Prologue

La France, Frankreich, war für mich bis heute nicht das Reiseland Nr. 1 - zu Unrecht!

Französisch war in dem mathematisch-naturwissenschaftlich orientierten Zweig meines Gymnasiums damals nicht Unterrichtsfach. Aber im Laufe der Zeit habe ich mir einige touristisch relevante Redewendungen angeeignet - ohne die Sprache wirklich zu verstehen.

Meine erste Begegnung mit Frankreich war Ende der 60er Jahre anläßlich eines einwöchigen Besuchs bei der Tante eines Freundes in Paris. Sie war dort mit einem Manager der Air France verheiratet. Mein Freund Uli und ich waren damals gerade mal 13 Jahre alt, mitten in der Pubertät und leicht zu begeistern. Paris mit seiner historischen Kulisse hat uns sehr beeindruckt, aber noch mehr die französischen Mädchen in unserem Alter. Während die Mädels zu Hause in Schlabberpullis und in durch langes Sitzen in der Badewanne erzwungene Röhrenjeans herumliefen, bewegten sich die gleichaltrigen Französinnen in der Schule und im Alltag wie Models auf dem Laufsteg. Der Bürgersteig und die Schulflure waren ihre Catwalks, wenn auch teenyhaft, so doch attraktiv und für unsere provinziellen Verhältnisse in sexy Kleidern und Röcken. Unglaublich. Wir bekamen den Mund nicht mehr zu vor Staunen und ... Wahrscheinlich hielten uns die Pariser Jugendlichen für deutsche Bauerntölpel, nicht ganz zu Unrecht. "Excusez-moi, je ne comprends pas! Je suis allemand et je ne parle pas français." Das hatten wir auswendig gelernt, für alle Fälle...

Der Sohn des Hauses nahm uns mit zu einer Party. Dort wurde unter anderem Musik von Bob Dylan gespielt, den sie dort "Bob Dillooon" nannten, und von Johnny Halliday († 2017) dem französischen Schmuserocker, bei dem jeder Rock´n´Roll für uns wie ein Chanson von Adamo oder Aznavour klang, und den wir bis dahin nicht kannten. Wir fühlten uns damals auf dieser Party wie Fremdkörper zwischen den kleinen Alain Delons und Brigitte Bardots. Ein Rocksänger im Smoking mit weißem Hemd und Fliege? Das war wirklich neu für uns. Nun ja, die Französinnen umschwärmten ihn wie Motten das Licht. Viele Jahre später nahmen hunderttausende Fans Abschied von dem verehrten Sänger bei seinem Begräbnis in Paris.

Beim Abendessen mit der Familie standen immer Wasser, Rotwein und Baguettes auf dem Tisch, auch für uns Minderjährige, natürlich beschränkt auf ein Glas Wein pro Mahlzeit. Das war für uns wie in einer anderen Welt, aber wir mochten diese Tischsitte sehr und vermissten sie, als wir wieder zu Hause waren. In der damaligen BRD beschäftigten uns der Vietnamkrieg, die Studentenbewegung, die RAF, die atomare Aufrüstung der Supermächte, die Sehnsucht nach Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und freier Liebe, nicht aber Mode, Lifestyle und Ess-Kultur. Wir waren damals in jungen Jahren sehr politisch orientiert.

Wie heißt es in der französischen Nationalhymne? "Allons enfants de la Patrie, le jour de gloire est arrivé!" Nicht ohne Grund wird sie auch "Bluthymne" genannt, und jede Zeile steht für den Stolz der französischen Nation. Nationalstolz gab es in den 60ern bei uns nach dem verlorenen Krieg nicht mehr.

Nach dem Abitur bin ich mit drei Freunden eine verrückte Tour mit einem uralten VW-Bulli gefahren, über die Alpen und dann entlang der italienischen und französischen Mittelmeerküste - von Savona, Italien, bis nach Lloret de Mar in Spanien, ein unvergessliches Erlebnis. Auf unserer Fahrt durch Frankreich durchquerten wir Nizza, Marseille, Avignon, Carcassonne und viele andere Orte, die ich hier nicht alle aufzählen kann. In Menton, Monaco, haben wir italienische Mädels mitgenommen, die per Anhalter unterwegs waren. Wir parkten unsere alte Mühle direkt vor dem Casino der Fürstenstadt - eine bewusste Provokation. Beim Versuch, mit den Girls den Glücksspieltempel zu entern, wurden wir natürlich rausgeschmissen und mit unserem alten VW-Bus verjagt.

Einige Jahre später war ich noch einmal mit meiner damaligen Freundin über Silvester/Neujahr in Paris. Das hatte wesentlich mehr Stil. Wir feierten den Jahreswechsel in einem Jazzkeller im Quartier Latin, dem Studentenviertel. Es war wohl eines der letzten Jahre, in denen das neue Jahr ausgelassen auf der Straße gefeiert werden durfte. Am nächsten Morgen fanden wir dort eine Scherbenflut von zerbrochenen Champagner- und Weinflaschen vor. Die Pariser Jugend liebte es, ausgiebig zu feiern - das war nicht ganz ungefährlich und die Pariser Polizei zog daraus ihre Konsequenzen indem sie Flaschenwürfe für die Zukunft verbot.

Doch genug der Vorgeschichte. Als Silver Ager, der schon viel in der Welt unterwegs war, will ich nun endlich Frankreich näher kennenlernen und beginne mit einer Rundreise im Norden - sozusagen als Hors-d'oeuvre oder Amuse-Gueule. Frankreich steht auf meiner Bucket List. Es gibt noch so viel für mich zu entdecken im Land der Franzmänner und -frauen...

1. Tag, Sonntag, 10.09.2023

Ich habe eine Bus- Rundreise bei Studiosus Reisen, München, gebucht: "Normandie – Bretagne - im Überblick". Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit ("Ich will nicht Bahnfahren ertragen müssen") habe ich zudem eine Zugfahrt mit dem ICE nach Mannheim gebucht, denn von dort startet der Reisebus des Veranstalters nach Frankreich. Diese Entscheidung soll sich rächen.

Die Eisenbahner haben gerade im Tarifstreit fürstliche Lohnerhöhungen vor dem Schlichter durchgesetzt. Das muss doch bei den Bahnern den Ehrgeiz wecken, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Vor kurzem habe ich gelesen, dass der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen zwischen Tokio und Osaka immer pünktlich ist. In Japan seien Verspätungen so selten, dass selbst eine fünfminütige Verspätung von den Medien prompt als Hauptnachricht aufgegriffen wird. Da staunt man als Kunde der Deutsche Bahn, denn die DB stellt aktuell für ihre Fernverbindungen fest, dass nur 64 % ihrer Züge pünktlich sind. Ich schwitze Blut und Wasser, dass mein ICE105 rechtzeitig in Mannheim ankommt. Zudem habe ich extra mehr als eine Stunde Karenzzeit eingeplant, die ich der DB und mir als Verspätung zubilligen kann. Danach gäbe es ein Problem. Der Bus wäre weg.

Und so kommt es auch. Der Zug erreicht mit mehr als zwei Stunden Verspätung Mannheim Hbf - und der Bus ist weg.

Mit der Wahrscheinlichkeit, mit der man die berühmte Nadel im Heuhaufen findet, treffe ich zufällig einen Mitreisenden meiner Studiosus-Reise, den das gleiche Schicksal ereilt hat. Was nun? Es gibt nur zwei Möglichkeiten für uns, entweder von der Reise zurückzutreten (das kostet dann 50% des Reisepreises an Stornokosten) oder dem Bus mit dem Zug hinterher zu fahren. Nach telefonischer Rücksprache mit dem Veranstalter entscheiden wir uns für Letzteres und kaufen am Bahnhof die notwendigen Fahrkarten. Zunächst geht es mit dem ICE nach Offenburg und von dort mit dem französischen TGV über Paris nach Reims. Dann noch einmal umsteigen in einen Regionalzug und schließlich mit dem Taxi zum Hotel. Ankunft im Hotel gegen 21:30, in meinem Fall 14 Stunden nach Reisebeginn...

Die Reiseleiterin Christiane Föhr hat im Hotel auf uns gewartet. Was ich leider erst nach der Buchung der Reise bemerkt habe: Die maximale Teilnehmerzahl für diese Reise liegt bei 29 Personen (doppelt so viele wie ich es an Gruppengröße bevorzuge) und der Reisetermin ist ausgebucht. Am Ende sind es 26 Personen. Mal sehen, ob das gutgeht. Doch da muss ich jetzt durch... C'est comme ça, es ist, wie es ist.

Das Mercure- Hotel ist wirklich gut, schöne große, moderne Zimmer, Boxspringbetten, Bar und Restaurant okay. freundliches und aufmerksames Service-Personal.

Unser spätes, aufgewärmtes Abendessen im Hotelrestaurant ist nichts Besonderes. Aber wir sind froh, dass wir noch etwas bekommen.

