Der Name des Bundesstaates geht zurück auf die Chewark- Indianer und bedeutet etwa "Vater des großen Wassers".

Wir überqueren die Staatsgrenze auf dem Hwy 61 North. Auf den letzten Meilen bis Natchez geht es vorbei an vielen Antebellum- Häusern und Plantagen. Zu den Herrenhäusern führen oft Alleen, die Bäume sind behangen mit "Spanischem Moos". Das wirkt ziemlich unheimlich, Sina meint, in Verbindung mit manchem gespenstisch anmutendem alten Haus sei dies eine ideale Kulisse für Horrorfilme. Wohl war!

In Natchez fahren wir zuerst zum Visitorcenter am Hochufer des Mississippi- River. Ein Visitorcenter hat übrigens fast jeder etwas größere Ort. Hier kann man sich mit Karten, Prospekten und Couponheften  versorgen. Letztere sind bei amerikanischen wie auch (informierten) ausländischen Touristen sehr beliebt und entlasten die Urlaubskasse durch Rabatt- Coupons für Hotels und Restaurants. Die Stadt Natchez hat vom großen Parkplatz am Visitorcenter einen kostenlosen Shuttle- Service zur "historic downtown" (ca. 1 km entfernt!) eingerichtet. Wir beide sind die einzigen Passagiere. Der Busfahrer ist unglaublich freundlich, er empfiehlt uns einen Rundweg, auf dem wir die schönsten Gebäude zu sehen bekommen sollen. Dann outet er sich als leidenschaftlicher Ansichtskarten- Sammler, bittet uns, ihm eine Karte aus Germany zu schicken. Sina sagt ihm das zu.

Der wunderschöne Ort Natchez gilt als die älteste Stadt im Süden der USA. Hier beginnt die "Blues- Alley", die sich nördlich bis nach Memphis erstreckt. Auf unserem Rundgang kommen wir vorbei an vielen typischen Südstaaten- Häusern mit Säulen und Balkonen, teils sehr gepflegt, teils vergammelt. Auffallend viele und pompöse Kirchen aller möglichen Glaubensgemeinschaften kennzeichnen den Ortskern der kleinen Stadt. Alles zeugt von einem erheblichen Reichtum, der hier -wie so oft in den Südstaaten- wohl auf Kosten der schwarzen Sklaven erworben wurde.

Sonnenuntergang am Fluß: Wir fahren runter zum ehemals verruchten Uferviertel "under the hill". Hier liegt das einem Schaufelraddampfer nachempfundene Casino der "Isle of Capri"- Kette, das wir auf den ersten Blick für ein richtiges Schiff halten. Doch wir sind keine "gambler", uns interessiert eher die Abendstimmung am Fluß. Nur wenige alte Häuser stehen hier noch, z.B. der Under the Hill Saloon und das Wharfmaster Restaurant, und lassen ahnen, wie es damals hier zuging mit Sklavenmarkt, Huren und Matrosen.

Später essen wir im "Ruby´s", einem typischen Steakhouse, in dem man am Eingang für ein Gericht seiner Wahl zahlt und dann teilweise bedient wird und sich an der Salat- und Dessert- Bar selbst versorgt. Diese Art Restaurants war mir schon im Westen ein Greuel. Ich staune immer, mit welcher Entschlossenheit (und Schnelligkeit) die Gäste an der Kasse ihr Wunschgericht nennen und zahlen. Wir hingegen stehen unentschlossen erstmal 5 min. vor der neonbeleuchteten "Speisekarte" hoch über unseren Köpfen. Ein Bier zum Steak gibts nicht, dafür Softdrinks. "Ruby´s" hat keine License. Na, dann Prost mit Coke! Wie in allen amerikanischen Restaurants erwartet man übrigens, daß die Gäste unmittelbar nach Abschluß ihrer Mahlzeit das Lokal verlassen. Alles sehr gewöhnungsbedürftig!

Am nächsten Morgen im Breakfast- Room des Motels: im grundsätzlich immer beim Frühstück laufenden Fernseher sehen wir den Weather Channel (übrigens auch eine web- Empfehlung!). Gerade hat ein Hurricane noch die Kurve vor den Südstaaten gekratzt. Glück gehabt. Wir besichtigen heute das Herrenhaus Longwood, ein 8- eckiges - und damit architektonisch einmaliges - Prunkgebäude mit einem orientalisch wirkenden Kuppeldach. Der Innenausbau der Villa kam nie über das Erdgeschoss hinaus. Der Bürgerkrieg hat den Materialnachschub verhindert. Die Fertigstellung ist auch vom heutigen Besitzer, dem Pilgrimage Garden Club, nicht beabsichtigt. Vielmehr soll das unvollendete Meisterwerk der Südstaatenarchitektur so als Symbol für das Ende des Bürgerkrieges bestehen bleiben. Die vielen Antebellum- Villen in Natchez können nur mit Führungen besichtigt werden. Dabei informieren die Guides über die ehem. Besitzer, die unglaubliche Schätze aus aller Welt zusammengetragen haben, von Möbeln über Bilder bis hin zu Geschirr und Vasen. Die Geschichten ähneln sich, so daß man sich bei der Besichtigung weiterer Häuser auf die Außenansicht beschränken kann. Wir schauen uns jedenfalls Stanton Hall, Linden und das gespenstische The Elms nur von außen an.

