Tag 7: Fr, 05.03.2010

Der Jet der indischen Fluggesellschaft Kingfisher Airlines bringt uns nach Bagdogra am Rande des Himalaya. Kingfisher´s Slogan "Fly Five Star" ist für uns nicht nachvollziehbar, Sitzabstand und Bordservice erinnern eher an eine europäische Billig- Airline. Am Flughafen werden wir von Mitarbeitern der örtlichen Reiseagentur begrüßt, die uns nach alter Tradition weiße Seidenschals umhängen - ein Symbol der Wertschätzung. Unser sympathischer local guide heißt Udai und wird sich im Laufe der nächsten Tage als äußerst sachkundig erweisen. Er spricht nur englisch, das macht aber nichts, da die meisten von uns ihn gut verstehen. Wir sind im äußersten Norden des Bundesstaats Westbengalen am Südrand des Himalaya.

Mit unserem Gepäck werden wir auf 3 SUVs verteilt, deren Fahrer uns auf gewundenen Serpentinenstraßen durch eine wunderschöne Berglandschaft nach Darjeeling bringen werden. Bei den hiesigen Straßenverhältnissen brauchen wir für die 90 km Strecke 3 Stunden Fahrzeit. Die Fahrbahndecke ist durch tiefe Schlaglöcher und provisorisch ausgebesserte Bergrutsche gekennzeichnet. Bei Gegenverkehr wird von den Fahrern millimetergenaues Bugsieren abgefordert. Kühe oder Wasserbüffel gibt es auf den Straßen hier nicht. Unser Mittagessen nehmen wir auf einer Aussichtsplattform ein. Die Fahrer haben Lunchpakete mit Sandwiches, Ei und Banane mitgebracht. Völlig ausreichend.

Die Physiognomie der Bevölkerung in der Himalayaregion ähnelt eher den Nepalesen und Tibetanern als den Indern. Das erklärt wohl auch, dass dieser Teil Indiens keine starke Verbundenheit zum Vaterland entwickelt hat obwohl sich 1973 ca 97 % der Bevölkerung für den Anschluss Sikkims an Indien ausgesprochen haben.

Das nördliche Westbengalen ist neben Sikkim das Siedlungsgebiet der Gurkhas oder Gorkhas, einer ethnischen Bevölkerungsgruppe, die um ihre Unabhängigkeit von Indien streitet. "We want Gorkhaland!" liest man an vielen Hauswänden und auf Plakaten am Straßenrand. Noch Mitte der 80er Jahre hat es blutige Auseinandersetzungen mit der indischen Zentralregierung gegeben. Damals beendete man die Kämpfe indem man der Region eine größere Autonomie zuerkannte. Die Soldaten der Gurkha- Regimenter waren übrigens in den Kriegen des 20. Jhdrt. auf britischer Seite als äußerst zäh und genügsam bekannt.

Unterwegs treffen wir auf die Schmalspurschienen der Darjeeling Himalayan Railway und kurze Zeit später auf den legendären Toy Train, dessen Dampf-Lok gerade ihren Kessel mit Wasser aufgefüllt bekommt. Die Bahnstrecke wurde vor ca. 120 Jahren von den Engländern für den schnelleren Teetransport gebaut, sie führt von Shiliguri nach Darjeeling, entlang der Straße und mitten durch die kleinen Ortschaften. Es sind immer noch die ursprünglichen alten Loks, die sich laut schnaufend und keuchend das Gefälle hocharbeiten. Bei Defekten wird es deshalb zunehmend schwieriger, Ersatzteile zu bekommen. Das Bähnchen wird von der UNESCO als Weltkulturerbe eingestuft.

Am späten Nachmittag erreichen wir Darjeeling. Die Stadt liegt auf 2.135 m Höhe und hat 110.000 Einwohner. Ihre Häuser ziehen sich wie Schwalbennester über mehrere Kilometer entlang eines steilen Berghangs. Steil aufsteigende Straßen, Gassen und Treppen verbinden die einzelnen Ortsteile. Wegen seines angenehmen Klimas wurde Darjeeling nicht nur zum Anbaugebiet für den bekannten Spitzentee, sondern auch zu einem Erholungsort für die Menschen aus der im Sommer heißen und schwülen Tiefebene.

Unser Hotel für die nächsten zwei Tage ist das ***Hotel Cedar Inn, ein urgemütliches altes, mit viel Holz ausgebautes Haus, in dem wir uns rundum wohl fühlen. Um diese Zeit sind noch nicht viele Touristen in Darjeeling. So haben wir mit unserer kleinen Gruppe das Hotel fast für uns allein. Das gesamte Hotelpersonal kümmert sich darum, uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Unsere Zimmer haben jeweils zwei Ebenen und einen herrlichen Ausblick auf die 8.000er. Auf der unteren Ebene gruppieren sich Sitzmöbel um einen offenen Kamin. Für das Feuermachen ist ein Boy zuständig, der mit seiner Lederschürze und einem Korb voller Kaminholz schon vor unseren Zimmern wartet um seinen Job machen zu können. Unser Dinner nehmen wir auch hier im Hotel ein. Wir werden von zwei Tischkellnern bedient, die permanent beobachten, wo sie nachlegen oder nachgießen dürfen. Dazu spielt ein chinesisch aussehender Pianist am Flügel. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren: das Szenario hat in dieser Umgebung schon etwas von kolonialer Dekadenz. Wir geizen nicht mit Trinkgeldern. Als wir nach einem Absacker in der Bar aufs Zimmer kommen, liegt für jeden eine heiße Wärmflasche in seinem Bett. Wir sind sehr angetan von diesem Service.

