Die alte Dame der Karibik ist vom Zahn der Zeit angenagt, aber immer
noch eine Perle und - ein Mythos! Spanische Eroberer gründeten
die Stadt und gaben ihr den Namen
San Cristóbal de
la Habana.
Am 6. April 2002 lande ich mit dem IBERIA- Jumbo auf dem Aeropuerto José Martí, dem Flughafen Havannas, der nach dem verehrten Dichter und Nationalhelden Kubas benannt wurde.
9 1/2 Stunden Flugzeit
ab Madrid können in der Touristenklasse zur Qual werden. Die
endlose Wartezeit vor der Paßkontrolle gibt mir in der mangelhaft
klimatisierten Ankunftshalle den Rest. Die anderen zehn Teilnehmer
unserer Reisegruppe sind bereits durch und - weg als ich endlich den
letzten Kontrollposten passiere. Schwüle auch draußen.
Mit einem Taxi werde ich ins Hotel gebracht. Die
Fahrt vom Airport nachts um 23 h: unbeleuchtete oder nur notdürftig
beleuchtete Straßen, Fahrzeuge aller Art ganz ohne oder mit
kaputten Scheinwerfern, Fußgänger, die plötzlich aus
dem Nichts auf der Straße stehen. Ein Verkehrszustand, wie er
sich auch in der Folge bestätigen soll. Seid Ihr schon mal nachts
durch Straßen mit 5- stöckigen Häusern, über
große Boulevards, an Monumentalbauten vorbei ohne Straßenlaternen
gefahren? Gespenstisch! Vor dem Hotel am Paseo de Marti (Prado) stehen
noch die alten gußeisernen Kandelaber. Die beiden vor dem Eingangsportal
hat man mit zusätzlicher Stromleitung an das Hotel angeschlossen.
So sind sie nicht vom öffentlichen Netz mit seinen häufigen
Abschaltungen abhängig.
An der Rezeption wartet Franlyt auf mich, unser Reiseleiter für die ersten 12 Tage in Cuba.
Das Hotel Inglaterra, bekannt
aus Graham Green`s Roman "Unser Mann in Havanna", ist mein Domizil
in der Karibik- Metropole. Gegenüber dem Parque Central gelegen,
ist das 1875 eröffnete Hotel eines der traditionsreichsten und
bekanntesten der Stadt. Der Charme der Belle Epoque spiegelt sich
in vielen Details wie der neoklassizistischen Fassade, bunten Bleiverglasungen,
minutiös ausgearbeiteten Deckenverzierungen und Kachel-Mosaiken
im maurischen Stil.
Mein
Zimmer liegt nach innen zum in den Stadthotels üblichen Lichthof,
die Klimaanlage ist kaputt und kein Fenster zu öffnen. Aber zum
Schlafen reicht es.
Am nächsten Morgen lerne ich nach dem Frühstück die anderen Reiseteilnehmer kennen. Es sind 3 Paare und - neben mir - 4 alleinreisende Männer. Franlyt stellt sich vor ("Ihr könnt auch Franz oder Kaiser zu mir sagen") und erläutert das Programm der nächsten Tage. Seine lockere Art findet bei uns sofort Anklang, wir gehen zum Du über. Die anfängliche Distanz ist damit überwunden, keiner von uns hat Erfahrungen mit organisierten Gruppenreisen. Der Tag beginnt mit einer Stadtrundfahrt im Kleinbus. Unser Fahrer heißt Toni, soll von Franlyt aber künftig noch in "Schumi" umgetauft werden. Wir bleiben bei "Toni".
Erst einmal stehen wir
auf dem Parque Central, wo ich bereits
vor dem Frühstück von einem Jinetero angesprochen wurde.
Die Standardkonversation ist in den nächsten Tagen immer die
gleiche: Zunächst smalltalk in gebrochenem Englisch (where are
you from? how long stay here? Germans very good - usw.), dann das
eigentliche Interesse: Illegaler Zigarrenverkauf, Mädchen, Dollars.
"Jineteros" werden in Cuba die Schwarzhändler und Kuppler
genannt, die sich auf Touristen spezialisiert haben. Franlyt erzählt
von José Marti, dem Nationalhelden Cubas, dessen in fast allen
Orten Cubas obligatorische Statue den Mittelpunkt des Platzes schmückt.