Dann verlassen wir Natchez auf dem Natchez Trace National Parkway Richtung Norden. Der Natchez Trace ist eine hübsche kleine Landstraße (historic!), die sich in sanften Kurven durch fast unberührte Natur schlängelt - in starkem Kontrast zu der total kultivierten Umgebung. Keine Ampeln, keine Städte, insgesamt 450 Meilen lang von Natchez bis nach Nashville einem alten Indianer- Trail folgend. Bei der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 50 mph läuft man leicht Gefahr, am Steuer einzuschlafen, so monoton ist die Wald- und Parklandschaft. Wir biegen nach einiger Zeit ab Richtung Memphis. Die Landschaft ändert sich. Kudzu- Pflanzen, eine Art Kletter- oder Schlingpflanze, überwuchern Bäume und Sträucher, ja selbst Telefonmasten und -drähte. Die bis zu 20 m langen Ranken sollen pro Tag bis zu 30 cm wachsen! Es sieht wirklich unheimlich aus, wie ein alles überwuchernder lebender Teppich! Steven King läßt grüßen.

Die nächste Stadt auf unserem Weg ist Vicksburg. Die Stadt ist für die Amerikaner neben Gettysburg ein Symbol für ihr Bürgerkriegs- Trauma. Hier an einem strategisch äußerst wichtigen Flußabschnitt des Mississippi standen sich 130.000 Soldaten der Unionstruppen und der Konföderierten gegenüber. Ihnen zu Ehren wurde der National Military Park errichtet, wo neben den Soldatengräbern und Stellungen auch das wieder ausgegrabene Kanonenboot U.S.S. Cairo nebst Kriegsmuseum zu besichtigen ist. Wenn man die Südstaaten besucht, kommt man an der Besichtigung mindestens einer dieser Gedenkstätten nicht vorbei. Für die Amis sind die Orte fast Heiligtümer, was die meisten Europäer der Nachkriegs- generationen nicht verstehen, wir auch nicht.

An diesem Nachmittag stillen wir unseren Hunger in einem Laden der "Taco Bell"- Kette: TexMex- Küche. Ich bestelle irgendwas, alle Bezeichnungen sagen mir nichts. Was ich bekomme, gleicht einer Fleischpaste mit Gemüse, die in einen weichen Fladen (Taco) gewickelt ist. Sina hat sicherheitshalber eine kleine mexikan. Pizza (die Amis sagen übrigens "Pieh....za") geordert, die auch nach Pizza schmeckt. Kaum sitzen wir am Tisch fällt eine Mannschaft uniformierter Jugendlicher zum Sättigungsritual in den Laden ein, offensichtlich Mitglieder einer Jugendkapelle der örtlichen Armee- Basis. Begeisterte Kinder in Ausgeh- Uniformen der Streitkräfte.Sowas gibt es in Deutschland auch nicht - zum Glück!

Es geht weiter nach Greenville, das wir am Abend erreichen. Auf dem Weg dorthin sehen wir sie erstmals: "blühende" Baumwollfelder, silbrig- weiß in der Sonne glänzend. Die Straßenränder sind gesäumt mit Baumwolle, die von den Transportern heruntergeweht wurde. Die Baumwolle wird heute natürlich maschinell geerntet. Danach wird sie zu riesigen Quadern gepreßt, die dann abgedeckt mit Plastikfolie überall an den Feldern auf den Abtransport zur Weiterverarbeitung warten. Wir halten an einem noch nicht abgeernteten Feld und zupfen einige flauschige Bällchen aus den aufgesprungenen Kapseln. Die menschenunwürdigen Umstände und Entbehrungen, unter denen die schwarzen Sklaven mit ihrer Arbeit damals den Plantagen- Besitzern zu unvorstellbarem Reichtum verhalfen, können wir nur schwer erahnen.

