Azoren auf der ErdkugelInseln der AzorenAZOREN ?

Andreas, Dirk und ich, wir sind nicht von Lissabon hierher gekommen, das Azorenhoch tieferzulegen. Vielmehr wollen wir die landschaftliche Schönheit der Azoreninseln São Miguel, Faial, Pico und Terceira erkunden. Für die meisten liegen die vulkanischen Inseln jottwede im Atlantik, für Segler gelten sie als letzter Stop auf dem Weg nach Amerika, für uns sind sie eine Reise ins Unbekannte.

In der Wetterküche Europas landen wir Anfang Oktober 2003. Als Unterkünfte haben wir typische alte Landhäuser vorgebucht.

Ilha de São Miguel

So, 05.10.03 Am Flughafen von Ponta Delgada, Sao Miguel, stehen wir erst mal wie bestellt und nicht abgeholt. Wir haben nämlich bisher weder Vouchers für die Landhäuser, Tickets für die Azorenflüge noch einen Mietwagen. Nach intensiven Nachfragen bei den örtlichen Autovermietern werden wir aber fündig und übernehmen schliesslich einen Renault Trafic, einen Mini- Bus. Bei dem Vermieter sind auch die Vouchers und Tickets deponiert. Das mutet schon ein wenig wie eine Schnitzeljagd an ...

Zunächst machen wir mal einen Zufalls- Abstecher nach Rabo de Peixe. Hier findet eine Art Volksfest statt. Alles ist auf den Beinen. Vor der Kirche schmücken Gläubige die Treppe und den Vorplatz. Sie füllen Blütenblätter in geometrisch geformte Rahmen, die anschließend wieder abgehoben werden. So entsteht eine beeindruckende florale Ornamentik, deren Bedeutung sich uns aber nicht erschließt.

Nach einiger Irrfahrt im Zielgebiet finden wir an der Nordküste am Ortsrand von Maia unser erstes Quartier, das Solar de Lalém, ein Adelssitz aus dem 18. Jh.. Das Landhaus wird von dem sympathischen deutschen Ehepaar Gerd u. Gabriele Hochleitner bewirtschaftet. Die Gästezimmer sind stilvoll mit antikem Mobiliar eingerichtet. Das Solar de Lalém wird nicht zu Unrecht im Reiseführer als Geheimtipp für Nostalgiker bezeichnet! Wir fühlen uns hier sehr wohl, was nicht zuletzt an der Fürsorge der Hochleitners liegt. Die Preise für die abendliche Getränkebewirtung sind absolut okay, das Frühstück am Folgetag auch.



Am Abend findet in Maia eine Prozession zu Ehren der Senhorá do Rosário, das Rosenkranzfest, mit anschließendem Besäufnis (O-Ton einer Ortskundigen...) statt. Die Mitte der engen gepflasterten Sträßchen ist von den Bewohnern mit Zweigen, Blättern und Blüten geschmückt worden. Über diesen Pflanzenteppich werden von Klerus und örtlichen Würdenträgern Monstranz und Madonnenstatue getragen. Frauen und Mädchen beten den Rosenkranz. Die Prozession zieht kreuz und quer durch den Ort, wir erfrischen uns derweil in einer Hinterhofkneipe bei einem Bier. Der Fernseher läuft. Ein Spiel des F.C. Porto wird gerade übertragen. Ein paar Männer aus dem Ort sind mit Leib und Seele dabei. Wir suchen das von unserer Wirtin empfohlene kleine Restaurant Fim de Seculo auf - es ist geschlossen. So bleibt uns nur, es wie die Kinder hier zu halten: Wir verpflegen uns nach dem Ende der Prozession bei fliegenden Straßenhändlern mit Hot Dogs. Nicht wirklich gut, aber sättigend. Den späten Abend lassen wir im Solar de Lalem mit den Hochleitners auf der Terrasse der Villa ausklingen. Gerd kredenzt uns einen Spezial- Trester von den Azoren, einen Aquardente. Dessen Herstellung sollen wir später noch "live" erleben.

Mo, 06.10.03 Den heutigen Tag wollen wir zur Erkundung des Ostteils der Insel nutzen. Zunächst besuchen wir die Teeplantage und -fabrik "Plantacoes de Chá Gorreana" in unmittelbarer Nähe von Maia. Sie war lange Zeit die einzige Teeplantage Europas. Hier existiert ein einzigartiges Mikroklima, das den Teeanbau begünstigt. Der pestizidfreie schwarze und grüne Tee wird nur zu einem geringen Anteil exportiert. Wir schauen uns die alten englischen Maschinen zum Trocknen und Vorsortieren an, einige Frauen aus dem Dorf zupfen in einem separaten Raum die Teeblätter von den Stielen. An einem kleinen Verkaufsstand der Teefabrik kann man den Tee probieren und kaufen.