Was wir übrigens häufig in den Hotelzimmern in Indien festgestellt haben: Die Schränke riechen nach Mottenkugeln - wohl nicht von ungefähr.

Tag 8: Sa, 06.03.2010

Während der Nacht gehen die Temperaturen in Darjeeling jetzt noch bis 5° C zurück. Trotz Kaminfeuer und Wärmflasche wird es für mich ungemütlich. Ich muss wiederholt das WC aufsuchen und bin am Morgen so geschwächt, dass ich mich für das Vormittagsprogramm ausklinken muss. Günter hats auch erwischt.

Der Rest der Gruppe bricht schon kurz vor 5 Uhr zum Tiger Hill auf. Dort erleben sie einen imposanten Sonnenaufgang mit herrlichem Blick auf die Himalaya-Berge, den Kangchenjunga, mit 8.586 m drittgrößter Berg der Erde und nach hiesigem Glauben Sitz der Götter, und andere schneebedeckte Gipfel. Begeistert kehren meine Mitreisenden zum Frühstück zurück ins Hotel.

Dann geht es für sie weiter zu einer kurzen Fahrt mit dem Toy Train. Hiervon berichten Sie später, dass sie Mühe hatten, den von der Lokomotive ausgestossenen Russ von der Haut und aus den Kleidern zu entfernen. Diejenigen, die auf der Bergseite der Waggons gesessen haben, sollen von der Landschaft nicht viel mitbekommen haben. Dennoch war es für unsere Zugfahrer ein Erlebnis.

Auf der Rückfahrt besichtigt die Gruppe noch das Ghoom-Kloster, das auch Yigacholing-Kloster genannt wird. In der dortigen Meditationshalle ist eine Statue des kommenden Buddhas, Maitreya, zu sehen.

Am Nachmittag sind dann auch wir beiden Magenkranken wieder dabei. Wir besuchen den örtlichen Zoo, der weltweit die einzige Zuchtstation für weiße Schneeleoparden haben soll. Neben schwarzen Pantern sind auch gefleckte Leoparden und Tiger hier zu bewundern. Die nach unserer Einschätzung viel zu kleinen Gehege für diese majestätischen Raubkatzen können uns hingegen nicht begeistern. Unter artgerechter Haltung verstehen wir in Europa mittlerweile etwas anderes.

Es geht weiter ins angrenzende Himalayan Mountaineering Institut und Museum, das von Sherpa Tenzing Norgay bis zu dessen Tod 1986 geleitet wurde. Tenzing Norgay hat bekanntlich mit Sir Edmund Hillary als erster Mensch den Mount Everest bestiegen. Wir bestaunen in den Museumsräumen, mit welch vergleichsweise einfacher Ausrüstung 1953 die Erstbesteigung gelang - eine enorme Leistung der Bergsteiger.

In Darjeeling möchte uns Miku die Lloyd Botanical Gardens zeigen, wo eine Auswahl der Himalaya- Flora zu bestaunen sein soll. Dazu müssen wir zunächst auf steilen Wegen hinab ins Tal steigen um dann festzustellen, dass diese Pflanzen auch überall bei uns zuhause zu sehen sind. Mit geschwächtem Körper ist der anschließende Aufstieg zum Eingang des Gartens eine echte Tortur. We are not amused.

Im Ort besuchen wir ein Teegeschäft, das alle Teesorten zur Verköstigung anbietet. Also machen wir eine Teeprobe. Die Kaffetrinker unter uns lernen, dass es neben schwarzem (fermentierten) Tee auch grünen Tee (unfermentiert), Oolong (halbfermentiert) und weißen Tee (nur die Teespitzen) gibt. Der in Darjeeling geerntete Spitzentee wird zudem unterschieden in First Flush, Second Flush und Autumnal. Mir schmeckt der Second Flush in Premium Qualität am besten.

Tag 9: So, 07.03.2010

Heute geht es weiter nordwärts durch das Gebirge in das alte Königreich Sikkim. Aber zunächst besichtigen wir die Teeplantagen auf den Hängen rund um Darjeeling. Die Ernte des First Flush, "The Champaign of Tea", steht kurz bevor, hat hier aber noch nicht begonnen. Darjeeling Tee wächst auf Höhenlagen über 500 m, bei tieferen Lagen handelt es sich um Assam Tee, der wesentlich herber ist und als Grundlage für Masalatee (gewürzter Tee) oder die bei uns beliebte Ostfriesenmischung dient. Er wird meist mit Milch und Zucker getrunken.

Tee gehört zur Familie der Kamelienpflanzen. In den Plantagen werden die Büsche regelmäßig zurückgeschnitten, so dass sie nicht höher als 1,0 bis 1,5 m werden. Ansonsten würden sie auf 5 m Höhe hochwachsen. Die Pflücker/innen müssen pro Tag mindestens 5 kg der grünen Blätter zupfen. Manche schaffen bis zu 15 kg. Was über der Norm gepflückt wird, wird extra bezahlt.