In Greenville, einem Hauptort des Baumwollhandels, sonst aber ohne jede Besonderheit, fahren wir durch die Randbezirke der Stadt. Die üblichen Gegensätze: Weiße vor ihren gepflegten Veranda- Häusern mit den Schildern "Neighborhood Watch Community" (Hinweis auf gegenseitige Hausbewachung) und die meist ärmlich und verfallen wirkenden Häuser der Schwarzen. Kein Klischee, Wirklichkeit!

"Mississippi Burning", der sehr beeindruckende Film mit Gene Hackman, wirft ein Licht auf die düstere und berüchtigte Geschichte brutaler Lynchmorde und gewalttätigem Hasses gegen Schwarze - nicht selten toleriert von Polizei und Behörden. Schwarze und Weiße leben heute in Mississippi zwar ohne offene Konfrontation, aber immer noch in latentem Mißtrauen zusammen. Hier im Süden soll die Furcht Tradition haben, Furcht vor den Indianern, den ehemaligen Sklaven, den Yankees... Gewalt gehört heute nicht zum Alltag, soll aber auch keine Seltenheit sein. Die Rassentrennung ist in den Südstaaten immer noch allgegenwärtig, wenn auch viel subtiler als noch vor Jahrzehnten. 

Eine Geschichte zu diesem Thema, die mir sehr gefallen hat:
A black man walked into a cafe one morning and noticed that he was the only black man there. As he sat down, he noticed a white man behind him.
The white man said,
"Colored people are not allowed in here...."

The black man turned around and stood up. Then he said,
"when I was born I was black,
when I grew up I was black,
when I'm sick I'm black,
when I go in the sun I'm black,
when I'm cold I'm black,
when I die I'll be black,
but you sir....,
    when you're born you're pink,
    when you grow up you're white,
    when you're sick you're green,
    when you go in the sun you turn red,
    when you're cold you turn blue,
    when you die you turn purple,
and you have the nerve to call me colored !?"

The black man then sat back down and the white man walked away......


Abends essen wir in "Anna Casey´s Steaks & Seafood"- Restaurant, gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und guter Service, können wir weiterempfehlen.

Am nächsten Morgen werden wir von einem Thunderstorm geweckt, Blitze, Regen und ein heftiger Sturm. Die Tagestemperatur fällt von zuletzt ca. 30° auf heute 14° C, ein deutlich spürbarer Temperatursturz. Der Thunderstorm ist aber zum Glück nach dem Frühstück vorbei.

Wir fahren weiter nach Clarksdale und besichtigen dort das Delta Blues Museum, das 1979 auf Initiative der Rockgruppe ZZ Top gegründet wurde. Im kleinen Museum an der Bahnlinie gibt es eigentlich (noch) nicht viel zu sehen. Hier wird einem aber der Ursprung des Blues deutlich. Er lag im melancholischen Gesang der Feldarbeiter. Hier im »Delta« ist jeder Fleck Erde Musik. Museumsleiter John Ruskey hat es eindrucksvoll auf einer Landkarte dokumentiert. Statt Ortsnamen sind Musiker-Namen verzeichnet. Muddy Waters, John Lee Hooker, Howlin´ Wolf, B. B. King, Ike Turner, Elvis Presley, eigentlich alle weltberühmten Blues- und Jazz-Größen, dazu Hunderte von Rock- Heroen stammen aus dem Delta. Ich meine, der Besuch in Clarksdale ist ein Must für jeden Bluesfan.

Vor den Museumsgebäude filme ich gerade das Straßenschild "John Lee Hooker Lane". Ein Schwarzer hält seinen 50er- Jahre- Caddilac auf der anderen Straßenseite an, kommt winkend auf mich zu und überzieht mich mit einem Wortschwall, von dem ich so gut wie nichts verstehe. Er betreut wohl ein Arbeitslosenprojekt und gibt Gitarrenunterricht - oder so ähnlich... Ich erkläre ihm, wir kämen aus Germany und ich hätte Schwierigkeiten, ihn zu verstehen. Jetzt geht es erst richtig los. Das hier gesprochene Englisch ist der breiteste und am meisten verfremdete Slang, den ich je gehört habe: "Southern Drawl". Ich habe bei manchen Sätzen den Eindruck, es sei gar kein Englisch mehr, was die Leute hier von sich geben. Von meinem Gesprächspartner kann ich mich nur schwer lösen. Wir fahren an der berühmten "Crossroads" vorbei, wo der Blues- Pionier Robert Johnson seine Seele an den Teufel verkauft haben soll, der ihm dafür den Blues gab. Wow!
 

Fortsetzung des Reiseberichtes unter -> Teil 3: Tennessee: Blues und Country Music

                                              zurück nach -> Teil 1: Louisiana: Big Easy im Pelikanstaat