyken ist zwar fiktiv, steht aber für die vielen beschaulich- liebenswerten Orte in Masuren.

Ich habe mir die Lenzschen Kurzgeschichten als ebook mit auf die Reise genommen und mich bei der Lektüre köstlich amüsiert.

Kennen Sie übrigens das Ostpreußenlied? Hier können Sie es sich anhören, gesungen von Heino, unserem "Nationalbarden": "Land der dunklen Wälder..."


06.09.2016: DI Malerisches Masuren

Heute steht etwas besonderes auf dem Programm. In Krutyn ( dt. Kruttinnen) unternehmen wir eine Stocherkahnfahrt mit einem flachgehenden Stakboot auf der Krutynia, einem idyllischen Flüsschen in Masuren. Das frühere Kruttinnen wurde als "Perle der Masurischen Schweiz" bezeichnet.

Unsere einstündige Stakfahrt führt stromaufwärts bis zu einem feststehenden Wendepunkt. Leider hat unser Kahn das Pech, von einem fast wortlosen, weil nicht ausreichend deutschsprachigen Staker gelenkt zu werden. Dem zweiten Kahn hingegen wird eine sehr unterhaltsame und redselige Staker- Legende als Steuermann zugeteilt. Das war nuscht nich, wie es der Ostpreuße gesagt hätte. Wir sehen einige Enten, Haubentaucher und Reiher. Fast lautlos gleitet das Boot durch das glasklare Wasser. Wir können den sandigen Grund erkennen und viele Fische in der Krutynia. Bei der Rückfahrt schiebt die Strömung das Stakboot lautlos zurück nach Kruttinnen, die Stake dient nur zum Steuern.

Mich erinnert die Stakbootfahrt an die Touren im Spreewald. Aber während Irina die hiesige Bootsfahrt und Natur mit den für sie typischen Superlativen lobpreist, würde ich eine Bootsfahrt durch den Spreewald vorziehen.

Nach einem Mittagsimbiss in Kruttinen, wo ich ein Pilzgericht verköstige, geht es weiter zum Kloster der russisch-orthodoxen Philipponen, der sogenannter Altgläubigen, in Wojnowo (dt. Eckertsdorf). Die Altgläubigen lehnten Reformen ab, die der Moskauer Patriarch Nikon eingeführt hatte, und wurden deshalb verfolgt. Sie flüchteten aus Russland und ließen sich schließlich zu Beginn des 19. Jh. in Masuren nieder, wo einzelne von Ihnen bis heute leben.

Das Kloster wurde 1847 gegründet und bis zuletzt von Nonnen bewohnt. Als die letzte Nonne 2006 verstarb, wurde der Klosterbetrieb eingestellt. Heute kann man den Gebetsraum mit seinem interessanten Inventar, Zeichnungen von Cherubinen, Gemälde von Heiligen und Äbten, besichtigen und auch den kleinen Friedhof.

Hier steht immer ein hölzernes Grabkreuz zu Füßen des Verstorbenen. Typisch ist die Kreuzform: 3 waagerechte Balken kreuzen die Senkrechte, wobei die unterste Horizontale schräg verläuft. Man sagt, der höher stehende Teil symbolisiere den Sieg des Guten über das Böse. Sobald das Holzkreuz verwittert und umgefallen ist, wird das Grab eingeebnet.

Nachmittags fahren wir nach Galkowo (dt. Galkowen). Dort, im Jagdhof Galkowo, einem kleinen Gasthof, hat man zum Gedenken an Gräfin Marion Dönhoff unter dem Dach einen
Salon eingerichtet, in dem Fotos, Bücher, Bild- und Tondokumente an die große deutsche Journalistin und ihren Beitrag zu einem besseren Verständnis zwischen Deutschen und Polen erinnern. Die Dönhoffs gehörten ebenso wie die Lehndorffs und Dohnas zu den ostpreußischen Adelsgeschlechtern, deren Familiengeschichte teilweise bis auf die alten Ordensritter zurückgingen.

Im Salon sitzen wir zusammen und Frau Renate Marsch- Potocka, Ehefrau eines polnischen Grafen und Mutter des Gasthofbesitzers, berichtet uns vom Leben und Wirken der 2002 verstorbenen Gräfin. Die 80- jährige Dame hat sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit der Dönhoff und war wie sie in früheren Jahren Journalistin. Das lange Reden fällt ihr merklich schwer und schon bald lässt sie uns ein Tondokument hören, worin Gräfin Dönhoff von der dramatischen Flucht über die Ostsee erzählt. Wir sind sehr beeindruckt.