Was wird uns in den nächsten Tagen kulinarisch erwarten? Natürlich nicht die französische Sterneküche eines Paul Bocuse... Eine solche Erwartung wäre auch unrealistisch. Spitzenküche verlangt Spitzenpreise. Aber ein wenig lokale Küche, auch ohne Sterne, würde ich mir im Land der Gourmets schon wünschen. Schaun mer mal...

Das Problem: Die Reiseveranstalter buchen für die besuchten Restaurants immer 08/15- Speisen, die Otto Normalverbraucher kennt und bei denen keine Unverträglichkeiten zu erwarten sind. Man will nichts riskieren. Exotische Gerichte und Speisen wie Seeigel, Muscheln und Schnecken, Froschschenkel, Insekten oder eine Frucht wie Durian wird man nie auf der Menükarte entdecken. Wem der Sinn danach steht, der muss sich auf zusätzliche eigene Kosten an einem anderen Ort verpflegen. Aber das weiß jeder Gruppenreisende.

Studiosus Reisen stellt einigen Reisegruppen einen ("Komfort-") Bus zur Verfügung, den ich als fahrende Litfaßsäule des Veranstalters bezeichne. Auch vor unserem Hotel in Reims steht ein solcher Bus. Man kennt z.B. von Profisportvereinen Busse, die mit den Namenszügen und Logos des jeweiligen Vereins geschmückt sind. Der Unterschied: Bundesligaspieler werden für die Vermarktung durch ihre Vereine fürstlich entlohnt, Studiosus-Reisende haben für ihre Reise bezahlt, nicht aber für die Vermarktung ihrer Person in einem Werbebus.

Aber wir haben Glück, denn unser Bus hat von außen ein neutrales Erscheinungsbild.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



2. Tag, Montag, 11.09.2023

Am Vormittag besichtigen wir die Kathedrale von Reims. Es ist der Startpunkt weiterer Kirchen- Besichtigungen während unserer Rundreise. Hier wurden die französischen Könige gekrönt, bevor die UNESCO die Kathedrale selbst zum Welterbe krönte. Einer Legende nach taufte im 5. Jh. der hl. Remigius als Bischof von Reims den Frankenkönig Chlodwig I. und salbte ihn mit einem "vom Himmel herab gesendeten Öl". Die Salbung, ein altes religiöses Ritual, gilt als wichtigster Akt bei der Königserhebung und wurde als sichtbarer Ausdruck des Gottes-gnadentums betrachtet, was das ältere Geblütsrecht als Legitimation der Königsherrschaft ergänzte und ablöste.

Aus der damaligen Salbung Chlodwigs leiteten die Reimser Erzbischöfe das Recht ab, in ihrer Kathedrale jeden neuen König von Frankreich krönen und salben zu können. Dieses Postulat hatte sich dann mit der Exekution Ludwig XVI. und der französischen Revolution erledigt.

Die Kathedrale von Reims gilt als Meisterwerk der Hochgotik, das von mittelalterlichen Baumeistern im 13. Jh. errichtet wurde. Mich erinnert dieses Bauwerk an Ken Folletts Roman "Die Säulen der Erde". Frankreich ist wirklich sehr reich an Kathedralen und diese ist besonders beeindruckend.

Reims liegt übrigens nicht in der Normandie, die Stadt gilt als inoffizielle Hauptstadt der Weinbauregion Champagne. Viele bekannte Champagnerkellereien (Veuve Clicquot, Taittinger, Pommery, Ruinart u.a.) haben hier ihren Hauptsitz und bieten Verkostungen und Kellerführungen an. Doch eine Teilnahme lässt unser Zeitplan leider nicht zu. Ich kanns verschmerzen, bin kein Champus-Freund...

Weiter geht es nach Rouen, der Hauptstadt der NORMANDIE.

An einer Autobahnraststätte wird ein Mittagsimbiss mit Sandwiches eingenommen. Der vom Wetterdienst angekündigte Regen setzt ein. Es ist das für Nordfrankreich typische Schauerwetter.



Ein Spaziergang durch die alte Stadt Rouen mit ihren Fachwerkhäusern führt zu einem spannenden Kirchenduo: der gotischen Kathedrale und der modernen Kirche Jeanne d'Arc.

Die Kathedrale Nôtre-Dame de l’Assomption zählt zu den bedeutendsten gotischen Sakralbauten Frankreichs. Hier ruht in einem Steinsarg das Herz (oder zumindest ein Teil davon) des englischen Königs Richard I., genannt Löwenherz, der 1199 in Aquitanien durch den Pfeil einer Armbrust verwundet wurde und an den Folgen des Wundbrandes starb. Damals war es ja durchaus üblich, den Leichnam einer bekannten Persönlichkeit zu filetieren und an verschiedenen Orten beizusetzen.

Richard I. war keineswegs der edle Ritter, als der er später verklärt wurde und heute als wohl bekanntester König des europäischen Mittelalters gilt, sondern ein erbarmungsloser und brutaler Herrscher. Bei der Eroberung von Akkon in Palästina fielen ihm ca. 3.000 muslimische Gefangene in die Hände. Wegen der Verzögerung der Zahlung von Lösegeld für diese und um gegenüber dem osmanischen Sultan Saladin seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, Jerusalem an die Kreuzfahrer zu übergeben, ließ er alle Geiseln kurzerhand niedermetzeln. Die Darstellung Richard I. durch den Schauspieler Sean Connery in der Robin Hood- Verfilmung von Kevin Reynolds ist dagegen von Edelmut und Güte geprägt. Doch im Mittelalter war man nicht gerade zimperlich wenn es um Leben oder Tod ging. Die Ermordung von Gefangenen gehörte im Abendland vielmehr zu den damaligen Gepflogenheiten.

40 km südöstlich von Rouen ließ Löwenherz die riesige Festung Chateau Gaillard bei Les Andeleys in 2 Jahren von 6.000 Arbeitern bauen. Die absolute Rekordzeit für ein Bauwerk, das sonst 20 bis 30 Jahre Bauzeit benötigt hätte, war nur mit Blut, Schweiß, Tränen und vielen tödlichen Baustellenunfällen unter den Arbeitern möglich. Die Festung sollte zur Verteidigung der englischen Besitztümer in der Normandie an der Grenze zum Herrschaftsbereich Philipp II, des französischen Königs, dienen. Doch Richard verstarb vor Vollendung des Bauwerks und dessen späterer Eroberung durch den Franzosenkönig.

Unweit der Kathedrale von Rouen steht die moderne Betonkirche Jeanne d'Arc an der Stelle, an der einst der Scheiterhaufen für die Nationalheilige errichtet wurde. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Ich meine, der Bau verschandelt den Vieux Marché, den Alten Markt.

Jeanne d'Arc, bei uns bekannt als Johanna von Orléans, wurde im Alter von 17 Jahren zur Heerführerin und Befreierin Frankreichs von der feindlichen Besatzung. Die junge Frau besaß nur eine geringe Schulbildung und hatte auch keine militärische Ausbildung genossen. Sie ritt todesmutig an vorderster Front gegen die Heere Englands und Burgunds. Ihr besonderes Charisma und ihre religiöse Begeisterung verliehen dem zerrütteten französischen Königtum eine Aura, die die von 100 Jahren Krieg geschundenen Untertanen wieder unter dem Königsbanner vereinte.

Nach ihrer Gefangennahme 1431 durch die Burgunder, die sie sodann an die Engländer verkauften, wurde Johanna wegen angeblicher Hexerei und Ketzerei in Rouen vor Gericht gestellt. Ihre Ankläger waren willfährige französische Geistliche, die sie zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilten. Karl VII., mittlerweile in Reims zum französischen König gekrönt, rührte keinen Finger, um Johanna zu retten... Was mich fassungslos macht, aber historisch nicht einwandfrei belegt ist: Als wäre die Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen nicht schon grausam genug, sollen die Henker die junge Frau nackt an den Scheiterhaufen gebunden und die Flammen anfangs extra kurz gehalten haben, um die Schaulust des sensationslüsternen Publikums an den Qualen Johannas zu befriedigen.

Das Historial Jeanne d'Arc im Erzbischöflichen Palast ist kein traditionelles Museum, sondern ein Performance- Parcours, auf dem man auf 5 Etagen Leben, Wirken und Sterben Johannas nachvollziehen kann. 500 Jahre nach ihrem Tod auf dem Scheiterhaufen hat die katholische Kirche ihre Hände in Unschuld gewaschen und Johanna heilig gesprochen. No comment. Das Museum ist leider Montags geschlossen. Dumm gelaufen für uns!

Sehenswert ist der Film "Johanna von Orleans" von Luc Besson mit seiner Ehefrau Milla Jovovich in der Hauptrolle, in den Nebenrollen u.a. John Malkovich, Dustin Hoffman, Timothy West und Faye Dunaway.

Unsere heutige Herberge ist das Hotel Gustave Flaubert ****, ein "Hotel litteraire". Den in Rouen geborenen Namensgeber des Hotels kenne ich seit meiner Reise nach Tunesien. Er schrieb u.a. den historischen Roman "Salambo" über eine kathargische Prinzessin und die Punier, wie die Katharger von den Römern genannt wurden. Flauberts bekanntester Roman ist "Madame Bovary"...