Vor uns liegen 130 km Fahrtstrecke. Das bedeutet 5 Stunden on the road again. Der Straßenzustand ist unglaublich schlecht. Kaputter Asphalt, Schotter, schierer Fels und Lehmpiste wechseln sich ab. Die Fahrer unserer SUVs erbarmen sich unser und legen zahlreiche Stopps ein zum Pinkeln, Einkaufen, Tanken oder nur um Fotos von der herrlichen Berglandschaft zu machen. Die Strecke führt zunächst über atemberaubende Straßenabschnitte bergabwärts auf ca 450 m Höhe. Hier am Rangit- River befindet sich hinter einer baufälligen Hängebrücke, die wir mit den Autos überqueren müssen, der Distrikt- Übergang von Westbengalen nach Sikkim. Und wer hierher reist, benötigt ein "Sikkim Permit", eine separate Einreisegenehmigung. Nach Sikkim dürfen Chinesen, Pakistani und Bangladeshi nicht einreisen, daher bedarf es eines speziellen Visums, das wir schon im Vorfeld beantragt hatten.

Man stelle sich vor, ein Japaner bereist Deutschland und benötigt für die Einreise nach Bayern ein zusätzliches Visum... Aber Bayern gehört ja auch schon etwas länger zu Deutschland als Sikkim zu Indien.

Hinter dem landesinternen Grenzübergang schlängelt sich der Weg wieder auf engen Serpentinen in die Höhe. Wir durchqueren koniferenbestandenen Bergwald ebenso wie karge Felsenlandschaften. In einem Tal liegen sogenannte Hot Spots, heiße Quellen. In den natürlichen Felsenpools nehmen Einwohner und Besucher ein Bad. Udai macht uns auf die Autos aus Bhutan aufmerksam, mit denen einige Poolbesucher hierher gekommen sind.

Auf 2.150 m Höhe wird die Luft in Pemayangtse für uns Flachlandtiroler wieder merklich dünner. Das war mir in Darjeeling bei etwa gleicher Höhenlage gar nicht so sehr aufgefallen.

Am Nachmittag steht die Besichtigung des Klosters Pemayangtse auf dem Programm. Es ist das ältestes und bedeutendstes Kloster Sikkims, das 1705 vor einer begeisternden Kulisse der Himalaya-Riesen erbaut wurde. Udai ist ein exzellenter Kenner des hier praktizierten Buddhismus und kann uns viel erklären.

Sikkim, ursprünglich Sukkim, bedeutet soviel wie "schönes neues Haus". Nomadenstämme aus Assam und Tibet besiedelten im 13. Jh. die Region. Drei aus Tibet hierhergekommene Lamas, religiöse Führer namens Lhatsun, Ngadag und Kathog, gründeten im 17. Jh. jeweils auf einem Hügel Klöster als Heimstätte der von ihnen vertretenen Richtung des Buddhismus. Eines dieser Klöster ist das von uns besuchte Kloster Pemayangtse. Es repräsentiert die älteste Glaubensrichtung Nyingmapa. Seine Anhänger werden als "red hat monks" oder "Rotmützen" bezeichnet. Die drei Lamas gründeten auch die erste Hauptstadt Sikkims, Yuksom, und krönten als ersten König Sikkims den Chogyal namens Phuntsog Namgyal.

Mir fällt auf, dass bei der in Sikkim praktizierten Form des Buddhismus die Bodhisattvas eine überragende Bedeutung haben. In den Klöstern gibt es zahlreiche Statuen dieser "Erleuchtungswesen", hingegen eine nur geringe Anzahl von Buddha- Darstellungen.

Eine weitere Irritation bedeutet für mich die Beschriftung einer Buddha- Statue mit "Lord Buddha". Nach meiner bisherigen Kenntnis ist Buddha Lehrer und Religionsstifter, nicht aber Gott. Udai meint, "Lord" sei lediglich ein Titel, weshalb z.B. im Hinduismus auch die Bezeichnung "Lord Vishnu" üblich sei.

In der oberen Etage des Klosters steht eine etwa 3 m hohe Pyramide, auf der zahlreiche kleine Figuren in mehreren Ebenen den Weg der Erleuchtung darstellen, angefangen unten mit Dämonen der Hölle, weiter über das irdische Leben der Menschen bis hin zu mehreren Ebenen mit Bodhisattvas und Geistern. Buddha fehlt. Udai begründet es damit, dass er bereits die oberste Stufe verlassen und das Nirwana erreicht habe. Für uns ist diese Gedankenwelt sehr schwer zu verstehen.

Udai berichtet über Wunderheilungen, die in diesem Kloster bis heute stattfinden. Sie seien mit wissenschaftlichen Methoden nicht erklärbar. So würden sich während magischer Zeremonien plötzlich Gegenstände schwebend in den Raum erheben oder bewegt werden ohne von Menschenhand berührt zu werden. Wie sagte schon Hamlet zu Horatio: "Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde als unsere Schulweisheit sich träumen lässt...". Udai will es mit eigenen Augen gesehen haben und auch schon Touristen dieses Erlebnis ermöglicht haben. Leider finden heute aber keine derartigen Zeremonien statt. Das hätte ich zu gerne auch einmal selbst gesehen.

Nicht weit von hier, nördlich in Tibet, soll auch das sagenumwobene Shangri La, Inbegriff eines Sehnsuchtsortes und des verlorenen Paradieses, zu finden sein. Für die Buddhisten ist es das mythologische Reich Shambala.

