In Hamburg lebten zwei Ameisen, die wollten nach Usbekistan reisen.
Bei Altona auf der Chaussee, da taten ihnen die Beine weh.
Und da verzichteten sie weise dann auf den letzten Teil der Reise.

- frei nach Joachim Ringelnatz -

Usbekistan. Wisst Ihr, wo das liegt? Mitten in Zentralasien! Die Nachbarländer sind Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Afghanistan und Turkmenistan.

Um kaum ein Land spinnen sich so viele Legenden wie um Usbekistan. Ob als Zentrum der Seidenstraße oder als Quelle der Märchen aus 1001 Nacht - in Samarkand, Buchara und Chiwa sollen sie dem Reisenden wiederbegegnen. Grund genug für eine Studienreise! Im Gegensatz zu den beiden Hamburger Ameisen fliege ich im Frühjahr 2011 in dieses bei uns weitgehend unbekannte Land.

Mo, 09.05.2011

Der Jet hebt am Mittag in Frankfurt ab. Mit Uzbekistan Airways nach Taschkent? Klingt beim erstem Hinhören wie "mit Never Come Back Airlines ins Nirwana", oder? Dabei soll UZB die sicherste Airline der ehemaligen GUS- Staaten sein. Mir fällt das Bild vom Einäugigen unter den Blinden ein... Aber das ist wohl böse übertrieben. Okay, dann bleibt da noch das Flugzeug: Die Boeing 767-300 hat zuletzt negative Schlagzeilen mit Rissen in der Außenhaut gemacht. Aber auch das geht gut - obwohl die Maschine wohl schon viele Flugjahre auf dem Buckel hat. Die Sitze sind durchgesessen... Und die Plätze werden erst beim Check-in vergeben.

Nach sechs Stunden Flugzeit erreicht die Maschine um 20:40 Uhr Ortszeit den Tashkent Yuzhny Airport in Usbekistan. Akribisch und in aller Seelenruhe werden die Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Das wichtigste Einreiseformular ist die "Customs Declaration". Es ist mit identischem Inhalt zweifach auszufüllen. Jeder Einreisende muss angeben, wieviel ausländische Währung und welche Wertgegenstände er ins Land bringt. Eines der beiden Formulare bekommt man mit zig Handzeichen, Kringeln, Stempeln und Unterschriften versehen wieder zurück. Dieses Exemplar darf man auf keinen Fall verlieren. Es ist zusammen mit einem noch auszufüllenden Ausreiseformular beim Verlassen des Landes vorzulegen. Ansonsten gibt es jede Menge Ärger - und der Flieger ist weg...

Das Gebäude der Ankunftshalle ist außen weiträumig von Polizisten abgesperrt. Sicherheitsmaßnahmen. Es sei von einer latenten Gefährdung durch islamistisch orientierte extremistische Gruppen auszugehen - so das Auswärtige Amt in seinem aktuellen Sicherheitshinweis. Die ankommenden Fluggäste müssen mit ihrem Gepäck den Weg zu den Taxen und Bussen zu Fuß bewältigen. In Zeiten von Rollkoffern ist das kein Problem. Hinter der Absperrung wartet unsere charmante Reiseleiterin Irina Kostina auf die Gruppe. Irina ist gebürtige Russin und hat in Taschkent Germanistik und Geschichte studiert.

Unser Hotel am Ort ist das Palace Hotel, eine recht komfortable Herberge, in der wir die erste und die letzte Nacht unserer Rundreise verbringen. Das Hotel hat u.a. zwei Bars und eine bewirtschaftete Dachterrasse.

Beim Einchecken werden wir sofort von einem Angestellten des Hotels angesprochen, der unsere Euros oder Dollar gegen die einheimische Währung Sum tauschen will, natürlich zu einem für uns günstigeren Umtauschkurs als dem offiziellen. Wir erhalten 2.800 Sum für 1 Euro. Bei einer Inflationsrate von 12 % ist das Sammeln von harten Devisen durch die Usbeken sehr verständlich. Für uns ist es jedoch gewöhnungsbedürftig, große Bündel an Noten mitzuführen, denn die größte Sum- Note lautet auf 1.000 Sum (ca 0,40 €). Wenn Ihr 100 Euro umtauscht, bekommt Ihr also mindestens 280 Scheine auf die Hand! Der Umtausch läßt sich aber nicht vermeiden, Kreditkarten sind weitgehend unbekannt.

In der Hotelbar ist auf der Karte alles in US-$ ausgepreist, wird aber beim Bezahlen zum aktuellen Kurs in Sum umgerechnet. Daran gewöhnt man sich schnell.

Di, 10.05.2011

"Assalamu alaikum!" begrüßt uns Irina. Heute beginnt die Tour mit einem kurzen Stop am Denkmal für die Erdbebenopfer. Hoffentlich wird es keine Tortur, denn uns sollen in der Spitze Tagestemperaturen von ca. 40° C bevorstehen. Das Erdbebendenkmal ist die Darstellung eines heroisch überhöhten Paares, eine Kunstform, die sowohl Kommunisten als auch Nationalsozialisten bevorzugten.

Nachdem 1966 ein verheerendes Erdbeben die Stadt weitgehend zerstört hat, wurde Usbekistans Hauptstadt Taschkent auf dem Reißbrett neu entworfen. Entstanden sind - noch zu sozialistischer Zeit - breite Alleen für Militärparaden, Parks, große Plätze und wuchtige Verwaltungsbauten. Der Journalist Dietmar Bittrich hat in einem Artikel in der WELT sehr treffend festgestellt, dass Albert Speer an dieser Stadtplanung wohl seine Freude gehabt hätte, so viele Parallelen gibt es zu seinem Germania, wie er es für seinen größenwahnsinnigen Diktator entwarf. In unserer Reisegruppe gibt es Stimmen, dass man nicht erwartet hätte, dass Taschkent so schön sei... Na bitte, Wirkung nicht verfehlt!