Das Hotel selbst: cosy, mitten in der Altstadt, nur fußläufig zu erreichen. Kleines Zimmer - Wasser kann man sich in einer Karaffe "frisch gezapft" an der Rezeption abholen - Kleine Lobby-Bar - Tische auch im Innenhof - Frühstück okay.

Zum Dinner ziehen wir in das nahegelegene Restaurant Les Maraichers, mit Blick auf den Hinrichtungsplatz. Normannische Entenbrust mit Apfel und Cidre ist eines der lokalen Traditionsgerichte. Fast alle werden mit Grundzutaten wie Butter, Sahne, Äpfeln, Fisch, Geflügel oder Lamm- und Kalbfleisch zubereitet, also allgemeinverträglich und schmackhaft.

Doch heute abend gibt es ein Mehrgang-Dinner ohne Besonderheiten, u.a. Rumpsteak mit Pommes und Kräuterbutter. Schade, wieder die Chance vertan, das so hoch geschätzte französische Essen zu verköstigen.

Der Unterschied zwischen Deutschen und Franzosen beim Essen? Ein Deutscher kennt kein preisliches Limit für das Motoröl seines Autos und spart dafür beim Speiseöl in der Küche. Der Franzose hält es genau umgekehrt... In Frankreich gaben die Verbraucher in 2022 etwa 15 % ihres Einkommens für Ernährung aus, in Deutschland waren es 11 %.

3. Tag, Dienstag, 12.09.2023

Die Fahrt führt von Le Havre über die größte Schrägseilbrücke Europas, die Pont de Normandie, nach Honfleur. Die Brücke spannt sich über die Mündung der Seine mit einer Länge von 856 Metern.

An unserem heutigen ersten Tagesziel, der malerischen Hafenstadt Honfleur, besichtigen wir in der Altstadt die größte Holzkirche Frankreichs, Sainte-Catherine. Sie ist etwa 600 Jahre alt.

Der normannische Regen wird uns nicht den ganzen Tag begleiten. Nach der Kirchenbesichtigung spazieren wir hinüber zum alten Hafen der Stadt, dem Vieux Bassin (Altes Becken), an dessen Kai Fischerboote und Yachten festgemacht sind. Monet, Boudin und andere Künstler stellten hier häufig ihre Staffelei auf und malten die maritime Szenerie. Honfleur ist eine bei den Parisern sehr beliebte Destination. Frischvermählte verbringen gerne ihre Flitterwochen in Honfleur.

Unsere Reiseleiterin meint, die Preise in der hiesigen Gastronomie seien trotz der großen Beliebtheit sehr moderat geblieben. Bei einem Preis von 19 € für Moules Frites und 11 € für den halben Liter gezapftes lokales Bier wage ich das zu bezweifeln. Hier gibt es auch belgisches Bier, z.B. Leffe und Affligem, und das unvermeidbare Heineken aus Holland.

Weiter dann, in Deauville, der Sommerfrische des internationalen Jetsets, insbesondere reicher Engländer und des Pariser Geldadels, laufen wir die hölzerne Strandpromenade Les Planches entlang. Die wurde errichtet, damit die feinen Badegäste nicht mit sandigen Füßen ihre Umkleidekabinen betreten mussten. Letztere tragen die Namen berühmter US- Schauspieler. Schließlich findet hier jedes Jahr das amerikanische Filmfestival statt. Na ja, vieles ist hier aufgesetztes Blendwerk, ein Retortenort mit künstlichem Belle-Epoque-Flair, der bis Mitte des 19. Jh. ein unbedeutendes Bauerndorf war. Inzwischen wurde das allgemeine Preisniveau dem Einkommensniveau der Urlaubsgäste angeglichen - wie auf Sylt...

Der schöne Strand von Deauville ist naturgegeben, sein weißer Sand wird sorgfältig gepflegt. Deauville und der angrenzende Nachbarort Trouville wurden auf die Bedürfnisse englischer Upper Class- Touristen ausgerichtet. Mit 3 Casinos, 4 Pferderennbahnen und einer langen Strandpromenade entspricht es offenbar genau deren Geschmack.

Wir haben heute Glück mit dem Wetter. Es regnet zwar zeitweise, aber nur, wenn wir mit dem Bus fahren. Der Wetterbericht sagt für die restlichen Tage unsere Reise eine maximale Tagestemperatur von 23°C voraus, somit eine starke Abkühlung um etwa 10°C. Das passt mir sehr gut, da ich gemäßigte Temperaturen bevorzuge.

Fragt man einen Normannen nach dem Wetter, wird er oft mit einem wissenden Lächeln antworten "In der Normandie ist es mehrmals täglich schön". Da in der Normandie mit häufigen Regenschauern und starkem Wind zu rechnen ist, braucht es eine gute Ausstattung, eine Regenjacke und einen sturmfesten Schirm z.B. aus der Regenschirm- Manufaktur Le Véritable in Cherbourg. Diese Schirme zählen zu den besten der Welt, sind aber auch wahrscheinlich die teuersten. Sie kosten mindestens 150 € (Stand 9/2023) und für bestimmte Modelle kann man sogar mehrere hundert Euro ausgeben. Es gibt jedoch in Deutschland auch sehr gute, sturmsichere Regenschirme zu einem günstigeren Preis zu kaufen. Hüten Sie sich aber vor den billigen Taschenschirmen der Straßenhändler. Die sind schon nach dem ersten Windstoß vom Winde verweht.

Wir befinden uns im Land der Apfelbäume. Eine Calvados-Produzentin erzählt uns vom Apfelschnaps aus der Normandie. Dann gibt es den einen und anderen Probeschluck der verschiedenen Altersstufen. Doch Vorsicht! Calvados ist kein Likör, sondern ein Branntwein mit 40 bis 45 Vol.-% ! Das entspricht einem hochprozentigen Obstbrand, wie wir ihn kennen. Zu seiner Herstellung wird frischer Apfelmost über mehrere Wochen zu Cidre vergoren und dann in einem zweistufigen Verfahren destilliert. Anschließend wird der Brand bis zu 6 Jahre in Holzfässern gelagert, auf Trinkstärke verdünnt und in Flaschen abgefüllt. Besonders edle Tropfen werden 10- 12 Jahre gelagert. Die kosten dann auch gleich 100 € pro Flasche. Ursprünglich hieß der Brand Eau de Vie de Sydre, erst Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich der Name Calvados durch.

Eines habe ich nicht verstanden. Warum fordert man hier explizit Rollstuhlfahrer auf, sich zu betrinken?

Beseelt vom Apfelbrand lassen wir in der Abbaye aux Hommes ("Abtei der Männer") in Caen den Geist der Romanik auf uns wirken. Das Benediktinerkloster wurde 1063 von Wilhelm II., genannt Wilhelm der Eroberer (William the Conqueror), gestiftet, der ab 1035 Herzog der Normandie war und von 1066 bis 1087 auch das Königreich England regierte. Er ließ sich in der monumentalen Abteikirche bestatten.

Sein Leichnam wurde ursprünglich in einem königlichen Sarkopharg beigesetzt. Den gibt es heute nicht mehr. Eine Grabplatte aus Marmor vor dem Hochaltar erinnert an den großen König "Hier ist der unbesiegbare Wilhelm der Eroberer, Herzog der Normandie und König von England, der Gründer dieses Hauses, begraben, der im Jahr 1087 starb". Heute beherbergt das repräsentative Abtei- Haupthaus das Rathaus von Caen.

Caen wurde von der deutschen Wehrmacht und SS-Truppen im WW2 dem Erdboden gleich gemacht. Die ab 1945 wieder aufgebaute Stadt entspricht nicht mehr dem historischen Original. Nur die Abteikathedrale blieb einigermaßen vom Bombenhagel verschont und steht heute noch so wie früher. 

Wir übernachten im Novotel Caen **** und essen dort auch zu Abend. Als Hauptgang gibt es Hühnchenbrustfilet an weißer Sauce mit Kartoffelpüree und Salatdeko.

Mein Urteil:

Hotelrestaurant: Essen mittelprächtig, Atmosphäre "Mensa"
Hotel: Kettenhotel am Ortsrand, mittelgroße Zimmer mit "Schrankklo" (gefühlt 1x1 qm groß) und recht kleinem Bad; Publikum: vorwiegend junge Leute <25 J., wie in einem Youth Hostel...

 

4. Tag, Mittwoch, 13.09.2023

Nach dem Frühstück geht es zunächst nach Arromanches. Der kleine Ort liegt am "Gold Beach", dem Landungsstrand der Engländer im Jahr 1944. Von einer Anhöhe haben wir eine gute Aussicht über die Küste.