Auf den Bänken ringsum diskutieren lautstark Anhänger der
hiesigen Baseball- Klubs die Wochenergebnisse. Wir laufen vorbei am Gran Teatro García Lorca mit seiner
Fülle von Ornamenten und Figuren. Dem äußeren Bombast
soll die Inneneinrichtung entsprechen. In dem fast 2.000 Zuschauer
fassenden Saal finden die Aufführungen der Staatsoper und des
Nationalbaletts statt. Hier haben früher Caruso und viele andere
Größen gesungen. Am Capitolio Nacional wartet Toni mit dem Bus. Das Capitolio ist eine Nachbildung
des Capitols von Washington und - ein Fremdkörper
in
der Stadt. Z.Zt. wird es als Abteilung der Uni und Museum für
Naturgeschichte genutzt. Vor der Freitreppe machen zwei Fotografen
mit uralten Standkameras Schwarzweiß- Aufnahmen von Touristen,
die die fertigen Fotos in sehr schlechter Qualität nach wenigen
Minuten gegen US- Dollar erwerben können.
Toni rauscht mit uns
durch Havanna, Franlyt nennt uns ab sofort "meine Familie"
und gibt weitere Erklärungen. Im Eiltempo geht es vorbei
an einigen architektonischen Highlights. Genauso rauschen Franlyts
Erklärungen an mir vorbei. Nach einer Fahrt entlang des Malecon,
der Uferpromenade Havannas, vorbei an dem berühmten ehemaligen
Spielerparadies und Mafia- Hotel Nacional und durch das Botschaftsviertel
erreichen wir die Nekropolis der Stadt, den Cementerio Cristobal Colón. Diesen
Friedhof schmücken eine nicht enden wollende Zahl von Mausoleen,
Tempeln und Grabmälern mit Engeln, Madonnen, Figuren und Ornamenten
aus Marmor in allen Naturfarben. Die Totenstadt gilt als eine der
schönsten der Welt. Vor einem riesigen Grabmal legen gerade Bombeiros,
Feuerwehrleute, Blumen nieder. Es wurde zur Erinnerung an Kollegen
errichtet, die bei der Explosion eines Kaufhauses ums Leben kamen.
Zu fast jedem Grab gibt es Geschichten. Besonders bleiben mir zwei
in Erinnerung: Das Grab der "Domino- Toten". Hier wurde
eine Frau bestattet, die beim Dominospielen einen tödlichen Herzinfarkt
erlitt. Die Spielsteinfolge ihrer letzten Partie ist auf der Grabplatte
verewigt. Und das Grab der Amelia la Milagrosa, die bei der Geburt
ihres Kindes starb. Sie wurde mit dem toten Kind zu ihren Füßen
bestattet. Als sie zwei Jahre später exhumiert wurde, fand man
das Baby an der Brust der Mutter. Seitdem wird das Grab als Wunderstätte
verehrt und täglich mit Unmengen an Blumen geschmückt.
Natürlich läßt sich ein Stop am Plaza de la Revolutión nicht verhindern. Der großflächige Kundgebungs- und Aufmarschplatz weist außer dem Marti- Monument und den umliegenden Regierungsgebäuden keine Besonderheiten auf. Das Innenministerium ist mit dem allgegenwärtigen Konterfei von Che Guevara geschmückt. Das ist das andere Cuba: sozialistisch-gigantomanische Ehrendenkmälern und Plattenbauten.
Wir beenden die Rundfahrt in der Altstadt von Havanna (Habana Vieja), die mit dem grössten städtebaulichen Ensemble des spanischen Kolonialstils einmalig in Mittelamerika ist. Sie wurde durch die UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Obwohl sich ein grosser Teil der alten Häuser in schlimmem Zustand zeigt, weht durch Havanna immer noch der Geist der vergangenen Zeit. Herrschaftliche Häuser in verspieltem Mestizbarock, Bilderbucharkaden und Plazas lassen Ästhetenherzen höher schlagen.
Und
dann die Oldtimer: Cuba ist ein Paradies
für automobile Nostalgiker. Die Blechkutschen stammen aus der
Zeit der Revolution, zumeist aus den 50-er Jahren. Nirgends gibt es
noch so viele dieser alten Straßenkreuzer, die - Rauchschwaden
hinter sich herziehend - durch die Straßen schaukeln. Das liegt
aber weniger an der Sentimentalität der Kubaner oder ihrer Liebe
zum "Schrauben" als an den fehlenden Mitteln für die
Beschaffung neuerer Autos. Die meisten Cubaner sind allerdings auf
öffentliche Verkehrsmittel, vor allem
Busse, angewiesen. Eine Besonderheit hier: die wegen ihrer Form so
genannten Camelos, ein Auflieger mit
Passagierraum auf einer Zugmaschine - so was hab ich noch nirgends
gesehen...
