Mittags treffen wir Franlyt ("Der Papagei lebt immer noch! Heute wird ein interessanter Tag!" - zwei seiner Standard- Begrüßungssprüche). Für den Nachmittag sind ganz besondere Programm- Punkte vorgesehen. Toni fährt uns in einen der ärmeren Stadtteile Havannas, El Cerro, wo wir zunächst eine Rumfabrik besuchen. Der Direktor erklärt uns kurz den Endfertigungs- Prozeß. Das angelieferte 80 %-vol. firewater wird hier durch Holzkohle und Sand gefiltert und in Eichenfässer umgefüllt, die aus den USA oder Canada kommen und zuvor Whisky beherbergt haben. In Abhängigkeit von der Lagerdauer wird der Rum zunehmend dunkler. 7- jähriger hat schon eine kräftige Farbe. Sehr guter Rum hat eine Lagerdauer von 15 Jahren hinter sich. Anschließend gibt es eine Rumverköstigung. Wir können alle Sorten probieren, beschränken uns aber angesichts der Außentemperatur auf die Probe des 7- jährigen. Einige von uns decken sich anschließend mit Rum und Zigarren ein, die hier günstig verkauft werden sollen - sagt Franlyt. Ist aber fast überall der gleiche Preis!

Eigentlich wollen wir nun ein cubanisches Krankenhaus besichtigen. Das ist aber wegen einer aktuellen Regierungsanweisung nicht möglich. Warum, erzählt uns Bernhard. Er hat gestern auf der Straße mit einem Cubaner gesprochen, der seinen ganzen Frust über die hiesigen Verhältnisse abgelassen hat. Der Cubaner hat erzählt, daß in den Krankenhäusern katastrophale Verhältnisse herrschten. So würden Entbindungen ohne Wasser und bei Stromausfall vorgenommen. Die Kliniken, an denen wir vorbeifahren, sehen schon von außen schlimm aus. Wie mag es erst drinnen aussehen? Oppositionelle Cubaner sprechen übrigens von "Papa", wenn sie Fidel meinen, oder sie machen eine Handbewegung, die einen Vollbart andeuten soll. Das ist sicherer.

Wir besuchen alternativ ein Therapiezentrum für geistig- und lernbehinderte Kinder und Jugendliche, wo wir von der charmanten Heimleiterin begrüßt werden. Sie führt uns durch die einzelnen Therapieräume, in denen sich Ärzte, Logopäden und Pädagogen mit Patienten unterschiedlicher Behinderungen beschäftigen. Für die Kinder ist unser Besuch eine willkommene Abwechslung. Einige von Ihnen haben eine kurze Tanzaufführung für uns eingeübt. Unser Beifall trifft auf strahlende Kinderaugen. Wir hinterlassen eine Spende für die mustergültige Einrichtung.

Weiter geht es in das Stadtviertel Atares zu einem Hinterhof- Wohnprojekt namens Cuidadelas. Es handelt sich um einen ehemaligen Hallenkomplex, der nach der Revolution den Arbeitern als Wohnungen übereignet wurde. Der Eigentumsbegriff hat hier aber einen anderen Inhalt. Man muß viele Jahre dort wohnen, während denen man eine kleine monatliche Abgabe an den Staat zahlt. Damit erwirbt man das Recht, die bisherige Wohnung gegen eine andere zu tauschen. Die Tauschenden zahlen dann untereinander einen Ausgleich für abweichende Größe oder Qualität der Wohnungen. Eigentümer in unserem Rechtsverständnis wird man aber nicht, die Wohnungen gehören weiterhin dem Staat. In diesem Wohnprojekt haben die Bewohner - insgesamt 50 Familien - Zwischenböden in die Hallen eingezogen und unter Einsatz sogenannter Microbrigadas abgetrennte Zimmer ausgebaut. Es sieht für europäische Verhältnisse immer noch erbärmlich aus. Für die hier lebenden Bewohner ist es aber eine riesige Verbesserung gegenüber den damaligen Umständen, als alle zusammen in einer Halle wohnen, kochen und schlafen mußten.