Im nahegelegenen Bayeux begegnen wir ihm wieder, dem erfolgreichsten Feldherrn der Normannen, Wilhelm dem Eroberer, diesmal wie im großen Historienkino: Der Wandteppich von Bayeux  (Tapisserie de Bayeux) zeigt seit fast 1000 Jahren in Bild und Text auf 68 Metern Breite und in 58 Einzelszenen in kunstvoller Nadelstickerei die Eroberung Englands durch die französischen Normannen. In der Schlacht bei Hastings im Jahr 1066 besiegte das Heer von Herzog Wilhelm die Angelsachsen unter ihrem König Harald II. Fast ist man geneigt, sich bei den Darstellungen auf dem Teppich einen mittelalterlichen Comic vorzustellen.

Der Zutritt in den langen Ausstellungsflur ist mit Zeitfenstern reglementiert. Für uns gibt es Zutritt um 11:00. Jeder Besucher bekommt einen Audioguide in seiner Sprache. Der Text ist sehr informativ und zugleich unterhaltsam. Eigentlich endet die Chronologie der Eroberungen mit der Krönung Wilhelms als König von England, aber genau diese Szenen fehlen, so dass die ursprüngliche Länge des Wandteppichs unbekannt ist.

Der Teppich von Bayeux wird seit 1982 im eigens dafür errichteten Centre Guillaume le Conquérant in Bayeux ausgestellt (Fotografieren und Filmen verboten). Schauen Sie sich den Teppich als Online-Dokumentation an. Wilhelm war meiner Ansicht nach wirklich ein großer Heerführer. Den Verweis auf den Bayeux- Teppich, die Schlacht bei Hastings und die Jahreszahl "Ten Sixty-Six" kenne ich aus meinen Geschichts- und Englischbüchern - so wie auch "3-3-3 - bei Issos Keilerei". Unvergesslich...

Die Strände der Normandie haben bis in die jüngste Zeit eine große Bedeutung für die Geschichte Europas und seine Bewohner.

Von Bayeux bis zu den Landungsstränden der Alliierten sind es nur 25 km. Der Strandabschnitt zwischen Utah Beach und Omaha Beach war der Hauptlandeplatz der Amerikaner am D-Day, dem 6. Juni 1944. In östlicher Richtung folgen Gold Beach (Briten), Juno Beach (Kanadier) und Sword Beach (Franzosen und Briten). 170.000 Soldaten nahmen in der Operation Overlord, der größten militärischen Operation aller Zeiten, den Kampf gegen die deutsche Wehrmacht und SS-Einheiten auf und befreiten in der Folge Europa von den Nazis. Die Eroberung der Befestigungsanlagen des "Atlantikwalls" der Nazis wurde mit dem Tod Zehntausender alliierter Soldaten bezahlt.

Und dann, voilà! Mont St-Michel (UNESCO-Weltkulturerbe)! Das Kloster auf der Felseninsel, eine über Jahrhunderte gewachsene Ikone der Architektur, ragt steil in den normannischen Himmel. Wallfahrtsort, Festung, Gefängnis - eine spannende Geschichte mitten im Wattenmeer. Victor Hugo gab der Insel den Namen "Pyramide der Meere". 3,5 Mio. Menschen besuchen jährlich Mont St.Michel - totally overtourism, besonders im Juli und August.

Vom Festland fahren Shuttle- Busse über eine Brücke zur Insel. Wer keine Lust oder Kondition hat, die Stufen zur Abteikirche zu erklimmen, bleibt stattdessen unten. Bei Ebbe kann man vor den Mauern durchs Watt spazieren und die Felseninsel von hier aus bewundern.

Es gibt viel zu erzählen über die geheimnisvolle Klosterinsel. Das würde aber den Rahmen dieses Reiseberichts sprengen, so dass ich lieber auf einige empfehlenswerte Links verweise: wikipedia, viel-unterwegs, urlaubsguru und normandie-web.

Es gibt gute TV- Reportagen über den Mont St-Michel, z.B. bei Arte und 3Sat.
Sehr beeindruckend ist auch die Dokumentation "Wunderwerke der Weltgeschichte - Mont Saint- Michel, Klosterfestung am Atlantik", zuletzt auf ZDF Info. Sie ist sicher auch für längere Zeit in der ZDF- Mediathek zu finden.

Wir übernachten heute ganz in der Nähe im Hotel Mercure Mont Saint-Michel, das an einer zum Strand führenden, verkehrsberuhigten Straße in der Nähe der großen Besucherparkplätze liegt.

Zum Dinner gibt es im Hotelrestaurant u.a. eine so bezeichnete "Roulade vom Salzwiesenlamm". Das Gericht sieht aber eher aus wie ein verunglücktes "Pulled Lamb"...

Normalerweise schlafe ich in Hotelbetten immer recht gut, diesmal nicht. Eine Seite des Doppelbetts im Mercure ist wie eine Kuhle durchgelegen, die andere fällt nach außen ab. Da bleibt mir nur quer über beide Betten oder diagonal zu schlafen - mit dem Ergebnis von Rückenschmerzen am nächsten Morgen.

Die Normandie ist die größte Muschelregion Frankreichs. Fast im Überfluss gibt es wilde Jakobsmuscheln, Austern, Miesmuscheln und Venusmuscheln, daneben aber auch viele Fische und Schalentiere, u.a. Makrelen, Brassen, Barsche, Seezungen und Garnelen - die Normandie ist ein Paradies für Fans von Meeresfrüchten und Fisch. Genau mein Fall. Wir werden diese Köstlichkeiten allerdings nicht mehr in der Normandie, sondern nur an wenigen Orten an der bretonischen Küste verkosten. Der Tidenhub - Höhenunterschied zwischen Hochwasser und Niedrigwasser - beträgt hier unglaubliche 12 m. Nur an wenigen Orten der Welt ist er höher.

Berühmt ist die Normandie auch für ihren Käse, vor allem für den Camembert und den herzförmigen Neufchâtel.

5. Tag, Donnerstag, 14.09.2023

Heute heißt es: Auf in die BRETAGNE!


Wie jeden Morgen begrüßt uns Reiseleiterin C. im Bus mit "Bonjour Mesdames et Messieurs" worauf die ersten Reihen stereotyp und unisono (nach dem Muster von Kaspers "Seid Ihr alle da?" "Jaaaaaa!!!") "Bonjour Madame" antworten. Dann freut sich C. über den sprachlichen Lernerfolg ihrer Claqueure.

Historisch gesehen ist dies das Land des keltischen Stammes der Britonen, die ursprünglich aus dem heutigen Großbritannien stammten. Als sie im 5. und 6. Jahrhundert von den Angelsachsen verdrängt wurden, flohen einige Briten nach Frankreich und ließen sich in der heutigen Bretagne nieder. Die Kelten nannten die Bretagne einst Armorica – 'Land am Meer' oder auch sinnbildlich 'das Ende der Welt'.

Die heute 'Bretonen' genannten Einwohner urteilen über das regnerische Klima ihrer Region: "Es regnet nur auf die Dummen, die Schlauen verschwinden in der nächsten Kneipe". Also Wirtschaftsflüchtlinge?

Schneefall ist in der Bretagne weitgehend unbekannt, dafür ist die Luft vom Atlantik selbst mitten im tiefsten Winter viel zu mild. Ersatzweise gibt es an kalten wie an warmen Tagen den bretonischen Regen und Sturm. Der konstante Wind sorgt dafür, dass der Regen waagerecht fällt. Da hilft auch der mitgenommene große Schirm als Selbstschutz nichts. Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass die Bretagne vom Massentourismus weitgehend verschont geblieben ist. Hier machen vorwiegend Camping-, FeWo- und Wohnmobil- Fans Urlaub. Aber es gibt neben einigen lokalen Ausnahmen selbstverständlich auch größere Hotels der internationalen Ketten für Reisegruppen wie uns.

Doch in vielen dieser Hotels in der Bretagne sucht man die authentische, landestypische Atmosphäre vergeblich. Die Hotelanlagen sind oft darauf spezialisiert, möglichst viele Touristen möglichst effizient abzufertigen. Wie im Nachbarland, an Spaniens Küsten. Je mehr, desto besser. Am Buffet wird gedrängelt, das Essen ist meistens Convenience Food. Und das ausgerechnet in der Bretagne, wo so viele landestypische Spezialitäten ihre Herkunft haben... Aber dem kann man nur durch individuelle Urlaubsgestaltung entgehen (s.o.), die Leistungen des Veranstalters habe ich ja mit der Reisebuchung akzeptiert...

Sehr empfehlenswert ist der Austernmarkt von Cancale am Hafen La Houle. Hier genießt man frisch geerntete und gerade geöffnete (flache) Austern, verfeinert mit einem Spritzer Zitrone, direkt am Kai mit Blick auf die Austernparks in der Bucht des Mont-Saint-Michel.

Auch auf dem Markt von Dinan im historischen Stadtkern locken die Schätze der See und andere kulinarische Leckerbissen - von Artischocken bis Ziegenkäse. Wir sind begeistert von dem großen und immer frischen Angebot, von dem wir leider nichts mit nach Hause nehmen können.