Auf einem der Plätze steht Timur Lenk (Timur der Lahme), im Deutschen auch Tamerlan genannt, auf dem Denkmalsockel, von dem zu Sowjetzeiten erst Lenin, dann Marx und Engels gegrüßt haben. Der Tyrann und Schlächter Timur, der im 14. Jh. über ein riesiges Reich herrschte, ist der erkorene neue Nationalheld der Usbeken. Nach Siegen über seine Feinde ließ er ganze Stadtbevölkerungen abschlachten und Schädelpyramiden errichten, in Isfahan sollen es 70.000 Opfer gewesen sein - ein Massenmörder als Nationalheld? Jedoch soll Timur ein gebildeter Mann gewesen sein, der sowohl der traditionellen Lebensweise der Nomaden als auch der Stadtkultur gerecht zu werden versuchte. Möglicherweise hat ihn das bis heute mythologisiert.

Die Republik Usbekistan wird seit 1989 mit eiserner Hand von dem früheren KP- Chef und jetzigen Präsidenten Islam Karimow regiert, der weder freie Presse noch Opposition zulässt. Die Menschenrechtslage im Land ist besorgniserregend, Folter steht auf der Tagesordnung. Das Land ist einerseits weitgehend geächtet, andererseits paktiert der Westen mit dem Machthaber wegen der geostrategischen Lage Usbekistans für den Afghanistankrieg. Während sich die Präsidentenfamilie schamlos bereichert, liegt das durchschnittliche Monatseinkommen in Usbekistan bei weniger als 200 Euro. Das muss man wissen um manches zu verstehen. Der Alltag in Scheherazades Land ist also keineswegs märchenhaft! Wie lange sich die Menschen das noch bieten lassen, bleibt abzuwarten.

Heute morgen steht zunächst die Besichtigung des Chasrati Imam Komplexes auf dem Programm. Hier begeistert weniger die Medrese Barak Chan, das Kaffal- Shashi- Mausoleum und die neue Freitagsmoschee als vielmehr ein als "Bibliothek" bezeichnetes Gebäude, in dem einer der beiden ältesten erhaltenen Korane zu sehen ist. Der Koran ist in Kufi, einer geometrischen arabischen Schrift, auf Hirschleder geschrieben und wird auf das 9. Jh. n.Chr., also 200 Jahre nach Mohammeds Tod datiert. Fotografieren verboten!

Weiter geht es ins Museum für angewandte Kunst, wo ausgewählte Exponate nationaler Handwerkskunst zu bestaunen sind: Stoffe, Teppiche, Stickereien, Porzellan und Töpferarbeiten, Metallkunst und Musikinstrumente.

Hier in Taschkent wird der Grundstein für die Besichtigungen der nächsten Tage gelegt: Der Programminhalt ist kurz gesagt "MMM" -Medresen, Moscheen und Mausoleen-.

Nach einem kleinen Mittagsimbiss machen wir uns auf den Weg nach Samarkand. Der Bus wird für die 380 km ca. 6 Stunden benötigen. Es geht quer durch die Hungersteppe, die während der letzten Jahrzehnte in eine fruchtbare Ebene verwandelt wurde. Es fängt an zu regnen. Ich habe mich auf die Prognose der Wetterdienste im Netz verlassen. Da war von Regen keine Rede. Also bin ich kleidungsmäßig nicht auf Regen eingerichtet. Aber das soll sich noch als richtig erweisen.

Am Straßenrand verkaufen Bäuerinnen große Mengen Erdbeeren. Auf den Seitenstreifen der Überlandstraßen sitzen Männer unmittelbar mit dem Rücken zum vorbeirauschenden Verkehr, fahren uns Eselskarren entgegen, halten Kleinbusse unvermittelt an um Passagiere ein- und aussteigen zu lassen. Deutsche Ordnungshüter würden Zustände bekommen... Irina läßt die Fahrt gelegentlich für Pinkelpausen. unterbrechen. "Die Männer links, die Frauen rechts!" - soll heißen, sich in die Büsche oder hinter Felsen zu schlagen.

Auf den Feldern erkennt man Baumwoll- Setzlinge. Frauen und Mädchen jäten Unkraut - eine schwere Arbeit wenn sie den ganzen Tag gemacht wird. Auf den Einsatz von Herbiziden verzichtet man seit Jahren. Für Ökobaumwolle lassen sich eben bessere Preise erzielen.

In den 60er Jahren traf man in Moskau eine äußerst folgenschwere Entscheidung. Man beschloss, die zwei Hauptzuflüsse des Aralsees, den Amudarja und den Syrdarja, für die Bewässerung der Hungersteppe umzuleiten. Die Folge war ein ökologische Katastrophe. Der ehemals viertgrößte Binnensee der Welt hat bis heute 3/4 seiner ursprünglichen Fläche verloren. Der Aralsee trocknet unaufhaltsam aus - mit schlimmen Folgen für Mensch und Natur...

Übrigens hieß der Amudarja in der Antike Oxus, was zu der Bezeichnung Transoxanien ("Land jenseits des Oxus") führte, die Landschaft zwischen Amudarja und Syrdarja. Hier in Transoxanien spielt auch das alte Märchen von Farchad und Schirin.

In Samarkand checken wir im Malika Classic Hotel ein. Es ist einer Karawanserei mit 2 großen Innenhöfen nachempfunden. Bei seinem Innenausbau wurde viel Wert darauf gelegt, dass die lokalen Handwerkskünste, insbesondere Holzschnitzereien, zur Geltung kommen. Das ist gelungen und trägt zu einem behaglichen Verweilen bei. So kann man sich z.B. auf den großen usbekischen Sitzbetten, Tapchas genannt, im Schatten ausruhen.