Mit einer hier beschäftigten Sozialarbeiterin schlendern wir durch das Stadtviertel und besuchen den Hausarzt des Viertels, Medico de la Familia genannt. Er zeigt uns seine Praxis und erklärt uns das dreistufige Gesundheitssystem Cubas: Hausarzt - Poliklinik - Krankenhaus. Die ärztliche Versorgung sei gut organisiert, jedoch hapere es derzeit an wichtigen Medikamenten und hochwertigen Diagnosegeräten wie z.B. CTs in den Krankenhäusern - eine Folge des andauernden US- Embargos. Auch er äußert sich systemkonform, wie fast alle, die uns offiziell Auskunft gaben auf der Rundreise. Wir haben aber immer das Gefühl, daß man offenen Antworten ausweicht. Einer der Mitreisenden, Christian, ist auch Arzt. Er löchert den Medico mit Fachfragen. Franlyt lernt ein neues deutsches Wort: "Blutdruckmeßgerät"..

Nächste Station unseres Rundgangs ist die Wohnung einer Frau, die die afrocubanische Religion Santeria (regla de ocha) praktiziert. Sie ist eine Priesterin, eine Santera. Im Unterschied zu Voodoo sei die Santeria eine Mischung aus afrikanischem Geisterglauben und Katholizismus, die das Wohlergehen und den Seelenfrieden ihrer Mitglieder zum Ziel habe, erklärt sie uns. Die Santeria kenne keinen Unterschied zwischen den Hautfarben und praktiziere Zeremonien mit Gesängen, Tänzen, Opfergaben und Gebeten. Jeder ihrer Götter, orishas genannt, sei ein hochrangiger vergöttlichter Vorfahre und habe gute wie auch schlechte Eigenschaften, so wie wir Menschen. Sie stellt uns die wichtigsten orishas vor: Changó, Yemayá, Ochún, Obbatalá u.a., denen jeweils bestimmte Farbkombinationen und Symbole zugeordnet sind und die zudem ein Pendant in katholischen Heiligen haben. So entspricht etwa Changó, der Gott der Manneskraft, der Heiligen Barbara!? Wir hören ihr interessiert zu, gerne beantwortet sie unsere Fragen. Franlyt übersetzt geduldig. Zum Schluß gibt sie uns gute Wünsche mit auf die Reise und segnet uns mit einem weißen Pulver, dessen Konsistenz mir unbekannt bleibt.

Den Abschluß unseres Rundgangs bildet der Besuch des Veranstaltungshauses eines sogenannten Proyecto Communitario. In diesem erst seit einigen Jahren möglichen Projekt haben Bürger die soziale und kulturelle Entwicklung eines Stadtviertels selbst in die Hand genommen. Der Staat stellt hierfür lediglich eine geringe Grundfinanzierung sicher, die eigentliche Anstrengung wird von den Mitarbeitern geleistet, so z.B. eine selbstorganisierte Müllabfuhr, Wohnraumsanierung, medizinische Versorgung und vielfältige kulturelle Aktivitäten. Unser Reiseveranstalter AvenTOURa unterstützt die Initiative übrigens finanziell, ein gutes Beispiel für sozialverträglichen Tourismus. Die Mitarbeiter empfangen uns mit einem Chin-Chin, einem Begrüßungscoktail: Cubra Libre. Sie haben ein bescheidenes Buffet zur Stärkung vorbereitet. Eine Son- Band, die aus dem Projekt hervorging, begleitet das gemeinsame Essen. Wir haben die Gelegenheit, uns intensiv mit den Mitarbeitern zu unterhalten - soweit es gegenseitige Sprachkenntnisse erlauben. Dann werden wir zum Tanzen animiert. Wir Männer zieren uns zunächst, aber es gibt kein Entkommen vor den Mitarbeiterinnen der Kooperative, die uns immer wieder zum Salsatanzen auffordern. Die karibischen Rythmen und Bewegungen führen uns Europäern unsere tänzerische Steifheit nur allzu offen vor Augen. Aber: "Es geeeht!", würde Franlyt sagen. Die junge Sängerin der Band, Anisia Martínez Rodriguez, hat eine begnadete Stimme und wird bestimmt noch Karriere machen.

Der Abend endet hier viel zu früh für uns. Wir fahren zurück nach Centro Habana (Havanna).