In der Bretagne gibt es viele Crêperies, in denen man mittags leckere kleine Gerichte mit Galettes essen kann. Dazu wird in einem "Bolée" genannten Schälchen Cidre serviert. Der wesentliche Unterschied zwischen Crêpes und Galettes ist die Mehlsorte. Crêpes- Teig wird mit Getreidemehl und Galettes- Teig mit dem gräulichen Buchweizenmehl hergestellt. Buchweizen ist im Unterschied zu den Getreidesorten Weizen, Roggen, Dinkel u.a. kein Süßgras, sondern ein Knöterichgewächs - und daher glutenfrei, was Menschen mit Zöliakie entgegenkommt.

Cidre ist, wie schon erwähnt, eine Vorproduktionsstufe des Calvados. Nach der Ernte werden die Äpfel sortiert, gewaschen, mit Schale, Fruchtfleisch und Kernen zerkleinert und zu Most gepresst, der in Tanks (manchmal auch in Eichenfässern) zur Gärung zwischengelagert wird. Anschließend wird der so gewonnene Cidre in Flaschen abgefüllt und je nach gewünschtem Geschmack einige Wochen oder Monate im Keller gelagert. Es gibt mehrere Sorten: doux (süß), brut (trocken), fermier (nicht pasteurisiert) und bouché (klassische Flaschengärung). Die besten Cidres der Bretagne sind Cidre de Cornouaille AOP, Royal Guillevic und Prestige Carpe Diem.

Dann entern wir die Korsarenstadt St-Malo. Piraten überfielen damals auf eigene Rechnung unter der schwarzen Totenkopfflagge fremde Schiffe. Das war natürlich gegen das Gesetz und damit ein Verbrechen. Im Gegensatz dazu waren die Korsaren oder Freibeuter mit einem Kaperbrief ausgerüstet, einem Dokument, das eine Regierung einem Privatmann ausstellte, der damit das Recht zur Kaperung erhielt. Das bedeutet, dass der Kaperkapitän das Recht bzw. den Auftrag hatte, fremde Schiffe zu kapern (zu entern) oder zu versenken. Der Kaperfahrer handelte dabei offiziell im Auftrag des ausstellenden Staates. Gleichzeitig wurde dem Kaperkapitän Schutz in den Häfen der ausgebenden Nation zugesichert. Als Gegenleistung musste der Kaperkapitän einen Teil der Beute, die sogenannte Prise, an den lizenzerteilenden Staat abführen. An Bord wurde der Beuteanteil bzw. der Beuteerlös nach einem festgelegten Schlüssel verteilt. Also, "Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein."

Ja, ich gebe es zu, Sir Francis Drake, der englische Freibeuter Ihrer Majestät, Königin Elisabeth I., war in meiner Kinder- und frühen Jugendzeit der Inbegriff eines wagemutigen Haudegens, mein Actionheld - damals aber noch nicht aus der Marvel- Welt.

Bis ins 19. Jh. war das Korsarentum der Haupterwerbszweig der Einwohner von St-Malo, die in der "Seekriegsführung im Auftrag" einen erstklassigen Ruf genossen. Heute erinnert man gerne an die eigene ruhmreiche Seeräuber- Vergangenheit und verkauft an die zahlreichen Touristen alles mit dem Markenzeichen "Korsaren und Piraten". Souvenirläden, Bars, Pubs und Restaurants sind mit den furchterregenden Konterfeis der Kaperprofis geschmückt.

Nebenbei bemerkt: Natürlich haben Kaperer und die von mir hochgeschätzten und geliebten Kapern absolut gar nichts miteinander zu tun! Es gibt nicht einmal eine Namensverwandtschaft.

Jetzt sucht sich jeder erst einmal ein Restaurant fürs Lunch aus. In Frankreich öffnen alle Lokale erst um Punkt 12:00 Uhr. Dann stürmen als erste die Touristen hinein. In der Hochsaison stehen sie Schlange vor dem Einlass.

Ich entscheide mich für das Meeresfrüchte- Restaurant von Christophe Leclerc, das Cafe St. Malo. Eine gute Wahl. Es gibt riesige Portionen an Meeresgetier, serviert auf dreistöckigen Etageren. Ich wähle als leichtes Lunch den Klassiker "Moule frites" und als Dessert einen Eisbecher mit gesalzenem Karamelleis. Beides sehr lecker.

Was mir auffällt: offensichtlich stehen die hiesigen Hundehalter - oder sollten es Touristen sein? - auf "Handtaschenhunde". Sie haben alle das Idealmaß zum Verstauen in einer mittelgroßen Handtasche.

Die granitgrauen Mauern des Stadtwalls (Remparts) sind Ziel eines Spaziergangs für alle Bewegungsfreunde. Sie wurden im WW2 glücklicherweise kaum beschädigt. Weil sich die deutschen Besatzer in der Altstadt verschanzt hatten, zerbombten allierte Luftgeschwader ca. 700 Häuser, 80% der Stadt, zu einem einzigen Trümmerfeld. Kollateralschaden? Wohl kaum, das war gezielte Zerstörung... Unmittelbar nach Ende des Krieges begann der Wiederaufbau nach alten Plänen des 18. Jh.

Der Rundgang über den Stadtwall ist ca. 2 km lang und bietet einen großartigen Ausblick auf die Korsaren- und Handelsstadt, die Bucht und das Fort National. Wir sind im Revier von Kommissar Dupin, der Hauptfigur aus den Krimis von Jean-Luc Bannalec, die auch sehenswert verfilmt wurden. Von Dupin, dem Pariser Kommissar, der in die Bretagne zwangsversetzt wurde, habe ich gelernt, dass die Bretonen alle anderen französischen Staatsangehörigen "Franzosen" nennen, nicht aber sich selbst. Bretonen und Franzosen, das ist eine historische Hassliebe wie zwischen Katalanen und Spaniern.

Orts- und Richtungsschilder in der Bretagne sind immer "zweisprachig", französisch und bretonisch. Das unterstreicht die Eigenständigkeit der bretonischen Bevölkerung.

Hier ein paar Worte der bretonischen Sprache, der einzigen keltischen Sprache auf dem europäischen Festland (Aussprache in Klammern):
Guten Tag = Demat (Demat!)
Auf Wiedersehen = Kenavo (Kenavoh)
Vielen Dank! = Trugarez vras (Trügáres wa)
Prost/auf Ihre Gesundheit = Yec'hed mad dit! (Jeched mat dit!)
Bretagne = Breizh (Brees), besonders in der Abkürzung BZH in der Bretagne von großer symbolischer Bedeutung.

Lauschen wir dem Chanson "La mer" von Charles Trenet, das wie kaum ein anderes Lied die verschiedenen Stimmungen der See wiedergibt.

Weiter geht es nach St-Brieuc ins Novotel Saint Brieuc Centre Gare ****, das in einem restaurierten und totalsanierten Kasernengebäude aus dem 19. Jh. eingerichtet wurde. Die ehemaligen Mannschaftsstuben wurden zu Hotelzimmern umgebaut, besonderes Merkmal: eine unverputzte Wand in jedem Zimmer, die ein besonderes "Kerker-Feeling" aufkommen lässt.

Der Service beim Lunch ist "unter aller Kanone". Zunächst warten wir im fast leeren Restaurant eine 3/4 Stunde bis unsere Getränkewünsche aufgenommen werden. Dann beginnt das Drama mit den unvollständigen Speisefolgen. Bei der Vorspeise fehlt das angekündigte Rote Bete- Tartar, dafür gibt es Lachstartar. Okay. Aber beim Hauptgang wieder Lachs, diesmal gebraten, es fehlt das gedünstete Gemüse. Dafür liegt ein kleines Stück Sufflee auf dem Teller. Und beim Dessert fehlt die angekündigte Birnen-Mandel-Tarte und das Vanilleeis, was kommentarlos durch eine Extraportion Schlagsahne im "Eisbecher" ersetzt wird. Das Servieren der 3 vorbestellten Gänge dauert insgesamt ca. 2 1/2 Stunden. Angesprochen auf die eigenwilligen Menüabweichungen erklärt der Kellner, der Koch habe nicht ausreichend Vorräte gehabt um den ursprünglichen Menüplan zubereiten zu können... So einfach geht das im Novotel Saint Brieuc. Der Gast bekommt das, was da ist, nicht was bestellt wurde... Sind wir wie Marco Polo in einer Herberge auf der Seidenstrasse?

Der eine oder andere mag meine Rezensionen der servierten Gerichte in den gebuchten Restaurants für zu kritisch bzw. zu negativ halten. Ich beschreibe die Qualität und den Service jedoch neutral und nur gelegentlich mit meiner persönlichen Bewertung.

6. Tag, Freitag, 15.09.2023

Bizarre Felsbrocken, an denen Wind und Wellen meißelten, stapeln sich an der Côte de Granit Rose (Rosa Granitküste) fotogen übereinander. Es handelt sich um den Küstenabschnitt vor Lannion. Napoleons Hut, Totenkopf oder Elefant – was erkennt man in den rosa und rotbraunen Felsen? Beim Klippenspaziergang haben wir die spektakulärsten Formationen bestens im Blick.