Beim Abendessen werden wir mit einer usbekischen Tradition vertraut gemacht, dem Wodka- Trinken. Der Wodka ist hier wesentlich milder, als wir ihn aus Deutschland kennen. Irina meint, das liege daran, dass er aus Getreide und nicht aus Kartoffeln gebrannt werde. Da muss es aber wohl noch einen anderen Grund geben. Wodka ist hier für uns Deutsche preiswert, das Glas kostet ca. 0,80 Euro, die Flasche hiesigen Bieres das doppelte. Man trinkt Wodka vor, während und nach dem Essen. Und wenn der Mullah ruft, läßt der gläubige Muslim hier schon mal das Glas kurz unter der Tischdecke verschwinden. "Allah schaut nicht unter den Tisch" sagt man. Na dann, "Na zdorowje!"

Und Irina singt uns ein zum Wodka passendes Lied mit "Bodensee" vor:
"Oh wie tut mein Herz mir weh,
wenn ich im Glas den Boden seh´..."

Mi, 11.05.2011

Wir beginnen den Tag mit dem Besuch des Gur-Amir-Mausoleums, des Grabmals Timurs. Hier sind auch andere "Timuriden" - wie man die Herrscherdynastie nach Timur nennt - begraben, u.a. sein Enkel Ulug Bek.

Im Zentrum der alten Karawanenoase Samarkand öffnet sich der Registanplatz, der "sandige Platz" mit seinen berühmten drei Koranschulen, Medresen genannt. Ulug Bek errichtete die erste Medrese im Jahre 1420. Die gegenüber liegende Universität, die Sherdor Medrese, wegen der Darstellung von Fabelwesen auf der Fassade auch "Tigerhaus" genannt, entstand 200 Jahre später und kurz darauf rundete die Tillya Kori, "die Goldgeschmückte", das Ensemble ab. Der Registan ist einer der prächtigsten historischen Plätze Mittelasiens. Wir lassen uns viel Zeit mit der Besichtigung der imposanten Gebäude.

Dann führt Irina uns zu ausgewählten Handwerkern, die ihre Produkte zum Kauf anbieten. Ein Majolika- und Mosaikmeister demonstriert uns, wie die prachtvolle Verzierung der Wände und der Kuppeln entsteht. Dann lernen wir den "Tiger der Tigermedrese" kennen, Registanangeblich einen national sehr bekannten Musiker, der uns auf diversen traditionellen Instrumenten kurze Sequenzen vorspielt und anschließend seine CDs zum Kauf anbietet. Nicht das Richtige für meine Ohren. In den Galerien am Registanplatz gibt es auch schöne Seidenteppiche zu kaufen, die hier in Samarkand gewebt werden, oder auch Suzani, großformatige, in aufwendiger Handarbeit mit Seiden- oder Wollstickereien verzierte Baumwollstoffe, die als Wandbehang, Bettüberwurf oder Tischdecke dienen. Die Muster entsprechen aber überwiegend nicht unserem westlichem Geschmack.

Auf dem Registanplatz werden wir wiederholt von Polizisten angesprochen, die ihr geringes Gehalt damit aufbessern wollen, den wenigen ausländischen Touristen gegen eine selbst festgesetzte Gebühr die Tür zum Aufstieg in ein Minarett zu öffnen. Das sollte man sich aber gut überlegen, die Stufen sind von unterschiedlicher Höhe , die schmale Wendeltreppe ist unbeleuchtet und die Brüstung oben nur kniehoch.

Die Bibi- Xanom- Moschee, einstmals eine der größten und schönsten Moscheen der Welt, ist seit Jahrzehnten eine Dauerbaustelle. Timur ließ sie zum Andenken an seine Lieblingsfrau bauen. Zeitweilig waren 500 Steinmetzen mit dem Bau beschäftigt. Wiederholt ließ Timur die verantwortlichen Baumeister hinrichten, weil die Ausmaße der Moschee noch nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Die Nachbesserungen führten zu einer statischen Instabilität, die schon früh zu ersten Einstürzen führte. Auch zum Zeitpunkt unseres Besuches ist die Moschee- Kuppel wieder mal eingerüstet...

Samarkand, eine der ältesten Städte der Welt, wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt. Gegründet im 7. Jh. v. Chr. lag Samarkand auf der "Großen Seidenstraße", die die Länder Asiens und des Mittelmeerraums auf Handelswegen verband. Das historische Samarkand war religiös- wissenschaftlicher Mittelpunkt der alten orientalischen Kulturen und Drehscheibe der Weltkulturen.

Rosinen, Feigen und Nüsse umduften uns auf dem Siob- Basar. Pyramiden von Tomaten, Gurken, Granatäpfeln, bernsteinfarbenem und weißem Kandiszucker und glänzenden, runden Fladenbroten türmen sich an den Marktständen. Säcke mit Mais, Pistazien, Mandeln und Zwiebeln stapeln sich daneben. Messerschleifer, Hut- und Schuhmacher bieten ihre Dienste an. Ein Markt, so bunt und faszinierend wie das Leben.

Hier in Samarkand lebte einst Scheherazade, die schöne und kluge Tochter des Wesirs von König Schahrayâr, der von seiner Frau betrogen wurde und daraufhin schwor, dass ihm gleiches nie wieder passieren würde. Er nahm sich an jedem Tag eine neue Frau, die er am nächsten Tag töten ließ - bis er Scheherazade kennenlernte. In der ersten Nacht begann sie, dem König eine Geschichte zu erzählen, deren Handlung sie am nächsten Morgen abbrach. Neugierig auf das Ende der Geschichte ließ der König sie am Leben. Dieses Spiel ging 1001 Nächte lang. In dieser Zeit brachte Scheherazade drei Kinder zur Welt. Am Ende war König me in UsbekistanSchahrayâr von der Treue seiner Frau überzeugt und von ihrer Klugheit so beeindruckt, dass er sie heiratete.

In Usbekistan gibt es wirklich sehr hübsche junge Frauen, die Scheherazade wohl alle Ehre machen würden...