Mir schwirren so viele Bilder durch den Kopf und die Reise durch die buddhistische Mythologie und Gedankenwelt soll noch weitergehen.

Doch zunächst finden wir erstmal Ruhe und Entspannung in der Lodge Norbu Ghang Resort im nahen Pelling.


Tag 10: Mo, 08.03.2010

Nach dem Frühstück besuchen wir das nordöstlich gelegene Kloster Tashiding. Es bietet wegen seiner abgeschiedenen Lage in der Stille der Natur einen optimalen Platz zur Meditation. Auch hier finden wir die red hat monks, von denen etwa 50 ständig hier leben. In diesem Kloster wird eine besondere Vase aufbewahrt, die ständig mit Wasser gefüllt ist und der Legende nach nie leer wird obwohl sie nicht nachgefüllt wird. Nur einmal im Jahr wird sie vom Abt des Klosters geöffnet und ansonsten verschlossen aufbewahrt. Früher hat der Chogyal, der König von Sikkim, die Vase als Orakel genutzt. War sie nur halbvoll, stand dem Land eine schlechte Ernte bevor. Leider können wir das Kloster nicht von innen besichtigen, weil der Schlüsselwächter nicht aufzutreiben ist.

Die gesamte Klosteranlage ist von vielen bunten Gebetsfahnen und Mantra- Tafeln, sogenannten "Mani-Mauern" gesäumt - ein farbenprächtiges Schauspiel.

Wieder mal steht uns eine endlos lange Fahrt durch die Himalaya- Bergwelt bevor. Schlechte Straßen, die diesen Namen eigentlich nicht verdienen, marode Hängebrücken und immer wieder Felsstürze und Bergrutsche verlangsamen die Fahrt. Wir brauchen 7 Stunden für 120 km. Dann erreichen wir Gangtok, die Hauptstadt von Sikkim. Der Ort hat ca. 33.000 Einwohner und liegt auf 1.600 m Höhe.

Unser hiesiges Quartier ist das *** Hotel NorKhill , was soviel wie "Haus der Juwelen" bedeutet. Dieses Hotel war das ehemalige Gästehaus des letzten Königs von Sikkim. Da ich mit dem mir zugeteilten Zimmer wegen der davor brummenden Abluftanlage der Küche nicht einverstanden bin, gibt man mir die einzige Suite des Hauses. Keine Ahnung, welche Staatsoberhäupter vor mir hier genächtigt haben - mir solls Recht sein.

Ein Streifzug durch den Ort beschließt den Nachmittag bevor wir uns zum Dinner wieder im Hotel treffen. Die Kellner im NorKhill haben alle Operettenkostüme an, so ´ne Art Don Kosaken- Outfit. Das passt zum mongolisch- chinesischen Einrichtungsstil. Die Kellner servieren teilweise etwas ungestüm, manche Speisen werfen sie regelrecht auf den Teller - sehr gewöhnungsbedürftig. Wenn jemand seinen Teller nicht leergegessen hat, brummelt der Kellner schon mal hörbar seinen Unmut beim Abtragen vor sich hin.

Heute abend gibt es für uns ein landestypisches Getränk zum Dinner, den Tongba- Sikkimese- Trunk. Der wird in großen Holzbechern angerichtet, in die man fermentierte Hirse und Trockenhefe ( "Alkohol- Steine") gefüllt hat. Das Gemisch übergießen die Kellner mit heißem Wasser, dann läßt man es unter gelegentlichem Umrühren ca 15 min gären. Bei aller Höflichkeit - mir hat das Hirsebier scheußlich geschmeckt, wie flüssige Hefe. Ein tiefer Zug mit dem Bambushalm reicht mir... Später belehrt uns Udai, wir hätten den Trunk zu kurz ziehen lassen, es hätte mindestens doppelt so lange sein müssen. Ich bezweifle, dass er mir danach besser geschmeckt hätte. Als Mahlzeit wird etwas pikantes aus dem mongolischen Feuertopf serviert.

In der Empfangshalle des Hotels hängen Fotos des letzten Königs Palden Thondup Namgyal und seiner Frau Hope, die gebürtige Amerikanerin war. Chogyal und Gyalmo, so lauteten die offiziellen Namen für den König und die Königin von Sikkim.


Tag 11: Di, 09.03.2010

Rumtek bedeutet "Versammlungsort aller Götter". Es ist das bekannteste Kloster Sikkims obwohl es erst nach der Besetzung Tibets durch die Chinesen gebaut wurde - als originalgetreue Kopie des Stammklosters des Kagyü- Ordens in Lhasa. Deren Oberhaupt ist der Karmapa. Bis zu 600 Mönche leben hier. Sie gehören den "black hat monks" oder "Schwarzhüten" an.

Im Westen ist weitgehend unbekannt, dass es neben dem Dalai Lama noch drei weitere hohe religiöse Führer des tibetischen Buddhismus gibt. Es sind der Panchen Lama, dessen 11. Inkarnation Gendun Choekyi Nyima 1990 geboren wurde und irgendwo in China unter politischem Arrest lebt, sowie der Karmapa, dessen 17. Inkarnation Thaye Dorje 1983 in Tibet geboren wurde und wie der Dalai Lama (14. Inkarnation) im Exil in Dharamsala, Indien, lebt. Die Reinkarnationen der Lamas sind die zum x-ten mal wiedergeborenen ursprünglichen religiösen Führer, die unterschiedliche Glaubensschulen repräsentieren.