In dem kleinen Küstenort Perros-Guirec machen wir auf den Restaurantterassen eine ungewöhnliche Erfahrung mit den Usancen der dortigen Gastronomie. Nur wer eine Mahlzeit bestellt, darf Platz nehmen. Ein Paar, bei dem der Herr etwas essen möchte, die Dame aber nur etwas trinken, wird zum Verlassen des Lokals aufgefordert. Eine wirklich merkwürdige Gastfreundschaft, die ich so bisher nirgendwo erlebt habe...

Weiter geht es zur alten Basaltkirche von Guimiliau.

Im Vorhof der Kirche befindet sich ein kunstvoller Kalvarienberg (Calvaire). Die Figurengruppen rund um einen altarmäßigen Sockel sowie eine darauf errichtete Kreuzigungungsszene zeigen die Passion Christi. Die 80 abgebildeten Charaktere sind im Stil des 16. Jhd gekleidet. Wir besichtigen das prachtvolle Innere der Kirche. Wie wurde soviel Prunk von einem Dorf finanziert? Die Reiseleiterin: man habe hier früher Tuch aus Flachs und Leinen, vornehmlich für Segel hergestellt und damit gut verdient. Außerdem habe es ein durch Spenden finanziertes "Wettrüsten" der Nachbarorte gegeben, wer die schönste Kirche für seine Gemeinde habe.

Wir fahren weiter nach Quimper (gesprochen "Kimpeer"), bretonisch Kemper.

In allen größeren Ortschaften der Bretagne gibt es Creperies oder Gelatteries. Die berühmten Galettes aus Buchweizenmehl sind eine vollwertige Mahlzeit und jeder kann dabei seine Lieblingsbeläge auswählen (Käse, Ei, Schinken, Jakobsmuscheln, Algen oder die berühmte Wurst Andouille de Guémené).

Und als Dessert? Da gibt es Crêpes aus Weizenmehl, garniert mit Salzkaramell- Creme, Äpfeln oder einfach mit Zucker. Am besten schmecken sie allerdings in einer echten bretonischen Crêperie. Im Gegensatz zu den herzhaft belegten Galettes sind Crêpes immer süß belegt.

Die bretonische und die normannische Küche unterscheiden sich nicht sehr voneinander. Es gibt nur wenige Besonderheiten.

So hat die Bretagne auch ihre eigene Cola, Breizh Cola, ausgesprochen "brees kola", der Klassiker aus der Brauerei Lancelot. Schmeckt für mich wie Pepsi und hat - wie oft behauptet - keinen eigenständigen Geschmack.

Es folgen zwei Übernachtungen in Quimper im Hotel Escale Oceania Quimper *** im Zentrum

- Minizimmer ohne Ablagefläche für den Koffer
- Keine Klimaanlage, aber ein Fenster zur Westseite
- Kein Tauchsieder für Kaffee/Tee
- Kein Kühlschrank
- Kein Tafel-/Mineralwasser auf dem Zimmer
- Klappriger Aufzug
- Mini-Rezeption

Dinner gibts im nahegelegenen Restaurant Le Sistrot: nichts besonderes - Salatteller, Seebarschfilet in Tomatensauce, Panna Cotta. Wieder nichts landestypisches, sondern 08/15... Das Bier zum Essen gibts nur lauwarm weil der Wirt seinen Weinkühlschrank nicht unter 10°C kühlen kann oder will... Warum auch dem Kundenwunsch folgen?


7. Tag, Samstag, 16.09.2023

Heute morgen findet in Quimper der obligatorische Stadtrundgang statt - wie es das Veranstalterprogramm verlangt. Fachwerkhäuser mit Blumenschmuck und eine Kathedrale mit schiefem Chor – so präsentiert sich uns Quimper am Morgen im Nieselregen.

Die Stadt ist berühmt für ihre Töpferei und Manufaktur, in der seit 400 Jahren Fayencen von Hand geformt und verziert werden. Sie sind meist blau oder mehrfarbig bemalt. Oftmals wird für Fayence der Begriff "Porzellan" gebraucht, doch Porzellan ist hochwertiger und edler, es besteht aus der seltenen Kaolinerde. Fayence wird zwar aus der gleichen Tonmischung hergestellt, lässt aber im Gegensatz zu Porzellan das Licht nicht durch, ist dicker und massiver.

Wer wie ich auf einen Stadtspaziergang im Regen gerne verzichtet, sucht sich einen Platz in einem Cafe am Kathedralenplatz, wo auch der Wochenmarkt stattfindet.

Mittags schlendern wir durch das "mittelalterliche" Dorf Locronan. Es sieht aus wie ein künstlich errichtetes Museumsdorf, ein Kulissendorf für einen Märchenfilm.  Früher beruhte der Wohlstand von Locronan auf der Herstellung hochwertigen Segeltuchs, heute beruht er auf den in Massen durch den Ort strömenden Touristen und genau solche Orte mag ich nicht. Sie sind zutiefst kommerzialisiert. Jedes Haus hat ein Ladengeschäft. Money, money, money...

Es fängt leicht an zu regnen als wir an der Felszunge von Pointe du Raz ankommen. Vor ihr steht auf seinem von der Brandung umspülten Felsen der berühmte Leuchtturm. Alle 3 Wochen wurden früher zwei Leuchturmwärter abgelöst. Sie wurden in einem Drahtkorb auf den Leuchtturm gezogen, weil man dort nicht mit dem Boot anlanden konnte.

Dinner in Quimper in Eigenregie. Ich entscheide mich für das kleine aber feine Thai-Restaurant Mamie Thai. Auf der handgeschriebenen Karte stehen 3 Vorspeisen, 5 Hauptgerichte und 2 Desserts - alles superfrisch und authentisch zubereitet. Der Chef berät mich auf Französisch und Englisch, eine tolle Gästebetreuung am Tisch wie man sie sich in jedem guten Restaurant wünscht!

Als Übernachtungshotel erwartet uns für eine weitere Nacht in seinen unklimatisierten Zimmern das Hotel Escale Oceania Quimper. Trotz aller Kritik an diesem Hotel: das Personal ist sehr freundlich und serviceorientiert.

 

8. Tag, Sonntag, 17.09.2023

Die heutige Tagesetappe beginnt mit einem Stop am Strand des kleinen Badeortes Bénodet. Das Wetter ist sehr unbeständig, es schauert zeitweise. Schade, denn der vorgesehene Strandspaziergang fällt so ins Wasser. Das Seebad an der Mündung des Flusses Odet in den Atlantik hat sich zu einem "Strandbad der Pariser" entwickelt.

Ein gefährliches Pflaster ist dagegen Concarneau – zumindest in den Romanen von Georges Simenon und Jean-Luc Bannalec, denn ihre Kommissare Maigret und Dupin gehen auch in der hübschen Altstadt von Concarneau und am Fischerhafen auf Mörderjagd.

Kommissar Georges Dupin, bekannt aus Bannalecs Bretagne-Krimis, z.B. "Bretonische Verhältnisse" und "Bretonische Brandung" hat hier seinen Wohnsitz und man findet dort außer seiner Polizeiwache auch das Restaurant "L' Amiral", in dem Dupin regelmäßig seinen Kaffee genießt. Mittlerweile ist das Restaurant zu einer wahren Pilgerstätte für Fans geworden. Von seiner Terraasse eröffnet sich den Gästen ein einmaliger Blick auf die Festungsmauern der mittelalterlichen Altstadt- Insel.

Beim Rundgang durch die Altstadt treffe ich auf einen Laden, der Fußpflege durch "Knabberfische" anbietet. Dazu stellt man seine Füße bis unterhalb der Knie in ein Aquarium, wo die Mini- Piranhas schon auf einen warten. Der Ladeninhaber empfiehlt einen vorherigen Toilettengang um die Blase zu entleeren. Offensichtlich hat die Knabberei eine besonders harntreibende Wirkung... Ich probiere es nicht aus.

In Pont-Aven entdecken wir reichlich malerische Ecken und folgen den Künstlerspuren von Paul Gauguin und seinen Malerkollegen im kleinen Museum der Malerschule. Ein mir nicht bekannter Künstler hat den Meister im Kreise seiner Jünger ganz in dessen Malstil beim "Letzten Abendmahl" dargestellt.

Einige von uns nehmen den beschwerlichen Fußweg zur Kapelle von Trémalo auf sich. Sowohl das Gebäude als auch sein Interieur finden sich auf Bildern der Schule von Pont-Aven wieder, insbesondere ist der seitdem als "gelber Christus" bekannte Christus am Kreuz auf mehreren Gemälden Gauguins zu sehen. Dann fahren wir weiter nach Vannes.