Heute abend "sind wir bei einer Familie zum Essen eingeladen", sagt Irina. Das ist natürlich eine sehr nette Umschreibung dafür, dass wir über den Reisepreis bereits für das Abendmahl bezahlt haben. Was uns erwartet ist ein privater Restaurationsbetrieb, in dem Reisegruppen nach Voranmeldung bewirtet werden. Als Vorspeisen gibt es geröstete Aprikosenkerne, Salat, Quark und Brot und eine Reissuppe mit Fleischbällchen. Als Hauptspeise folgen usbekische Maultaschen, die aus einem Kartoffelstrudelteig mit Fleischfüllung bestehen. Dazu wird Wasser, Bier und natürlich Wodka ausgeschenkt. Es schmeckt uns wirklich gut.

Do, 12.05.2011

Die Ruine des Observatoriums von Ulug Bek steht auf dem Programm. Der unterirdische Teil des Sextanten ist bis heute erhalten. Er hatte einen Radius von 36 Metern. Der Herrscher Ulug Bek war ein berühmter Astronom und bestimmte im 15. Jh. die Dauer eines Jahres mit einer Genauigkeit, die nur 1 Minute vom heutigen Wert abweicht.

Neben dem Observatorium hat man ein kleines Museum eingerichtet, worin man wissenschaftliche Instrumente der damaligen Zeit ausstellt. Hier findet sich auch eine Karte, die die Ausmaße des Timurschen Reiches darstellt (auf dem Bild violett)..

Im Museum Afrosiab können wir leider nur erahnen, wie das ursprüngliche Samarkand ausgesehen haben muss. Es gibt gerade einen Stromausfall, so dass die Ausstellungsräume mit ihren imposanten Wandgemälden zum Leben der damaligen Zeit nur mit einer schwachen Taschenlampe besichtigt werden können. Ich erkenne so gut wie nichts.

Heutiger Besichtigungshöhepunkt ist die Gräberstraße Shahizinda. Von Norden nach Süden sind an einem engen, siebzig Meter langen Korridor 16 Gebäude, Mausoleen und Moscheen angeordnet. Wo man hinschaut Blumen und Sterne - das sogenannte Samarkander Ornament. Majolika und Mosaike schmücken Wände, Decken und Kuppeln. Die eindrucksvolle Nekropole entstand neben der hier vermuteten Grabstätte Qussam ibn Abbos, dem Cousin des Propheten Mohammed. Er wird als der "lebendige Herrscher", also "Shahizinda" bezeichnet. Der Legende nach wurde er bei der Eroberung Mittelasiens von den Ungläubigen geköpft, stieg danach aber mit dem Kopf unter dem Arm in einen Hügel, in dem er sich bis heute verborgen hält.

Der Donnerstag sei in Usbekistan traditionell der "Stinkertag" erklärt uns Irina. Das bedeutet, dass mindestens einmal pro Woche, nämlich am Donnerstag, ein Bad genommen werden soll. An diesem Tag gibt es in den Familien Plov, ein Eintopfgericht, und mindestens in dieser Nacht, also einmal wöchentlich, müsse ein Ehemann seinen ehelichen Pflichten nachkommen, weshalb die Frage am nächsten Morgen "Gestern gut geplowed?" eine doppelte Bedeutung habe.

Am Nachmittag bevorzuge ich eine MMM- Auszeit auf den Sitzbetten im Hotel- Patio. Sehr erholsam. Ganz im Gegenteil zu unserem heutigen Abendessen in einer reinen Touristenabfütterungsanlage, in der gleichzeitig mehrere Reisegruppen an lange Tische gezwängt werden. Die Qualität von Essen und Service ist unter aller Kanone und das bei dem höchsten Getränkepreis, den wir auf der Reise erleben. Das ist aber auch die einzige kulinarische Katastrophe.

Zum Abschluß des Tages fahren wir mit dem Bus noch einmal zum Registanplatz. Die Beleuchtung der imposanten Bauten wird von den wachhabenden Polizisten gegen Gebühr für die eigene Tasche ein- und ausgeschaltet. Samarkand at night...

Fr, 13.05.2011

480 km lang ist die Strecke nach Buchara. Die Tageshöchsttemperatur steigt heute auf 38° C. Grüne Täler neben den schneebedeckten Gipfeln des Zarafshangebirges, vor uns liegt die Stadt Shaxrisabz, wo wir die Ruinen des Portaleingangs von Timurs Sommerresidenz Ak Sarai besichtigen. Der Palast wird auch das "weiße Schloss“ genannt, nicht jedoch wegen seiner Farbe, denn die war himmelblau. Die Bezeichnung Ak bedeutet hier in übertragendem Sinn "erhaben". Früher schmückten Gold und Silber die Räume, und Obstbäume verwandelten den Garten in ein duftendes Paradies - heute sind nur noch Teile des Eingangsportals erhalten, die aber die alte Pracht des Palastes erahnen lassen.

Mittlerweile finden sich vor jedem historischen Gebäude auf der klassischen Touristenroute Händlerinnen, die ihre Waren an den Mann, oder besser - die Frau bringen wollen: Taschen, Seidentücher, Schals, Decken - meist in Handarbeit hergestellt und mit den landestypischen großen Ornamenten verziert. Es wird aber auch zunehmend billige industrielle Ware aus China verkauft. Die Frauen in unserer Gruppe kaufen bei fast jedem Stopp irgendwas. Ich vermute, das ganze Zeugs liegt dann später zuhause nur rum.

Durch eine kleine Gartenanlage mit Verkaufsständen in den Arkaden laufen wir zur Freitagsmoschee Masrati Iman, wo sich gerade die Männer zum Gebet versammeln. Der Mullah wird im Innenhof predigen, wo eine Galerie und einige Bäume Schatten spenden. Die Männer lächeln uns freundlich zu und lassen sich gerne fotografieren. Auch die Usbekinnen mögen es, fotografiert zu werden, möglichst auf Gruppenbildern mit Touristen, und auch selbst zu fotografieren. Bei den Frauen ab 40 gilt es als Schönheitsideal, die Vorderzähne vergolden zu lassen - ein gewöhnungsbedürftiger Anblick. Die Dentisten im Lande verdienen sich jedenfalls zusätzlich eine goldene Nase...