Hubert berichtet von einer Bekannten, die als Stewardess zufallsbedingt schon zweimal den Dalai Lama betreut habe. Diese habe erzählt, dass ihn eine übernatürliche Aura umgeben soll, die unmittelbar auf die Umstehenden einwirke und der man sich nicht entziehen könne.

Wir lauschen gespannt den Erzählungen Udais. Danach besitzt nur der Karmapa die Fähigkeit, sich körperlich schwebend über den Boden zu erheben. Die gleiche Eigenschaft wird dem schwarzen Hut oder der schwarzen Krone des Karmapa nachgesagt. Die Leute hier sind keine Spinner, ihre Ausführungen sind durchaus ernst zu nehmen!

Auf der obersten Ebene des Klostergebäudes werden die Räumlichkeiten für den Karmapa freigehalten, der wegen der Grenznähe des Klosters zu China - vormals Tibet - bisher nicht hierher gezogen ist. Udai meint, die Chinesen hätten vor den drei Lamas eine so große Furcht, diese könnten neben ihrer religiösen Führerschaft auch politisch entscheidend Einfluss nehmen, dass sie alles tun würden um deren Rückkehr nach Tibet zu verhindern. Ein Beispiel sei die Verhaftung des Panchen Lama zu einer Zeit, als dieser noch ein Kind war. Nach Udais Darstellung hat China Tibet 1951 wegen seines unermesslichen Reichtums an Bodenschätzen besetzt, ohne die die wirtschaftliche Entwicklung des Riesenlandes so nicht möglich gewesen wäre. Historisch gehörte Tibet aber bis Anfang des 20. Jh. zu China.

In einem anderen Teil des Klosters sehen wir den großen edelsteinverzierten Stupa mit den Reliquien des vorherigen Karmapas, also seiner 16. Inkarnation.

In Rumtek erzählt uns Udai auch die Legenden von Guru Rinpoche - oder auf Sanskrit Padmasambhava, dem Begründer des Buddhismus in Tibet und Schutzpatron Sikkims. Er soll die Geister und Dämonen des Schneelandes, die sich dem neuen Glauben entgegenstellten, besiegt haben. Padmasambhava wird oft selbst als dämonenhaft wirkende rote Gestalt dargestellt - im Unterschied zu der blauen Darstellung des Vajrakilaya, der "Manifestation der Aktivitäten aller Buddhas in einer zornvollen Form", eine der höchsten Lehren im tibetischen Buddhismus. Zugegeben, wir verstehen das alles nicht einmal ansatzweise. Udai tröstet uns: Wieso brauchen Mönche wohl ein Leben lang um letztendlich auch nur ein wenig zu verstehen?

Auch die buddhistische Lehre von den drei Weltzeitaltern erschließt sich uns nicht. Demnach gibt es ein Goldenes Zeitalter, in dem die Götter lebten, das darauf folgende Silberne Zeitalter und das Dunkle Zeitalter, in dem die Menschen heute leben. Was wir an diesem Tag vom tibetischen Buddhismus hören, ist schon eine verdammt schwere religiöse Kost.

In Gangtok besuchen wir das Institute of Tibetology, das 1958 gegründet wurde. Der Dalai Lama legte den Grundstein und Nehru weihte das Institut ein. Zahlreiche Schriften, Miniaturen und Fotos sind hier ausgestellt. In den angrenzenden Seminarräumen rund um den zentralen großen Stupa beobachten wir junge Mönche bei ihren Gebeten und dem Rezitieren formelhafter Wortfolgen, der sogenannten Mantras.

Nachmittags steht noch ein Besuch des Sikkim Art Institute auf dem Programm. Hier werden junge Menschen über mehrere Jahre in Malerei und Holzschnitzerei ausgebildet. Es gibt wider Erwarten anschließend keine Verkaufsveranstaltung.

Die geplante Fahrt mit der Damovar- Seilbahn über Gangtok muss ausfallen, da sie wegen Wartungsarbeiten gerade geschlossen ist. Pech gehabt! Ein Gang durch das wenig spektakuläre Flowerhouse, ein Gewächshaus, und über den Obst- und Gemüsemarkt am Ende der Basarstrasse beschließt den Nachmittag.

In der Höhenluft Sikkims wird man schnell müde. Um 22:00 sind wir im Bett, der Schlaf ist hier richtig erholsam.


Tag 12: Mi, 10.03.2010

Wir fahren zunächst hinab in das grüne Tal des Testa Rivers, von hier dann wieder hinauf zur Hill Station Kalimpong auf angenehme 1.200 m Höhe. Bergwälder und Teeplantagen wechseln sich auf der kurvenreichen Strecke ab. Auf dieser Strecke wird ein Running Gag geboren: An vielen Ladeklappen der Lkws ist die an andere Verkehrsteilnehmer gerichtete Aufforderung "blow horn" (Hupen bei Beginn eines Überholvorgangs!) zu lesen. Doris fragt Udai beim Anblick eines solchen Lkws, ob das Fahrzeug der "Blow Horn Company" gehöre. Wir kriegen uns in unserem Wagen vor Lachen nicht mehr ein.