Mittagessen in dem urigen spanischen Restaurant "El Meson de
la Flota". Franlyt erzählt, er habe eine dänische Freundin,
die er bald heiraten wolle. Franlyt ist ein Schwarzer und - ein Unikum.
Seine künftigen Kinder würden wohl "Dalmatiner"
werden, meint er. Er ist ständig zu Scherzen aufgelegt, was natürlich
zu unserer heiteren Stimmung beiträgt. Unsere Fragen zu den politischen
und wirtschaftlichen Verhältnissen beantwortet er stets staatskonform.
Ein Kollege von ihm soll wegen zu offener Antworten und anschließender
Denunziation durch einen Touristen (!) seinen lukrativen Job als Reiseleiter
verloren haben. Wir verstehen. "Cuba Real" wird die Rundreise
vom Veranstalter betitelt. Sie wird jedoch (oder gerade deshalb?)
von einem staatlichen Reiseleiter begleitet - wohl auch mangels
erlaubter Alternativen.
Franlyt ist Anwalt. Viele Akademiker arbeiten übrigens in der Touristikbranche, als Reiseleiter, in den Hotels oder als Musiker, weil sie hier ungleich besser verdienen als in ihren studierten Berufen - vor allem durch Dollar- Trinkgelder.
Nach dem Essen geht es auf einen Streifzug durch die Altstadt. Die Eindrücke sind überwältigend. Der Weg führt über die Calle Mercaderes und Calle de los Oficios zum Ort der Stadtgründung El Templete an der Plaza de Armas. In dieser dorischen Kapelle wurde 1509 die erste Messe Havannas gelesen. Davor steht ein Ceiba- Baum, dem magische Kräfte nachgesagt werden und der einmal jährlich mit Zetteln geschmückt wird, auf die persönliche Wünsche geschrieben werden.
Die Mitte des Plaza de Armas schmückt die Statue von Carlos Manuel de Céspedes, dem "Vater der Nation", der 1868 seinen Sklaven die Freiheit schenkte und die Unabhängigkeit Cubas ausrief. Dies führte in der Folge zu einer 30 Jahre währenden Kriegsphase gegen die Kolonialmacht Spanien, in der José Marti, Antonio Marceo und Máximo Gómez zu Freiheitshelden der jungen Nation wurden. "Helden" gibt es in Cuba wirklich zahlreich! Gegen Ende des Krieges griffen die Amerikaner auf Seiten Cubas in den Krieg ein, der Beginn der US- amerikanischen Intervention auf der Insel. Als Folge wurde Cuba in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts völlig abhängig von den USA und entwickelte spätestens ab der Diktatur Batista´s mafiöse und korrupte Strukturen.
Wir
besuchen das Stadtmuseum im Palacio de los Capitanes
Generales. Die Museen in Cuba bestehen aus einer oft unstrukturierten
Ansammlung kolonialer Möbel, Gemälde und Gegenstände.
Mich hat keines wirklich begeistert. Da interessiert mich hier schon
eher das Holzpflaster vor dem Gebäude, das extra angelegt wurde,
damit die in dem früheren Adelspalast wohnenden Senoritas nicht
durch Hufgeklapper und ratternde Kutschenräder auf dem sonst
üblichen Kopfsteinpflaster gestört wurden. Eine afrokubanische
Gruppe tanzt vor dem Gebäude und kassiert im Minutentakt bei
den fotografierenden und filmenden Touris ab. Hier am Plaza de Armas
liegt auch das vor wenigen Jahren fertigrenovierte 5-Sterne-Luxushotel Santa Isabel, ebenfalls ein alter Adelspalast.
Die Kathedrale von Havanna
ist geschlossen, weshalb wir gleich weiterziehen
zur "Bodeguita del Medio".
Die Kneipe ist berühmt
geworden
durch den Umstand, daß Ernest Hemingway hier jeden Tag seine
Mojitos kippte. Aus diesem Grund kassiert man hier von den Touris
für den Longdrink auch gleich 4 $, statt sonst üblicher
2 $! Mojito besteht aus Rum (natürlich! Hier Ron genannt!),
Zucker, Limettensaft , frischen Minzblättern, Eiswürfeln
und Sodawasser und schmeckt wirklich fantastisch. Auf den Wänden
der kleinen Bar haben sich abertausende von Prominenten und Touristen
verewigt. Hemingway, der über 22 Jahre auf Cuba gelebt hat, zog
angeblich anschließend immer weiter zur Bar "El Florita",
wo er noch ein paar Daiquiris (Rum, Zitronensaft, gestoßenes
Eis) hinterherschob. So soll er besser habe schreiben können
- sagt Franlyt...