Die Kok Gumbas Moschee lockt mit ihrer blauen Kuppel. Es ist die frühere Freitagsmoschee der Stadt, die Ulug Bek errichten ließ. Das Jahangir- Mausoleum wurde für einen Sohn Timurs, errichtet, der als Kind infolge eines Reitunfalls verstarb. Timur soll unter dem Verlust seines Sohnes sehr gelitten haben und zu einem verbitterten Mann ohne Mitleid geworden sein.

Auch das historische Zentrum von Shaxrisabz wurde in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Von hier bis nach Mazar-e Sharif, Afghanistan, sind es kaum mehr als 400 km Luftlinie. Der Krieg findet um die Ecke statt.

Während der Fahrt durch die Kisilkum- Wüste, die einen spärlichen Bewuchs aufweist, erzählt uns Irina etwas über Fauna und Flora. Immer wieder treffen wir auf kleinere Schaf- und Ziegenherden. Die Schafe gehören einer besonderen Rasse an, den Fettschwanzschafen oder den Fettsteißschafen. Deren Fleisch und Fett wird in Usbekistan sehr hoch geschätzt, es wird reichlich den Eintopfgerichten beigefügt. Wenn Ihr das probiert, solltet Ihr nie ein kaltes Bier dazu trinken, sondern lieber heißen grünen Tee. Euer Magen wird es Euch danken! Apropos Magen und Darm: Ohne Durchfallerkrankung einen Usbeskistan- Urlaub zu überstehen, ist trotz Beachtung aller Vorsichtsregeln fast unmöglich. Mich soll es auch noch erwischen.

Am Abend erreichen wir Buchara und checken ein im Asia Bukhara Hotel. Nur wenige Schritte vor dem Hotel liegt Labi Hauz , ein Wasserbecken im historischen Zentrum. Auf der Terrasse des angrenzenden Restaurants entspannen wir unter den alten Maulbeerbäumen bei einem Bier. Das lokale Bier namens Sarbast schmeckt übrigens ausgezeichnet! Es wird nach Pilsener Art von Carlsberg Uzbekistan gebraut.

Wir schließen die Augen und stellen uns vor, dass die "bezaubernde Jeannie" uns bedient oder Aladin mit seiner Wunderlampe auftaucht in dieser märchenhaften Umgebung. Aber der Wunsch bleibt leider der Vater des Gedankens... Die Chanaka Devon Begi Medrese spiegelt sich in der glatten Wasserfläche des Labi Hauz.

Sa, 14.05.2011

Buchara - allein der Name klingt schon nach Poesie, Buchara, die "Edle", eine der sieben heiligen Städte der islamischen Welt. In der Altstadt (UNESCO-Weltkulturerbe) erspüren wir den Zauber, den diese Oase ausstrahlt. Hier waren einst Kalife, Großwesire und Emire zuhause. Hier wurde Ibn Sina, genannt Avicenna, der historische Medicus geboren. Es klackert und kracht in den Gewölben rund um den alten Handelsplatz Labi Hauz: Miniaturenmaler, Scherenmacher und Goldsticker winken uns zu.

Bei einem Puppenmacher kehren wir ein. Irina führt uns eine Handpuppe vor. Hier finden sich alle klassischen Figuren des Orients: Ali Baba und die 40 Räuber, Aladin, Sindbad und Harun al- Raschid, Derwische und Prinzessinnen...

Wir besuchen das reich geschmückte Samaniden- Mausoleum, ein Meisterwerk früher islamischer Architektur. Nirgendwo im Orient findet sich etwas Vergleichbares, das Gebäude wirkt wie aus Backsteinen "geklöppelt".

Auf dem Weg durch die Gartenanlage machen wir Halt an der
Bolo Hauz Moschee und bewundern die hohen Holzsäulen des Ayvon - eine Art Galerie, die der Fassade vorgebaut ist. Die Säulen und die Decke des Ayvon sind reich verziert.

Dann liegt der Ark vor uns, die mächtige Festung der Emire von Buchara. Besonders beeindruckt mich die mit Lehm versiegelte hohe Festungsmauer und die Kerker, in denen damals unter menschenunwürdigen Umständen Gefangene dahinvegetierten.

Dagegen geht es uns unglaublich gut. Wir nehmen in einem angenehm kühlen Raum einen Mittagsimbiss zu uns und stärken uns für den Nachmittag im Labi Hauz Komplex. Dort erwarten uns und unser Geld Kachelbrenner, Mützenmacher, Tee- und Gewürzverkäufer, Juweliere und Teppichhändler. Sie sind aber alle angenehm unaufdringlich. Hier am Labi Hauz sitzt auch Hodscha Nasreddin, der orientalische Eulenspiegel, auf einem Esel - ein Denkmal für einen weisen Narren. In einer stimmungsvollen Teestube genieße ich eine Tasse Gewürztee.

Das legendär reiche Buchara war immer auch ein Zentrum der Wissenschaften. Die Medrese Mir-e-Arab ist die einzige Hochschule in Zentralasien, an der seit über 400 Jahren ununterbrochen moslemische Geisteswissenschaften gelehrt werden. Die Ulug Bek- Medrese ist Zentralasiens älteste Hochschule. Über ihrem Portal steht eine für das mittelalterliche, doch damals schon sehr moderne Buchara typische Forderung: "Das Streben nach Wissen ist Pflicht aller Mosleme - eines jeden Mannes und einer jeden Frau."