In Kalimpong beziehen wir unsere Zimmer im ausgezeichneten Hotel Silver Oaks, von dessen kolonialem Charme und seiner gepflegter Gartenanlage wir sehr angetan sind.

Auf unserem Tagesprogramm steht ein Besuch des Klosters Tharpe Choling. Hier sind die "yellow hat monks", die "Gelbmützen", zuhause. Mir ist immer noch nicht klar, warum die Mönche nach den Farben rot, schwarz und gelb benannt werden. Sie sind weder so geschminkt, noch tragen sie im Alltag Mützen in der jeweiligen Farbe. Jedenfalls habe ich es nicht gesehen.

Im Inneren dieses Tempels dürfen wir sogar fotografieren - eine große Ausnahme des sonst überall bestehenden Fotoverbotes. Hier sind Darstellungen dreier Buddhas aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sehen. Über den Zeitpunkt des Erscheinens des künftigen Buddhas, des Weltenlehrers Maitreya, gibt es unter den Religionsgelehrten extrem abweichende Prognosen.

Natürlich findet sich auch hier Guru Patmasambhava. Er wird mit einem Dorje in der Hand dargestellt. Ein Dorje wird auch Vajra genannt oder im Deutschen als Donnerkeil bezeichnet. Darunter hatte ich mir immer eine Waffe vorgestellt. Es handelt sich aber um einen der bedeutendsten Kultgegenstände des Buddhismus, das Symbol des Unzerstörbaren, weshalb er als "Diamant" bezeichnet wird und die Übersetzung Donnerkeil im buddhistischen Kontext eigentlich falsch ist.

Patmasambhavas Mantra wird von den Mönchen des Klosters in endlosen Wiederholungen rezitiert: "Om - Ah - Hun - Vajra - Guru - Padma - Siddhi - Hum". Udais Lieblingsmantra lautet allerdings "Om - mani - padme - hum" und das summt und singt er immer wieder gerne vor sich hin. Es klingt angenehm und beruhigend. Wie ich später erfahre, ist es das älteste und bis heute populärste Mantra des tibetischen Buddhismus.Weil es uns so gut gefällt, besorgt Udai später auf der Basarstrasse eine CD- Raubkopie von Aufnahmen aus einem Kloster.

Auch hier beschließen wir den Tag mit einem Gang über den Wochenmarkt, der hier zweimal wöchentlich stattfindet und auf dem außer Gemüse und Obst auch Gegenstände des täglichen Lebens angeboten werden.

In einem Garten- Pavillion des Hotels sitzen wir am Abend noch zusammen und lassen die letzten Tage bei einem Bier Revue passieren.


Tag 13: Do, 11.03.2010

Udai verlässt uns am Flughafen in Bagdogra. Diesmal fliegen wir mit Jet Airways, einer anderen großen indischen Fluggesellschaft. Es geht nach Guwahati in Assam. In diesem Bundesstaat gibt es viele illegale Arbeitskräfte aus Bangladesh, überwiegend Moslems. Sie sind an ihren abgerissenen ärmlichen Kleidern zu erkennen, die sie auf dem Leib tragen.

Die indische Polizei drückt gegen Schmiergeldzahlungen ein Auge zu. Zuwendungen an Polizisten gehören in Indien zum Alltag. Deren Gehälter sind so niedrig, dass sie regelrecht darauf angewiesen sind. So fördert das politische System die Korruption.

Unser neuer local guide in Assam heißt Mitu, nicht zu verwechseln mit Miku, unserem ständigen Begleiter. Vor uns liegen 250 km Strecke, also 6- 7 Stunden Fahrzeit. Nach einer kurzen Stärkung in einem "Restaurant", das den Charme und die Gemütlichkeit eines Rohbaus hat und dessen Mobiliar aus Plastikstühlen und -tischen besteht, machen wir uns mit zwei Minibussen auf den Weg. Wir überqueren den Brahmaputra und nehmen die etwas längere, aber bessere nördliche Route Richtung Osten. In der Ebene geht die Fahrt durch Reis- und Hirsefelder. Die Ortschaften sind staubig und von vielen Menschen bevölkert. Der Verkehr auf der Überlandstrasse ist ein einziges Chaos. Lkws, Busse, Pkws, TucTucs, Mopeds, Rikschas und Ochsenkarren wirbeln durcheinander. Zum Überholen fährt man frontal aufeinander zu und schert im allerletzten Moment wieder auf seine Spur ein. Der helle Wahnsinn! Anfangs zittern wir um unser Leben, aber mit der Zeit ergeben wir uns in unser Schicksal. Et hätt noch immer joot jejange - wir haltens mit den Rheinländern.

Nach Einbruch der Dunkelheit wird die Fahrt jedoch zum Höllenritt, denn jetzt kommt als weitere Herausforderung für die Fahrer das Erkennen vieler unbeleuchteter Verkehrsteilnehmer hinzu. Leider bleibt es uns nicht erspart, den zerfetzten Leichnam eines Unfallopfers auf der Straße liegen zu sehen, den man noch nicht abgedeckt hat. Vermutlich hat das Opfer einen falschen und damit tödlichen Ausweichschritt auf die Straße gemacht und ist von einem Lkw erwischt worden. Mir fällt der militärische Begriff "Kollateralschaden" ein, verwerfe diesen Gedanken aber ganz schnell wieder. Wenige Kilometer weiter liegt erneut ein menschlicher Körper auf der Strasse. Mitu meint, das sei ein Betrunkener. Die Autos auf der Strasse brettern mit 70 kmh haarscharf an ihm vorbei. Keiner kümmert sich um ihn und zieht ihn da weg. Die Bilder dieser beiden Menschen wirken nach.