Unweit des Gasthauses befindet sich das große Gestüt "Ferenstein", auf dem die wohlbetuchten Warschauer ihre Kinder reiten lassen. Die 14 Doppelzimmer im Gästehaus des Jagdhofs sind eine ideale Unterkunft für Reiter.


07.09.2016: MI Masuren - Danzig

Wir verlassen Masuren und fahren über Ketrzyn (dt. Rastenburg) nach Swieta Lipka (dt. Heiligelinde), einem der bekanntesten polnischen Marienwallfahrtsorte. Wir besichtigen die sehenswerte barocke Basilika, deren Geschichte bis in das 17. Jh. zurückreicht. Der Legende nach stand hier einst eine große Linde mit einer Holzfigur, um die sich ein Kult entwickelte, der bis heute andauert.

Neben den einzigartigen Deckenfresken ist auch die große Orgel mit ihren beweglichen Engelfiguren sehenswert. Aber bevor wir etwas davon hören, fordert ein Geistlicher die Besucher auf, mit ihm polnische und deutsche Kirchenlieder zu singen. Und tatsächlich singen viele mit. Alle anderen verharren in andächtigem Zuhören.

Papst Johannes Paul II. hat die Wallfahrtskirche zur Basilika Minor erhoben.

Das danach beginnende kurze Orgelkonzert gefällt mir nicht sonderlich, die Orgel klingt wie eine historische Kirmesorgel und dieser Eindruck wird noch durch das Figurenspiel unterstrichen. Aber wir sind hier doch in einer Kirche...

Irina hat für uns Tische in einem typischen Ausflugslokal reserviert und ich bestelle eine Portion Bigos, den berühmten polnischen Sauerkrauteintopf mit Fleisch und Wurst. Hervorragend! Gerne hätte ich auch einmal die Chlodnik genannte kalte Rote Bete Suppe probiert. Dann werden wir noch auf eine weitere lokale Spezialität aufmerksam gemacht, getrocknete Pflaumen in einem Schokoladenmantel. Ebenfalls sehr lecker. Man muss sagen, dass die Polen nicht gerade zu den Kalorienzählern gehören, was sie mir sehr sympathisch macht. Der gemeine Ostpreuße würde sowieso sagen " Essen se, damit se necht aus de Schlotten kippen!"

Anschließend fahren wir weiter nach Olsztyn (dt. Allenstein) und besichtigen von außen die dortige Deutschordensburg aus dem 14. Jh. Mit ihr wurde der Übergang über den Fluss Alle kontrolliert. Im Schlosshof befindet sich eine archaische Frauenfigur, das Steinmütterchen oder Babe. 

Durch das Hohe Tor betritt man die Altstadt von Allenstein. Rund um den Marktplatz gruppieren sich die typischen Laubenhäuser, die früher aus Holz waren. Viele gemütliche Straßencafes laden zum Verweilen ein. Da können wir nicht Nein sagen.

Über Elblang (dt. Elbing) geht es zurück zu unserem Ausgangsstandort nach Danzig ins Hotel Mercure Stare Miasto (=Altstadt).

In Polen gibt es eine große Auswahl an qualitativ hochwertigen Vodka- Sorten. Vodka stammt ursprünglich aus Polen und nicht aus Russland wie viele denken. Diamond, Belvedere, Chopin und Debowa sind die Vodka- Spitzenprodukte.

Im Hotel wird nach dem Dinner neben dem Standard- Vodka auch der Zubrowka Bison Grass angeboten, ein milder, leicht würziger Vodka mit einem Grashalm in der Flasche.
Na zdrowie!


08.09.2016: DO Danzig

Danzig zählt seit dem 14. Jh. zu den bedeutendsten Hansestädten und wurde im Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig zerstört. Am Vormittag besichtigen wir die detailgetreu wieder aufgebaute Altstadt, die gar nicht der älteste Stadtteil ist. Die Rechtstadt ist viel älter bzw. besitzt die älteren Stadtrechte. Sie wurde genauso schön restauriert. Mit Altstadt und Rechtstadt existierten tatsächlich eine Zeit lang administrativ und auch baulich durch Stadtmauern und Gräben getrennte Städte mit unterschiedlichen Rechtssystemen direkt nebeneinander.