Das heutige Abendessen findet im Hof der Devon Begi Medrese statt. Sie wurde eigentlich als Karawanserei gebaut. Als der Chan damals durch die Straße ritt, lobte er die schöne Medrese mit ihren Fabelwesen auf dem Eingangsportal. Und da sich Chane nie irrten, wurde kurzerhand eine Medrese aus der Karawanserei. Derartiger Pragmatismus gefällt mir.

Im Innenhof wird zum mehrgängigen Menü eine "Folklore- und Modenschau" inszeniert. Für mich eine typische Touri-Show. Aber was hat die Usbeken an einigen Nachbartischen hierher verschlagen? Es gibt Plov, Baby!.

So, 15.05.2011

Gnadenlos jagt uns Irina durch das MMM- Programm. Am Ende der Reise wird sie uns eine Liste der besuchten Stätten überreichen. Wir haben schon längst den Überblick verloren.

Beginnen wir den heutigen Tag mit dem Besuch des Sufi- Heiligtums Tschor Bakr. Draußen vor der Stadt ließ der Emir die Sufi- Scheichs ihre Moschee und Medrese bauen. Schon damals ging von sektirerischen Muslims eine Gefahr aus. Hier findet sich auch das Grab der vier heiligen Brüder, direkter Nachfahren des Propheten. Allerdings hat man erst 3 von ihnen gefunden. Die Legende sagt, dass sobald das 4. Grab gefunden ist, das Paradies auf Erden herrschen wird. Das Grabmal gilt als magischer Ort, von dem eine besondere Kraft ausgehen soll. Lege man andächtig seine Hand daran, würde ein still geäußerter Wunsch in Erfüllung gehen, meint Irina.

Die Sufis hat es schon zu Lebzeiten Mohammeds gegeben. Sie haben seinerzeit den Islam als Religion angenommen, sind aber weder den Sunniten, noch den Schiiten zuzurechen. Es handelt sich um einen islamistischen Orden, in dem Askese und durch Drogen und Tanz provozierte Trancezustände ein bestimmendes Element sind. Dadurch soll die vollständige Erleuchtung erreicht werden. Ein Sufi- Scheich steht dem Orden vor. Daneben gibt es Derwische, Wandermönche, die sich angeblich mit einer Tagesration Wasser und Brot aufmachten, die Wüste Kisilkum zu durchwandern - im Vertrauen darauf, dass Gott sie schon ernähren werde. Die meisten Derwische sind bei diesem Versuch elendig verdurstet und verhungert. Die Mönche trugen lange wollene Mäntel und Mützen. Bis heute tragen usbekische Traditionalisten im Hochsommer Daunenjacken und -mäntel, die es dem Körper angeblich erleichtern, mit der Hitze klarzukommen. Der eigene Schweiß soll nämlich unter den Mänteln eine natürliche Barriere gegen die Dehydrierung bilden. Wie mag das riechen?

Irina berichtet von angeblichen Gemeinsamkeiten bei Sufis und Kapuzinermönchen. Neben der strengen Askese hätten sie einige identische Symbole, so z.B. der Dreieckshut der Derwische und die dreieckige Kapuze der Kapuziner. In beiden Orden habe zudem die Rose die gleiche Bedeutung.

Heute haben wir 40° C. Zwei Monate später sollen hier Temperaturen von mehr als 50° herrschen. Unvorstellbar!

"Meine Damen und Herren, sehen Sie das? Ja? Können Sie das sehen?" Irina ist in ihrem Element. Die ehemalige Sommerresidenz des letzten Emirs von Buchara liegt in einem hübschen Park. Pfaue stolzieren im Garten an uns vorbei, zahlreiche Kunstgegenstände und Gastgeschenke aus aller Welt sind im Inneren des Palasts zu besichtigen. Die Mixtur aus asiatischen und europäischen Stilrichtungen wirkt auf mich kitschig. Ich probiere mal ein Eis aus der Eistruhe. Irina meint, das sei bedenkenlos zu essen und garantiert nicht verkeimt.

Die Chor Minor Moschee, gerade einmal 200 Jahre alt, liegt am Rande der Innenstadt. Ihre Bauweise weicht vom traditionellen Baustil ab und orientiert sich eher am indischen Taj Mahal. Jedoch wurde sie mit ihren vier Minaretten zu einem Wahrzeichen Bucharas.

Der unverplante Nachmittag kommt sehr gelegen. Bei der heutigen Hitze macht es auch nicht wirklich Spaß durch die Gassen der Altstadt zu latschen. Freund Rüdiger und ich entscheiden uns für eine "Rooftop- Bar" am Poi Kalon-Komplex. Hier kann man bei einem guten Bier die bisherigen Eindrücke reflektieren.

Am Abend erwischt mich dann Montezumas Rache, hier wohl eher "Timurs Rache" genannt. Na super! Ob es wohl das Eis war? Nach einer unruhigen Nacht bin ich am nächsten Morgen aber wieder einigermaßen fit.

Mo, 16.05.2011

Samarkand, Buchara und Chiwa waren einst die Knotenpunkte der legendären Seidenstraße, einem Geflecht alter Handelswege, die über eine Entfernung von 10.000 km das Mittelmeer mit Ostasien verbanden. Karawanen transportierten Seide, Gewürze, Porzellan, Pelze, Gold und Sklaven. Marco Polo brachte auf dieser Route die Pasta nach Italien. Heute ist die Seidenstraße eine löcherige Wüstenpiste, auf der betagte Busreisende sich Bandscheibenvorfälle zuziehen...

Wir fahren durch die Steppen- Wüste Kisilkum 430 km nach Chiwa und erleben einen Sandsturm, der uns kurzzeitig die Sicht nimmt. Auf einigen Abschnitten ist die Landschaft gelb gepudert vom Blütenstaub der Büsche. Saxaulsträucher, Tamarisken, Sandakazien und Kameldorn sind die gängigsten Wüstenpflanzen. Vereinzelt sieht man auch die "stinkende Ferulo", mit deren grünkohlartigem Strunk die Römer faule Schüler züchtigten. Was man anschließend nicht nur an den Striemen sah, sondern zudem auch roch.