Um 9 Uhr abends erreichen wir die Lodge Wildgrass Resort am Rande des Kaziranga Nationalparks. Die Lodge soll die beste Unterkunft in diesem Gebiet sein. Wir rätseln, wie die anderen Herbergen wohl aussehen mögen. Der zurückliegende Tag bestand eigentlich nur aus Busfahrt und Flug.


Tag 14: Fr, 12.03.2010

Der Nationalpark Kaziranga wurde zum UNESCO Weltnaturerbe erklärt. Er hat eine Fläche von 430 qkm und besteht aus Hochgrasfluren, Waldungen und Sumpfgebieten. Der Nationalpark ist besonders als Lebensraum des indischen Panzernashorns bekannt, doch leben dort auch asiatische Elefanten, Wasserbüffel, Wildschweine, Hirsche, Wildhunde, Kragenbären, Fischotter und viele andere Tierarten.

Um 6 Uhr startet unsere Elefantensafari. Es heißt also wie immer früh aufstehen. Mit Jeeps fahren wir zum Eingang des Parks, wo es eine "Elefanten- Anlegestelle" gibt. Hier warten auch andere Safariteilnehmer schon auf den Start. Von einem Hochpodest aus werden die gesattelten Dickhäuter von jeweils 2- 4 Personen bestiegen. Direkt hinter den Ohren des Tieres sitzt der Mahout, der Elefantenführer. Die Elefanten können bis zu 400 kg tragen. Ich teile mir mit Brigitte und Miku eine Elefantenkuh, deren Junges uns auf Schritt und Tritt folgt.

Die Elefanten bringen uns in die teils meterhoch mit Elefantengras bestandene Ebene ganz nahe an die hier weidenden berühmten weißen Rhinos heran. Diese wuchtigen Tiere können trotz ihres enormen Gewichtes bis zu 60 kmh schnell laufen. Wenn sie Nachwuchs haben oder gereizt werden, können sie äußerst gefährlich werden. Das gilt im übrigen auch für die Wasserbüffel. Es gibt hier auch Tiger, weshalb die Safarigruppe von bewaffneten Wildhütern begeleitet wird. Wir sind schließlich nicht in Hagenbecks Tierpark unterwegs. Der ca. einstündige Ausritt gibt uns schon einen ersten Eindruck von der Flora und Fauna des Nationalparks. Neben zahlreichen Rhinos treffen wir auf Antilopen, Wildschweine, Büffel, den wunderschönen blauen Kingfisher- Vogel, Störche und - nicht zuletzt - wilde Elefanten.

Nach einem Frühstück in der Lodge startet Safari Nr. 2. Diesmal geht es für mehrere Stunden mit offenen Jeeps in den Nationalpark. Wenn man aufrecht stehend während der Fahrt über die holprigen Wege sich am Gestänge der Ladefläche festhält und nach Großwild Ausschau hält, kommt schon ein gewisses "Daktari- Feeling" auf. Der unmittelbare Kontakt zur Wildnis ist atemberaubend. Safari Nr. 3, die nach dem Lunch startet, bringt uns ans Brahmaputra- Ufer. Auf der anderen Seite des Flusses sind mit dem Fernglas viele Tiere zu beobachten. Springende Fische stellen unter Beweis, dass der Fluss hier oben noch nicht so stark verschmutzt ist.

In der Lodge hat sich auch eine britische Ornithologengruppe eingenistet. Sie tragen alle Safarianzüge und schleppen ein sehr umfangreiches Foto- Equipment mit sich rum, mit dem sie die Piepmätze abschiessen.


Tag 15: Sa, 13.03.2010

Zurück nach Guwahati nehmen wir am frühen Morgen die etwas kürzere Südroute. Die eine Stunde Zeitersparnis bezahlen wir mit unseren Lungen. Selten habe ich soviel Staub und Abgase "gefressen". Ich frage mich, wie die Inder das aushalten und warum sie nichts daran ändern.

Mit Jet Airways fliegen wir mittags nach Kolkata, der letzten Station unserer Nordindienreise.

Kolkata, die Hauptstadt Westbengalens, hieß während der Kolonialzeit Calkutta. Die Großstadt am Gangesdelta hat tagsüber 19 Mio und nachts 15 Mio Einwohner, erzählt uns Miku. Das liege an den vielen Wanderarbeitern, die sich tagsüber hier verdingen wie z.B. die illegalen Rikschafahrer aus Bangladesch.

Leider haben wir nur ein ganz kleines Zeitfenster um etwas von der Stadt zu sehen und verlassen uns zunächst auf Mikus Auswahl an Sehenswürdigkeiten. Doch davon bin ich wirklich enttäuscht. Miku führt uns in die anglikanische Kathedrale St. Pauls und anschließend zum Viktoria Memorial, wo zu Ehren der dicken englischen Königin eine Bronzestatue von ihr vor einem wuchtigen Prunkbau sitzt. Was hat das mit Indien zu tun, außer dass beide Orte an die britischen Kolonialherren erinnern?