Seit dem 14. Jh. bildete die Langgasse und der Lange Markt das Herz Danzigs. Hier errichteten die reichsten Danziger ihre prunkvollen Giebelhäuser, und genau deren Fassaden hat man kunstvoll restauriert. Hier findet sich auch der Artushof, Sitz der Kaufmannsbruderschaften, mit dem davorliegenden Neptunbrunnen.

Wir besuchen das Rechtstädtische Rathaus, von dessen Turm man einen schönen Rundblick auf die Stadt hat, sowie die restaurierte alte Schalterhalle des Danziger Hauptpostamtes. In deren Mitte steht ein hölzernes Rondell mit Stehpulten zum Ausfüllen üblicher Formulare - alles gekrönt von einer gläsernen Kuppel.

Die Marienkirche ist die größte Backsteinkirche der Welt. Sie bietet angeblich Platz für 25.000 Gläubige. Das wertvollste Kunstwerk dort ist Hans Memlings Triptychon "Das Jüngste Gericht". Es wurde vom Papst für den Vatikan in Auftrag gegeben. Bei seiner Verschiffung von Brügge nach Italien wurde es von einem Namensvetter von mir, dem Piraten Paul Beneke für Danzig erbeutet.

In der Frauengasse gibt es eine Danziger Besonderheit zu sehen, die sogenannten Beischläge. Es sind in Verbindung mit dem Hauseingang höhergelegte kleine Terrassen, auf denen die Großbürger im Sommer gerne saßen und den Vorbeigehenden zunickten. Im Tiefparterre befanden sich Werkstätten und kleine Läden.

Den Großraum Danzig bezeichnet man auch als Dreistadt, denn neben Danzig gehören auch Gdynia (dt. Gdingen) und Sopot (dt. Zoppot) zu diesem Ballungsgebiet an der Ostsee.

Unser Tagesausflug geht zunächst nach Gdingen, das die Nazis Gotenhafen nannten. Wir halten draußen auf der Mole Jana Pawla II, wo ein Museumskriegschiff und ein alter Dreimaster liegen. Am Anfang der Mole steht das Apartementhochhaus Sea Towers, das höchste Wohngebäude Polens. Zudem ist es auf den qm- Wohnfläche umgerechnet auch das teuerste.

Die Stadt Gdingen hat sich in nicht einmal 90 Jahren vom Fischernest zur Großstadt entwickelt, was maßgeblich am Hafenausbau nach 1924 lag. Der Versailler Vertrag sicherte nämlich Polen mit der Woiwodschaft Pommerellen einen 74 km breiten Ostseezugang, der als "Polnischer Korridor" bezeichnet wurde und der Ostpreußen vom Rest des Deutschen Reiches abtrennte.

Im Seebad Zoppot entdecken wir die (kostenpflichtig begehbare) Seebrücke, die Luxushotels und das prächtige neue Kurhaus, das im alten Bäderstil neu errichtet wurde.

Zoppot ist das Nizza der Polen. Hier genießen die Reichen und die Schönen eine Auszeit, lassen sich in den 5-Sterne Hotels Grand Hotel (mit Spielcasino) und Sheraton verwöhnen oder mieten sich exklusive Apartments. Natürlich haben auch die Boutiquen und Speiselokale absolutes internationales Spitzenniveau, denn schon seit dem 19. Jh. gilt Zoppot als das mondänste aller Ostsee- Bäder.

Am Nachmittag besuchen wir die gotische Kathedrale von Oliwa (dt. Oliva) mit ihrer fast 8.000 Pfeifen zählenden Orgel, nur die Orgel im Passauer Stephansdom hat mit 10.000 Pfeifen mehr. Wir hören ein halbstündiges Konzert eines meisterhaften Organisten. Dieses Konzert gefällt mir wesentlich besser als in Heiligelinde. Alle Kirchen und Kathedralen in Polen sind geschmückt mit einem Bildnis oder einer Statue des nach seinem Tod heilig gesprochenen Papst Johannes Paul II., der hier Jana Pawel II. heißt und mit bürgerlichem Namen Karol Wojtyla. Inzwischen wurde der Papst aus Polen zum Nationalheiligen erhoben.

Zurück in Danzig gehört der Nachmittag uns. Einige fahren mit einem "Piratenschiff" (liegt vor dem Krantor) hinaus zur Westerplatte, einer unbewaldeten Halbinsel, an der durch Beschuß der deutschen Wehrmacht am 1.9.1939 der II. Weltkrieg ausgelöst wurde. Außer dieser Tatsache gibt es dort nichts zu sehen, weshalb ich mir das erspare.