In Vannes hat der Veranstalter die Gruppe für 2 Nächte vom 4-Sterne-Hotel Marébaudière in das 3-Sterne-Hotel Escale Oceania umgebucht. Dies führt natürlich zu Unmut bei den Reiseteilnehmern. Studiosus hat jedoch eine nachträgliche anteilige Rückerstattung angekündigt (und später auch geleistet). Die Kette Escale Oceanic kennen wir bereits aus Quimper. Zunächst sind wir angenehm überrascht. Im Hotel werden wir mit einem Bolée Cidre begrüßt. Die nächste Überraschung folgt auf dem Zimmer: zwar sehr klein, aber immerhin mit Klimaanlage!

Die Enttäuschung folgt beim Abendessen im Hotelrestaurant. Der Hauptgang, Schweinefleisch in einer öligen Currysauce mit Reis, ist eine Schande und - mon dieux - kein Beispiel französischer Kochkunst, ganz im Gegenteil!


9. Tag, Montag, 18.09.2023

Zeitreise in die Frühgeschichte: Wer errichtete die Menhire von Carnac, die seit 7000 Jahren in Reih und Glied stehen?

Das besondere Merkmal der Steine ist ihre unglaubliche Anordnung. Carnac, das sind 3000 Menhire (hohe Steinblöcke, aus den Asterix-Heften auch als "Hinkelsteine" bekannt) und Dolmen (Grabstätten) auf einer Länge von über 4 km, die ca. 7000 Jahre alt sind. Sie stammen aus der Jungsteinzeit, lange vor den Kelten und Römern. Die Steine sind bis heute ein eindrucksvolles Zeugnis der Megalithkultur auf dem europäischen Kontinent. Nirgendwo in Europa gibt es so viele Megalithen wie in der Bretagne. Ihre Funktion ist bis heute ein Rätsel. Könnte Mathematik hier der Schlüssel sein? Die Menhire waren bzw. sind zwischen 6 und 20 m hoch, wobei der mit Gravuren verzierte Menhir von Locmariaquer mit 20,6 m Höhe und 280 t Gewicht den Rekord hält.

Nach einem Besuch im "Maison des Mégalithes" in Locmariaquer, wo wir in einer Filmvorführung über die Steinreihen informiert werden, besichtigen wir einen kleinen Teil der Anlage und bewundern den "Grand Menhir Brisé", der vermutlich einem Erdbeben zum Opfer fiel und umkippte. Dabei zerbrach er in 4 Teile.

In unmittelbarer Nähe befinden sich der Dolmen (megalithisches Steingrab) "Table des Marchands" mit seinen Verzierungen in der Grabkammer sowie die Überreste des einst 170 m langen Steinhügels Tumulus d'er-Grah.

DolmenEin Dolmen besteht üblicherweise aus großen aufgerichteten Steinen, auf denen große Decksteine ruhen. Begraben unter einem Berg aus Bruchsteinen ist der Dolmen von Locmariaquer zu einem Hügel mutiert, der er vielleicht nie war. Ende des letzten Jahrhunderts beschloss man, ihn zum Zwecke der "Rekonstruktion" nach dem Vorbild der nahegelegenen berühmten Megalithanlage von Gavrinis so zu bedecken. Über solche Art der "Restaurierung" kann man unterschiedlicher Meinung sein. 

Beim anschließenden Picknick mit Käse, Pasteten, frischen Baguettes und Rotwein genießen wir die französische Lebensart. Es muss nicht immer Etepetete sein, Hauptsache die Qualität stimmt...

Am Nachmittag besuchen wir einen der Austernparks von Carnac. Der Austernzüchter Jénot erklärt uns die Aufzucht und Ernte dieser besonderen Meeresfrüchte. Um den Geschmack der Austern zu verfeinern, verweilen sie nach der Ernte oft in speziellen Becken mit mineral- und nährstoffreichem Wasser, den sogenannten Clairs. Bei sorgfältiger Pflege und Kontrolle sind Austern ein sehr gesundes und hochwertiges Nahrungsmittel.

Während wir kosten, verrät uns Monsieur Jénot Tricks zum Öffnen und Schlürfen der zackigen Muscheln, feinsalzig und aromatisch, mit Biss und dem frischen Duft nach wildem Meer. Jede Auster schmeckt je nach Herkunftsgebiet anders – von sehr intensiv, mineralisch, salzig bis hin zu fein, süßlich und mild. Jede Auster "ist, was sie isst", meint Jénot.


In der Bretagne werden hauptsächlich folgende Austern (huître) gezüchtet:


1. huître creuse, (pazifische) Felsenauster

Crassostrea gigas, die "gängige" Austernart mit einer tiefen Schalenform; hat ein helleres Fleisch, ihr Geschmack ist weniger ausgeprägt; ideal für Austern-Neulinge

2. huître plate, flache Auster

Ostrea edulis, gilt als hochwertigere Auster und ist teurer; "wilde Auster", die nicht auf den Zuchtgerüsten der Austernbänke, sondern im Sand wächst; sie schmeckt leicht nussig, ist jodhaltiger und etwas fester als die Felsenauster.

Kenner empfehlen, rohe Austern mit einem Spritzer Zitrone, einem Schuss Tabasco, einem Tropfen Worcestershiresoße, scharfer Tomatensalsa oder heller Sojasoße zu genießen. Übliche Portionsgrößen sind 6 oder 12 Austern.

Doch auch das soll hier nicht verschwiegen werden: Der Austernliebhaber kann sich mit einer "schlechten" Auster schwer vergiften. Sie enthält das Gift Saxitoxin. Durch Kochen der Muscheln wird das Gift leider nicht entfernt. In ganz seltenen Fällen sieht man es der Muschel nicht an und riecht nicht, dass sie verdorben ist. Das ist meinem Schwiegersohn einmal in einem Sternerestaurant in Paris passiert. Seitdem mag er keine Austern mehr...

Ich selbst habe bis jetzt Glück gehabt. Heute genieße ich fast ein Dutzend. Sie schmecken herrlich frisch. Wir schlürfen und kauen sie ohne Geschmacksverstärker.

Heute sind wir ziemlich früh zurück im Hotel. Ich will mir die französischen Supermärkte anschauen. Dazu fahre ich zu einem Carrefour City und anschließend zu einem Monoprix. In beiden Märkten werden die Kunden mit Kameras überwacht und von Detektiven offen beobachtet - wie potenzielle Ladendiebe. Hinter den Kassen steht ein Wachmann, der verdächtige Kunden direkt in sein Büro führt. So etwas habe ich in Deutschland noch nicht erlebt. Das kann nur an der Gegend (Innenstadt von Vannes) liegen. Ladendiebstahl sei hier leider sehr verbreitet, sagt die Reiseleiterin. Das liege an den vielen Franzosen aus den ehemaligen Kolonien, die hier unterprivilegiert seien. Ich fühle mich hier nicht wohl.

Montags haben fast alle Restaurants geschlossen. Es wäre schwierig, ein gutes Fischrestaurant zu finden.

Doch heute Abend besuche ich Jean-Marie, einen alten Bekannten, der als Hobby genauso gerne kocht wie ich. Er wohnt etwas außerhalb von Vannes in Arradon, ich nehme ein Taxi. Anlässlich unseres Wiedersehens habe ich mir zum Dinner einen blauen Atlantikhummer ( Homard à l’armoricaine ) gewünscht - natürlich gegen Kostenbeteiligung - und Jean ist meinem Wunsch gefolgt. Er hat eine große Meeresfrüchteplatte zubereitet.

How to eat a lobster? Diese Frage stellt sich jedem Lobster- Novizen, der den Hummer selbst zerlegen muss. Eigentlich ist es ganz einfach! Zuerst dreht man die beiden Scheren und die 8 Beine vom Körper ab, dann greift man mit der linken Hand den Körper und dreht mit der rechten Hand den Schwanz ab. Das Fleisch läßt sich nun auslösen. Mit einer Hummergabel pult man das Fleisch aus Scheren und Beinchen. Das war's! Jetzt nur noch genießen. Etwas gesalzene Butter und Baguette und eine kleine Portion Salat, das ist alles.

Jean hat heute Abend noch zwei weitere Gäste: Buster und Gretchen aus Boston, MA, USA. Ich kann es kaum glauben, Gretchen könnte ein Double von Tina Turner sein, rein äußerlich, gesanglich kann ich es nicht beurteilen. Sie wird heute Abend auch keine Gesangsprobe geben. Tina T., die größte R&B-Sängerin, die ich zuletzt 2000 im Londoner Wembley-Stadion gesehen, gehört und bewundert habe und die im Mai dieses Jahres verstorben ist...

Natürlich kommt das Gespräch zwischen Buster, Gretchen und mir schnell auf das Thema Lobster. "What do you think which damn lobster is the best, Maine lobster or Breton?" Die Wahl der US- Jury fällt natürlich auf den Oststaaten- Hummer. America first! Da bin ich mir nicht so sicher. Seit meinem Besuch des Maine Lobster Festivals 2013 in Rockland kann ich da mitreden. Für mich steht der Geschmacksvergleich Maine Lobster vs. Homard Breton 1:1. Beide Vertreter ihrer Art gehören zur kulinarischen Weltspitze!