Da hat das folgende Ziel einen ungleich größeren Bezug zu Kolkata und dem Leben in dieser Stadt. Wir besuchen die Wirkungsstätte von Mutter Theresa. Hier in einem Hinterhofgebäude gründete sie ihren eigenen Orden, die “Missionarinnen der Nächstenliebe”. In den 70er Jahren machten die Medien sie als “Engel der Armen” bekannt, 1979 erhielt sie den Friedensnobelpreis, 2003 wurde sie nach ihrem Tod vom Papst seelig gesprochen. An ihrem schlichten Marmorsarg, der in einem Raum im Erdgeschoss des Klosters steht, und beim Betrachten der Stellwände mit Bildern und Dokumenten aus ihrem Leben und Wirken kann ich eine gewisse Ergriffenheit nicht leugnen.

Leider gibt es auch Schattenseiten der Ordensgründerin, die oftmals verschwiegen werden. So soll sie sich z.B. geweigert haben, den Kranken und Sterbenden Schmerzmittel zu geben "damit sie in ihrem Leid und ihrem Schmerz Jesus Christus viel näher sein konnten". Die Slumbewohner nannten sie deshalb auch "Todesengel von Kalkutta". Und es gibt weitere sehr negative Kritiken. Ich kann nicht beurteilen, welche Darstellung der Mutter Theresa richtig ist. Vielleicht war sie auch nur ein Mensch wie wir alle, mit dem Engelchen auf der einen Schulter und dem Teufelchen auf der anderen - und keine Heilige. Wer weiß das schon?

Ein wirkliches Kontrastprogramm bildet der anschließende Besuch des Kali- Tempels. Kali ist die Göttin mit den "zwei Gesichtern". Sie verkörpert gleichzeitig das zerstörerische Element Parvatis, der Gattin Shivas, und das Urbild der liebenden Mutter. Kali wird als schwarze Dämonin mit blutroter Zunge und einem Kranz von Menschenschädeln dargestellt. Die Gegend hier starrt vor Schmutz, es herrscht Fotoverbot. Das Innere des Kali- Tempels dürfen nur Hindus aufsuchen, aber wir bekommen auch so einen sehr guten Eindruck von der hier herrschenden religiösen Atmosphäre. Junge Frauen beten an einer Altarnische um Kindersegen, lassen sich mit roter Farbe segnen und trinken portionsweise heiliges Wasser aus der Hand. Ein anderer Platz ist Tieropfern vorbehalten, die hier fast täglich praktiziert werden. Es herrscht große Enge. Die Masse der Gläubigen schiebt sich spiralförmig in den Tempel. Wir sind auf Tuchfühlung mit ihnen.

Kali ist die Schutzgöttin und Namenspatronin der Stadt. Der Stadtteil, in dem ihr Tempel liegt, hieß früher Kalikata. Die Briten haben den Namen zu Calkutta verballhornt.

Vor unserem Rückflug nach Frankfurt nehmen wir am Abend noch ein Dinner im Hotel Lytton ein, es gibt zur Abwechslung mal Thai Food. Einige von uns legen sich noch 2- 3 Stunden hin bevor uns der Bus zum Flughafen abholt.

Die Fahrt vom Zentrum stadtauswärts wird mir lange in Erinnerung bleiben. Natürlich habe ich davon gehört, aber was ich hier zu sehen bekomme übertrifft meine schlimmsten Erwartungen. An den Straßenrändern haben sich die Ärmsten der Armen zum Schlafen niedergelegt. Sie liegen unmittelbar neben der Fahrbahn, neben Abwasserrinnsalen und stinkenden Müllbergen. Ratten laufen über sie hinweg. Sie besitzen nicht einmal eine Pappe als Unterlage oder ein Laken zum Zudecken. Und das schlimmste ist, dass es sich nicht nur um einige Wenige handelt, nein, alle 10 Meter schläft hier ein Mensch unter Umständen, die man bei uns keinem Tier zumuten würde. Jeden Moment müssen hier die apokalyptischen Reiter vorbeipreschen!


Tag 16: So, 14.03.2010

Der Lufthansa- Jet startet um 2:45 Uhr, Ankunft morgens 8:45 Uhr MEZ. Für diese Strecke habe ich im voraus ein Meilen- Upgrade in die Business Class gebucht und komme dennoch nicht ausgeruht und erholt in Frankfurt an. Die Eindrücke der letzten Nacht in Kolkata beschäftigen mich zu sehr.

Mein Sitznachbar ist ein Professor aus Heidelberg, der von einem Kongress zurückkehrt. Im Gespräch erwähne ich das für mich nicht erkennbar gewesene karitative Element in der indischen Gesellschaft. Den Mitgliedern der oberen Kasten sei es offenbar egal, ob die Armen verrecken. Dem widerspricht er und vergleicht die Situation mit dem damaligen europäischen Gutsherrenwesen auf dem Land bzw. der Fürsorge der Industriebarone für ihre Arbeiter. So sorge sich auch der wohlhabende Inder um seine Angestellten und deren Familien. Das wisse er definitiv von einem indischen Kollegen, dem es finanziell sehr gut gehe. Ich kann nicht beurteilen, ob er Recht hat.

Fotos: *² <c> Rüdiger Bromm, *³ <c> Marion Maul, Günter Seitz

Hier gibt es den Reisebericht, Teil 2, als PDF zum Ausdrucken.



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