Scheinbar endlos erstreckt sich die trostlose Landschaft entlang der Piste. Nomaden haben einzelne Jurten aufgestellt, Hirten bewachen ihre kleinen Herden. Die Tiere ernähren sich von dem kargen Wüstenbewuchs. Auf halber Strecke machen wir in der gleißenden Sonne einen Halt um unsere mitgenommenen Lunchpakete zu verzehren. Der Busfahrer serviert heißen Tee und Kaffee. Für den Tee zieht er ein und denselben Teebeutel jeweils durch mehrere Becher heißen Wassers, der Kaffee wird mit Instantpulver zubereitet. Aber es ist okay, der Mensch wird auf Karawanenstraßen genügsam.

Irina erzählt von Land und Leuten. Viele ausgewanderte Usbeken seien in den letzten Jahren zurückgekehrt weil sie im Ausland ihren Job verloren hätten. Zurück in Usbekistan fanden sie Verhältnisse vor, bei denen Facharbeiter 300 Sum im Monat verdienen, aber mehr als 1.000 Sum benötigen um ihre Familien zu ernähren. Die Rückkehrer kamen also vom Regen in die Traufe. Auch in Usbekistan kann über kurz oder lang das Fass explodieren - wie gerade in den arabischen Ländern.

Die 2. Hälfte der Fahrtstrecke nach Chiwa ist eine Zumutung für Mensch und Material und eine große Herausforderung für den Busfahrer und unsere Bandscheiben. Auf einer Länge von 100 km wurde die alte Straße schon mal vorauseilend zerstört, während der Bau der neuen Fahrbahn nicht voran geht. Dank dieses Umstandes braucht man für die Fahrt von Buchara nach Chiwa statt 5 nun 10 Stunden!

Am Straßenrand sieht man vereinzelt rote Wimpel, die an Stöcken festgemacht wurden. Sie markieren die Stellen, an denen Muslime beigesetzt wurden. Nach dem Tod muss ein Muslim innerhalb von 24 Stunden beerdigt werden, was in dieser Gegend oftmals nicht ausreicht um den Leichnam zu einem Begräbnisfeld oder Friedhof zu bringen. So wird der Verstorbene eben an Ort und Stelle beigesetzt.

Endlich erreichen wir Chiwa, das in der Oase Choresm gelegen ist, und beziehen Quartier im Malika Khiva Hotel, das zwar nicht sonderlich begeistern kann, aber Hauptsache wir sind angekommen! Umso mehr freue ich mich am Abend über eine SMS meiner Tochter, die heute ihr zweites Staatsexamen bestanden hat. Zum Abendessen gibt es u.a. russischen Borschtsch, der sehr schmackhaft zubereitet wurde.

Di, 17.05.2011

Wie ein riesiges Freilichtmuseum liegt die Altstadt von Chiwa vor uns: Paläste, Moscheen, Mausoleen und lebhafte Basare erstrahlen neben alten Lehmhäusern und -mauern wie vor Hunderten von Jahren - nichts scheint sich hier seit der Stadtgründung verändert zu haben. Chiwas Wahrzeichen ist das Kalta Menar, ein unvollendeter Stumpf, der einmal das höchste Minarett Zentralasien werden sollte. Doch verhinderten statische Probleme den Weiterbau.

Wir biegen ab zur alten Zitadelle, dem Koxna Ark, Residenz der Chiwaer Chane. Der Ark besteht neben den Unterkünften des Herrschers aus Empfangsplatz, Thronsaal, Harem, Arsenal, Münzhof und Moschee. Wir quälen uns die unregelmäßigen Stufen zur obersten Platform der Festung hinauf und werden mit einem herrlichen Rundblick über das alte Chiwa belohnt. Vor den Mauern des Ark befindet sich der Kerker und die Hinrichtungsstätte. Die Todesstrafe wurde grausam vollstreckt: Männer wurden gehenkt oder kopfüber in ein Loch im steinernen Boden gesteckt und dann mit Lehm zugeschüttet bis sie erstickt waren, Frauen wurden gesteinigt.

Die Temperatur ist heute auf ein erträgliches Mass zurückgegangen, es ist bedeckt und wir erleben einen kleinen Regenschauer.

In einem der zahlreichen Medresenhöfe haben Artisten ein Hochseil gespannt. Wir werden Zuschauer einer Vorführung. Nur mit einer Balancierstange ausgerüstet geben uns die Jabbarov Brüder, von mir respektlos "die Tortellinis" genannt (Entschuldigung!), Kostproben ihrer Hochseilakrobatik. Als Höhepunkt wird die etwa vierjährige Tochter eines der beiden auf den Kopf balanciert. Glücklicherweise arbeiten die Artisten mit Sicherungsseilen. Sonst hätte man nicht hinschauen wollen....

Ein weiterer Palast in der Altstadt ist der Toshxauli Palast, wo wir das Gebäude des Harems besichtigen. Der Herrscher hatte bis zu vier Ehefrauen, wie es der Koran erlaubt, und mindestens 40 Konkubinen. Alle Frauen lebten auf verhältnismäßig engem Raum im Harem zusammen.

Wir besuchen in einer Medrese einen Händler, der u.a. historische Kostüme als Fotorequisiten anbietet. Und prompt willigen einige Mitreisende ein, sich diese stinkenden und - vermutlich - verlausten Klamotten für ein Foto anzulegen. Voilà - es treten auf ein Derwisch, verhüllte usbekische Frauen und ein Usbekengeneral. Gib dem Affen Zucker!

In einem Nebenraum entdecke ich russische Babuschka- Steckpuppen, allerdings in Gestalt von Osama bin Laden, Jimmy Carter und Barack Obama... Es gibt eben nichts, was es nicht gibt.