Über die Calle Obispo, den Touristenkorridor durch die Altstadt, geht es zurück zum Inglaterra. Der Abend steht zur "freien Verfügung" (klingt für Individualreisende verdächtig, oder?). Ich nutze ihn für ein Abendessen im Straßenlokal "La Mina" am Plaza de Armas und wähle ein typisches cubanisches Gericht, Schweinefleisch und mit schwarzen Bohnen untermischten Reis (moros y cristianos). Ausnahmsweise akzeptiert man hier auch Kreditkarten, was im übrigen eine absolute Ausnahme in Cuba ist. American Express Cards werden grundsätzlich nie akzeptiert. Bargeld = US-$ ist die Regel. Anschließend treffe ich mich mit Mitreisenden auf der Dachterrasse des Hotels, wo man mit einem Mojito oder Daiquiri in der Hand dem bunten Treiben auf der Strasse zuschauen oder sich im Takt des Son wiegen kann, der hier - wie an unzähligen anderen Orten der Stadt - von den Musikgruppen bis in die tiefe Nacht gespielt wird. Spanische Siedler und schwarzafrikanische Sklaven haben ihre Kulturen auf die Insel mitgebracht, ihre Bräuche und Traditionen, ihre Mythen und Musik. Sie verschmolzen zu den cubanischen Musik- und Tanzstilen, einer atemberaubenden Mischung! Der Sinngenuß auf der Dachterasse wird lediglich getrübt durch den ungünstigen leichten Wind, der den "Duft" der am Stadtrand gelegenen Raffinerie herüberträgt.
Nächster
Morgen. Ich mache mich auf, die Altstadt nochmals zu Fuß zu
erkunden. Nicht weit vom Prada entfernt liegt die Gedenkstätte
an den "Sieg der Revolution". So ist z.B. in einem Glaspavillon
die Granma zu sehen - das Boot mit dem
Fidel, Che und 80 weitere Guerilleros unter widrigen Umständen
nach Cuba gelangten - und ausgewähltes symbolisches Kriegsgerät.
Direkt daneben liegt der ehemalige Präsidentenpalast, der letzte
Regierungssitz Batistas, der nun das Museo de
la Revolución mit Original- "Reliquien" der
Revolutionäre beherbergt. Alles wird wie ein Heiligtum von bewaffneten
Soldaten bewacht.
Ich
schlendere durch die Straßen von Habana Vieja. Viele Fassaden
und Balkone der wunderschönen Häuser sind so baufällig,
daß herabfallende Teile mancherorts schon Schutthalden
bilden und Straßenzüge abgesperrt sind. Eine Schande. Leider
ist die Catedral de la Habana auch heute morgen geschlossen. Auf dem
davorliegenden Platz stimmen die ersten Musikanten ihre Instrumente.
Am Malecon weht ein heftiger Wind, der die Gischt über die Uferbrüstung
spritzen läßt. In den engen Gassen der Stadt merkt man
davon aber nicht viel.
Einen sehr interessanten Nachmittag verbringen wir in Atares (siehe separate Seite!), einem Stadtviertel von El Cerro (Stadtteil von Havanna).
Zurück im Inglaterra suche ich noch auf ein paar Mojitos die Straßenterasse des Hotels auf. Natürlich spielt auch hier eine Band. Rum (pur oder als Mixgetränk) wird in Cuba getrunken, wie bei uns Bier oder Wein. Die Cubaner haben drei besondere Vorlieben: Rum, Zigarren und Süßspeisen (incl. Eis, Torten, Desserts, süße Früchte). Viele Touristen noch eine weitere: cubanische Frauen.
"La Habana, es Cuba!" Diese brodelnde Lust der Habaneros am Leben wird in dem vor kurzem in deutscher Sprache erschienenen Roman Schmutzige Havanna Trilogie von Pedro Juan Gutiérrez geschildert. Die Sprache des Autors ist zugleich drastisch, abstoßend und anziehend - und (Vorsicht!) nichts für zarte Gemüter.
Die kubanische Campesino-, Son- und Salsa- Musik hat Wim Wenders in seinem Dokumentarfilm "Buena Vista Social Club" meisterhaft eingefangen. Der Film beinhaltet sowohl Impressionen aus Havanna als auch den erfolgreichen Versuch von Ry Cooder, alte, fast schon vergessene Musiker- Genies zu einem gemeinsamen, mitreißenden Auftritt zu vereinen.
Am nächsten Morgen beginnt unsere Rundreise mit dem ersten Tagesziel Cárdenas.