Wolfgang und ich bevorzugen es, auf der Außenterrasse einer kleinen Hausbrauerei in der Rechtstadt das köstliche polnische Bier zu verköstigen. Wolfgang wählt ein Weizenbier, ich ein naturtrübes Altbier.

In Polen wird oft und gerne Bier getrunken. Polnisches Bier genießt weltweit hohe Wertschätzung. Die beliebtesten Sorten sind Tyskie, ein mildes, vollmundiges Bier mit leichter Bitternote - das meistgetrunkene Bier in Polen - und Warka (Classic), ein malziges, leicht würziges Lagerbier. Daneben gibt es noch hunderte Sorten, die teils nur regional verbreitet sind.

Neben Johannes Paul II. gibt es noch eine weitere neuzeitliche polnische Nationalikone. Es ist der ehemalige Führer der Solidarnosc- Gewerkschaft, Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa. Solidarnosc hat hier auf der Danziger Lenin- Werft mit der Befreiung Polens vom Sozialismus begonnen. Der Betriebselektriker Walesa organisierte die Wende Polens zu einem demokratisch- marktwirtschaftlichen System.

Dem Leser der "Danziger Trilogie" (Die Blechtrommel, Katz und Maus und Hundejahre) von Günter Grass wird während unseren Besichtigungen so manche Szene dieser Romane in Erinnerung gerufen. Günter Grass, der 2015 verstorbene Literaturnobelpreis- Träger, ist einer der großen Söhne Danzigs. Er war Autor und politischer Intellektueller. Volker Schlöndorffs Verfilmung der Blechtrommel mit dem kleinen David Bennent als Oskar Mazerath bleibt mir unvergessen. Es gibt eine Szene, die sich in meinem Kopfkino sofort abspielt beim Gedanken an diesen Film, da winden sich einige Aale aus einem Pferdekopf, den man als Köder beim Fischen benutzt hat. Eklig!


09.09.2016: FR Rückflug

Morgens haben wir noch etwas freie Zeit bis wir gegen Mittag zum Flughafen gebracht werden und um 14:30 nach Frankfurt zurückfliegen. Ich schlender`noch einmal kurz durch die Altstadt und Rechtstadt und lasse die wunderschön restaurierten Fassaden auf mich wirken, gehe über den Frischemarkt, den Viktualienmarkt Danzigs, und kaufe noch ein paar Kleinigkeiten in einem Supermarkt ein. Vorbei an der Großen Mühle mit ihrem eindrucksvollen Satteldach und der 2006 fast durch einen Brand völlig zerstörten Kirche St. Katharina laufe ich zurück zum Hotel.

Wir waren eine sehr harmonische Reisegruppe, keine Störenfriede und Nörgler, sondern ausnahmslos nette und interessante Mitreisende und eine tolle Reiseleiterin!

Ich bin nicht ansatzweise nationaler Gesinnung, aber in den letzten Jahren habe ich zunehmend den Eindruck gewonnen, dass der Osten Europas, der Balkan, das Baltikum, sehr stark von Deutschen geprägt wurde und noch ist. Am "Deutschen Wesen" sollte und soll die Welt nicht genesen, doch wir haben eine Menge zur Entwicklung Osteuropas beigetragen... Leider und unvorstellbar waren wir Deutschen auch für den größten Massenmord der Menschheit verantwortlich. Das dürfen wir nie vergessen!

In Danzig gibt es übrigens zwei sehr empfehlenswerte Fisch- Restaurants, das Restauracja Pod Łososiem ("Zum Lachs") und das Restauracja Targ Rybny - Fishmarkt ("Fischmarkt- Restaurant").

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Das sind meine Reiseliteratur- Empfehlungen für Ostpreußen /Masuren/Königsberg:

"So zärtlich war Suleyken" - Masurische Kurzgeschichten von Siegfried Lenz

"Namen, die keiner mehr nennt", Titel eines Buches, in dem Marion Gräfin Dönhoff Essays und Geschichten aus ihrer alten Heimat Ostpreußen, dem Leben dort und ihrer Flucht im Januar 1945 vor der Roten Armee erzählt.

Als Reiseführer haben mir während meines Aufenthaltes in Polen folgende Bücher mit zahlreichen Informationen zu Land und Leuten, Sitten und Gebräuchen gedient:

- Polen, Ostseeküste und Masuren - Kristine Jaath, Reise Know-How Verlag

- Königsberg, Kaliningrader Gebiet - Gunnar Strunz, Trescher Verlag

Beide Bände sind empfehlenswert!

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