Mittags essen wir Fleischspieße, wahlweise mit Huhn, Rind oder Lamm - direkt vom Holzkohlegrill. Lecker! Wir sitzen wieder mal unter Maulbeerbäumen, von denen immer wieder die klebrigen Beeren fallen, die wie Brombeeren aussehen. Eine Maulbeere fliegt mir direkt hinter das Brillenglas ins Auge. Volltreffer! Aber besser als Vogelschiet. Die Beeren werden oft von Frauen und Kindern aufgesammelt. Manchmal werden auch Tücher unter die Bäume gelegt. Man isst die Beeren sofort oder presst sie zu Saft. Es gibt weiße, rote und schwarze Maulbeeren.

Von den Fleischspießen gestärkt meint Rüdiger, das 45 m hohe Islom-Xoja Minarett besteigen zu müssen. Vor seinen unregelmäßigen und unbeleuchteten Stufen wird im Reiseführer gewarnt. Und genau das ist wohl auch berechtigt: Nach dem Abstieg hat Rüdiger sich mehrere Muskeln gezerrt. Aber es hat sich wohl für den Rundumblick gelohnt.

Sehenswert ist auch die Säulenhalle der von außen unscheinbaren Juma- Moschee. Mehr als 200 hölzerne Säulen - alle kunstvoll mit Schnitzereien verziert, tragen die Decke. Man spricht bei dieser Halle auch vom "Cordoba Mittelasiens".

Kinder tanzen ausgelassen in den Gassen der Altstadt zur Popmusik aus dem Ghettoblaster. Auf der Dachterasse eines Lokals vor der alten Stadtmauer genießen wir den Spätnachmittag bevor es zum Abendessen in ein kleines familiengeführtes Restaurant geht.

Mi, 18.05.2011

Unser Bus bringt uns zum Regionalflughafen nach Urgentsch. Von dort fliegen wir mit Uzbekistan Airways am Vormittag zurück nach Taschkent. Das Flugzeug ist eine Avro RJ85, ein englischer Kurzstrecken- Jet, der auch auf kurzen Landebahnen starten und landen kann - wie hier in Urgentsch. Der Flug verläuft perfekt.

Zurück in Taschkent besuchen wir den überdachten Taschkenter Basar und werden eingehüllt vom Geruch der Gewürze, Käse, Fleisch und Gemüse. Lautstark bieten die Händler und Händlerinnen auf dem riesigen Areal ihre Waren an.

Der Reiseveranstalter Studiosus hat als letzten Programmpunkt den Besuch eines von ihm geförderten Kindergartens vorgesehen. Das schenken sich die meisten von uns, da beim besten Willen kein Bezug zum bisherigen Programm zu entdecken ist. Irgendwie ist der Kontakt zur Bevölkerung im Reiseprogramm zu kurz gekommen.

Das Abschiedsessen für die Gruppe findet am Abend im Palace Hotel statt, wo wir die letzte Nacht vor dem Rückflug verbringen.

Do, 19.05.2011

Verdammt früh, um 06:35 Uhr sollen wir von Taschkent nach Frankfurt zurückfliegen. Am Flughafen erwartet uns ein chaotisch organisierter Check-In von Usbekistan Airways und schikanöse Pass-, Zoll- und Sicherheitskontrollen. Die dort tätigen Verantwortlichen unterstreichen ihre Wichtigkeit durch pedantische Kontrollen, Stempelkaskaden auf den Ausreisepapieren und - bei deren fehlerhaftem Ausfüllen - einem entschiedenen Zurückweisen des Touristen in die letzte Reihe der Schlange vor den Schaltern. Alles in allem haben diese quälend langsamen Formalitäten eine unglaublich abschreckende Wirkung. Sie erinnern mich stark an damalige Ein- und Ausreisen in Länder der ehemaligen Sowjetunion. Offensichtlich ist der homo sovieticus im Postkommunismus noch nicht ausgestorben. So fördert man den Tourismus in Usbekistan jedenfalls nicht!

Schließlich sitzen wir im Flieger und landen nach fast 7 Stunden Flugzeit um 10:20 Uhr Ortszeit in Frankfurt.

Moscheen, Medresen, Museen und Mausoleen der islamischen Welt habe ich auf meinen Reisen durch Ägypten, Jordanien, Iran und jetzt Usbekistan erst einmal genug gesehen.
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*Maps courtesy of www.theodora.com/maps used with permission.

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Der beste Usbekistan.- Reiseführer kommt von den Orientexperten des Trescher Verlages. Judith Peltz hat alles Wissenswerte zu Usbekistan in diesem Buch zusammengefaßt, Ihr findet weitergehende Infos zu den historischen Stätten ebenso wie Reisetipps und Hintergründe zu speziellen Themen. Ca. 300 Seiten, handlich und kompakt - sehr empfehlenswert!

Natürlich dürfen die Märchen aus Tausendundeine Nacht nicht fehlen, aber bitte nicht als weichgespülte Kindermärchen, sondern in der Originalübersetzung mit ihrer derben Ausdrucksweise und unverblümten Erotik. Claudia Ott hat das meisterhaft hinbekommen - eine weitere Empfehlung.

Für diejenigen, die den Weltbestseller "Der Medicus" von Noah Gordon noch nicht gelesen haben: Kauft dieses Buch! Es ist seinen Preis wert und entführt Euch in die Welt des legendären Arztes Ibn Sina - direkt in das alte Samarkand und nach Buchara, spannend, faszinierend, hervorragend recherchiert... Besser kann man einen historischen Roman nicht schreiben.

Noch ein Geheimtipp ist Matthias Polityckis Roman "Samarkand Samarkand", der erst im August 2013 bei Hoffmann und Campe erscheint, aber schon jetzt von den Feuilleton- Redaktionen der nationalen Presse hochgelobt wird.

Und hier gehts zurück zur Startseite: www.travelhomepage.de (falls es mit dem Slide-In-Menue am linken Rand nicht klappt...)