Nach einem sehr schönen gemeinsamen Abend bin ich kurz nach Mitternacht wieder im Hotel Escale Oceania Vannes. Der vergangene Tag war ein kulinarischer Glückstag abseits des Mainstreams der Gruppenreisen und damit der Höhepunkt der Reise.

10. Tag, Dienstag, 19.09.2023

Nach einer für mich sehr kurzen Nacht verlassen wir Vannes schon um 8 Uhr. Heute haben wir eine längere Busfahrt vor uns. Den Abschied von der Bretagne versüßen uns besondere Zwischenstopps auf dem Weg:

In der Kathedrale Saint-Julien du Mans in Le Mans genießen wir die erhabene Stille - weitab vom Lärm der Rennstrecke. Es ist eine der größten Kathedralen in Frankreich. Die Besonderheit: sie wurde im 12./13. Jh. errichtet und hat ein romanisches Langhaus und einen gotischen Chor. Von höchstem Rang und größter Seltenheit ist die Ausmalung der Gewölbe in der Marienkapelle mit singenden und musizierenden Engeln auf rotem Grund. Die Kapelle wird derzeit restauriert.

Nach dem Kirchenbesuch sitze ich bis zur vereinbarten Weiterfahrt auf einer Mauer, neben mir ein Farbiger, der mich auf Französisch anspricht. Ich sage ihm, dass ich seine Sprache nicht spreche. Woher ich käme, fragt er auf Englisch. Deutschland! "Heil Hitler! I like Hitler!", antwortet er clownesk mit erhobenem rechten Arm. Eine Zuneigung, die sein Idol wohl kaum mit ihm geteilt hätte. Ob er das weiß? Wohl kaum...

Wir fahren weiter nach Chartres. In der Kathedrale Nôtre-Dame (UNESCO-Weltkulturerbe) tauchen wir ein in ein buntes Lichtermeer. Ihre 176 Fenster funkeln wie Edelsteine. Die Handwerker fügten der heißen Glasmasse eine Mischung aus Asche und Kobalt aus dem Erzgebirge bei und schufen so eine neue, reine Farbe, das Chartres-Blau. Die Architektur der "Akropolis Frankreichs" beruht auf besonderen Zahlenverhältnissen, die bis heute nur ansatzweise entschlüsselt sind. Die Baumeister der Kathedrale sind unbekannt.

Wir übernachten im Hotel Grand Monarque Chartres ****, einem verbliebenen Belle-Epoque-Hotel in der Nähe der Kathedrale. Viel Gelsenkirchener Barock, dunkle Tapeten, Plüsch und Teppiche. Das Personal trägt dunkle Anzüge mit weißen Hemden. Alles hat irgendwie Charme und strahlt eine Gemütlichkeit aus, die man in modernen Hotels oft vermisst.

Der größte Teil der Gruppe isst heute Abend auf eigene Kosten in dem viel gelobten Restaurant des Hotels, so auch ich. Die Preise sind recht hoch, aber das Essen ist ausgezeichnet.

Wie sagte neulich der Reiseleiter eines anderen Veranstalters? Bei der Planung von Hotels und Restaurants für eine Gruppenreise müssen die ersten beiden und die letzten beiden top sein, am Anfang zur Einstimmung auf die Reise und am Ende, damit die Reise in guter Erinnerung bleibt. So war es auch bei unserer Nordfrankreich-Tour, wobei der vorletzte Abend auf unsere und nicht auf Kosten des Veranstalters ging.

11. Tag, Mittwoch, 20.09.2023

Im Schloss Vaux-le-Vicomte versetzen wir uns zum Finale in die Zeit Ludwig XIV. und seines Finanzministers Nicolas Fouquet. Dieser hatte das herrschaftliche Schloss quasi als Einfamilienhaus für sich errichten lassen. Dessen Fertigstellung feierte er mit 6.000 (!) geladenen Gästen mit einem rauschenden Fest, an dem auch der König teilnahm. Ludwig XIV. war aus seinem Schloss Fontainebleau angereist. Er ließ gerade sein neues Schloss Versailles bauen und fühlte sich durch die Zurschaustellung des Prunkschlosses seines Ministers brüskiert. Drei Wochen nach dem Fest ließ er Fouquet wegen der "Veruntreuung von Staatsgeldern" verhaften und lebenslang einkerkern. Die Baukosten für Vaux-le-Vicomte hätte Fouquet niemals allein aufbringen können. So schnell kann es mit Ruhm und Reichtum vorbei sein.

Dann geht es weiter in die lothringische Hauptstadt Nancy ins Hotel Mercure Nancy Centre Gare ****, ein gutes Hotel, das allen gefällt.

Unser Abschiedsdinner findet im Grand Café Foy am Place Stanislas (UNESCO-Welterbe) statt. Es gibt

- Jakobsmuscheln im Gemüsebett
- Filet vom Loup de Mer auf Risotto
- Rumtörtchen

Das Dinner ist wirklich gut gewählt und ein gelungener Abschluss unserer Nordfrankreich- Rundfahrt.

Die Ankündigung der Reiseleiterin C., dass die Rückfahrt mit dem Bus am nächsten Morgen bereits um 7:30 Uhr geplant sei, stößt jedoch auf Verärgerung. Viele Mitreisende hatten wie ich Bahnfahrten mit Zugbindung gebucht, die - wie vom Veranstalter angekündigt - von einer Ankunft des Busses in Mannheim gegen 13:00 Uhr ausgingen, nicht aber um 11:00 Uhr. Mein gebuchter ICE sollte um 14:30 Uhr abfahren. Die so frühe Abfahrt des Busses von Nancy nach Mannheim hätte also außer mir auch vielen Mitreisenden am Mannheimer Hauptbahnhof eine zusätzliche Wartezeit von 2 Stunden beschert. Wie sich im Nachhinein herausstellt, wohnt die Reiseleiterin C. in der Nähe von Mannheim und gewinnt durch die frühere Ankunft - ebenso wie der Busfahrer - einen frühen Feierabend...


12. Tag, Donnerstag, 21.09.2023

Die Studiosus-Reiseleiterin lässt sich von den Protesten der Reisegruppe nicht umstimmen. Pünktlich um 7.30 Uhr fährt der Bus in Nancy ab. Unsere Reise endet am Vormittag kurz nach 11 Uhr im 260 Kilometer entfernten Mannheim am Zentralen Omnibusbahnhof neben dem Hauptbahnhof. Hier beginnt die letzte Etappe, die selbstorganisierte Heimreise der Reiseteilnehmer.

Ich kaufe mir im DB-Servicecenter eine Fahrkarte für eine frühere Zugverbindung nach Hause, will nicht 3 1/2 Stunden meiner Lebenszeit in einem wenig einladenden Bahnhof wegen der Egoismen der Reiseleiterin verbringen. (Positiv: Der Veranstalter Studiosus Reisen erstattet mir später den Fahrpreis!)


Fazit:

Nie mehr am selben Tag mit der Bahn anreisen, wenn das Ziel zu einer bestimmten Zeit erreicht werden muss, auch nicht mit einer eingeplanten Karenz- oder Verspätungszeit! Um unnötigen Stress zu vermeiden, empfehle ich grundsätzlich eine Auto- oder Bahn- Anreise zum Start- bzw. Zielort bereits am Vorabend und eine Zwischenübernachtung in einem nahe gelegenen Hotel!

Zur Reise selbst: Wie so oft wird auch diese Reise von Studiosus mit den schönsten, euphorischsten, schwülstigsten positiven Beschreibungen angepriesen, die sich im Nachhinein als "Bauernfängerei" entpuppen. Die gebuchten Hotels entsprechen selten den Erwartungen, das Abendessen in den Hotelrestaurants ist nicht landestypisch, sondern der kleinste gemeinsame Nenner für Speisen, die für deutsche Reisende keine Überraschung bieten sollen. Studiosus misst sich nicht an den selbst gestellten Postulaten der Begegnung mit den Menschen der Reiseländer, ihrer Kultur, ihren Lebens- und Essgewohnheiten. Der Veranstalter führt vor, aber nicht ein in deren Kultur. Je suis vraiment désolé!

Merkwürdig erscheint mir auch, dass angesichts der hohen Preise der Studiosus-Reisen das zahlungskräftige Publikum nicht viel kritischer mit seinen Eindrücken umgeht und diese auch offen äußert. Vermutlich will man "gepampert" werden und ansonsten einfach seine Ruhe im Zuschauer- Sessel haben. Schade, denn so wird aus einem Reiseveranstalter für anspruchsvolle Studienreisen ein Seniorenreiseservice, der lediglich ein Rundum-Sorglos-Paket bietet. Fehlt nur noch die ärztliche Begleitung...

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Das sind meine Reiseliteratur- Empfehlung für die Normandie und Bretagne:

- Normandie, Marco Polo, Stefanie Bisping, 15. Auflage 2023

- Bretagne, Michael Müller, Marcus X. Schmid, 12. Auflage 2023

- Dupins Bretagne. Ein Reiseführer, Kiepenheuer & Witsch, Jean-Luc Bannalec,
2. Auflage 2023



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