Wir setzen die Fahrt fort. Vorbei an einem harmonisch in die Landschaft integrierten 18-Loch- Golfplatz geht es nach Furnas. Der Ort ist paradiesisch mitten in einem alten Vulkankrater an einem See gelegen und eine Mischung aus Kurort und Bauerndorf. In Furnas gibt es vor allem den sensationellen Park Terra Nostra zu entdecken. Er wurde Ende des 18. Jh. von den hiesigen Orangenbaronen angelegt. Riesige Farne und Sicheltannen überschatten hier gewundene Kanäle und Teiche. Die karpfengroßen Goldfische darin lassen sich von den Enten und Schwänen nicht beeindrucken. Ein teichartiges Thermalbecken wird von warmen Quellen gespeist, das ganzjährig 38° C warme Wasser ist von Mineralien braungelb gefärbt. Einige Besucher planschen darin herum. Wir verzichten darauf und erkunden stattdessen den Park mit seinen teilweise stark vermoosten Wegen. Die Atmosphäre hier hat etwas Mystisches und wirkt unglaublich beruhigend. Ich setze mich auf eine besonders hübsch gelegene Parkbank und lasse diese Stimmung intensiv auf mich wirken. Die Natur hier ist wunderschön! Furnas bezeichnet sich übrigens gern als eines der "bestgehüteten Geheimnisse der Welt". Wir brauchen lange um uns von diesem Kleinod zu verabschieden. Aber es gibt noch so viel weiteres zu entdecken...

Zum Beispiel die nach Schwefel stinkenden heißen Fumarolen, die Dampf- Quellen am Lagoa das Furnas. Die Leute aus Furnas nennen sie "Caldeiras" und kochen darin den Cozido, einen Eintopf mit verschiedenem Fleisch, Chorizo, Morçela und Gemüse. Der Eintopf bekommt durch die freigesetzten Mineralien eine besondere Geschmacksnote. Man hat sich mit den vulkanischen Kräften arrangiert und nutzt sie. Hier im Ort gibt es auch das berühmte Bolo Levedo, ein süßliches, kreisrundes Brot, im Holzofen auf Eisenplatten gebacken und anschließend mit Ziegenkäse gefüllt. Lecker!

Wir fahren hoch zum Kraterrand. Hier oben vom Miradouro do Pico do Ferro hat man einen einmaligen Ausblick über den eingestürzten Krater, über Furnas und den See. Das Tal von Furnas gehört unstrittig zu den schönsten Zielen auf Sao Miguel.

Weiter geht es auf einer schmalen unbefestigten Gratstraße - wie auf einer Rasierklinge, links und rechts jeweils 300 m Abhang - bis wir von einer Kuhherde gestoppt werden, die offensichtlich gerade bergaufwärts in den Himmel getrieben wird. 10 min später geht es weiter. Unser Ziel ist Povoação an der Südost- Küste. Der Ort wurde mehrfach durch Erdbeben und Sturmfluten dem Erdboden gleich gemacht - und immer wieder aufgebaut. Im Restaurante Jardim im Ortsinneren genießen wir ordentliche Hausmannskost zu fairen Preisen.

Eigentlich sind wir zur falschen Zeit auf den Azoren. Das wird uns durch die verblühten Hortensiensträucher bewußt, die als Hecken in unendlicher Anzahl die Straßenränder und Felder säumen. Es sind geradezu Hortensien- Alleen. Nur vereinzelt haben sich einige Blütenstauden in blau und rosa in den Herbst gerettet. Wie schön muss es hier erst im Juli sein! Dafür ist jetzt die Zeit der "Schulmädchen". So nennen die Einheimischen eine rosafarbene Lilienart, die überall wildwachsend zu finden ist. Der Name ist darauf zurückzuführen, dass diese Blumen zur Zeit des Schulbeginns blühen und - rosa sind.

Wir haben unglaubliches Glück mit dem Wetter. Sonst regnet es hier im Herbst oft schauerartig. Regen haben wir nur an einem Tag auf Terceira für kurze Zeit erlebt!

Unser Autovermieter hat uns einem Tourenvorschlag mit auf den Weg gegeben, der uns an zahlreichen "Miradors", "Pontas" und "Vistas" an der Ostküste vorbeiführt. Die jeweilige Beschreibung überschlägt sich mit Superlativen, die aber grundsätzlich mit Vorbehalten eingeschränkt werden: "die wahrscheinlich engste Schlucht", "der wohl schönste Ausblick" usw. Wir greifen das gern auf und machen uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Spaß daraus. Ein Kuhfladen auf einer Nebenstraße wird so zum "wohl einsamsten Miststück der Insel", ein verfallener Stall zur "wahrscheinlich ältesten Bauruine vor Amerika"...

Der späte Nachmittag hat noch etwas Resttageslicht, so dass Andreas, der heute fährt, noch einen Abstecher zu einem abseits gelegenen kleinen See im Inselinneren, dem Lagoa de Congro, einlegen will. Der Mini- Bus wird von ihm kurzerhand zum ATV umfunktioniert. So schafft er spielend auch 30 cm tiefe Schlaglöcher auf unbefestigten Straßen...

Zurück im Solar de Lalem gibt es noch die Frage nach dem Abendessen zu klären. Wir entscheiden uns für Pizza aus einem nahegelegenen Imbiss. Dort werden wir Zeuge des Auftritts eines azorianischen Hünen, der mit lauter Stimme und wilden Gebärden die Anwesenden zu beeindrucken versucht. Fehlt nur noch, dass er wie ein Gorilla- Silberrücken auf die Brust trommelt, denken wir. Diesen Mann könnte ich mir gut als Harpunier auf einem der zahlreichen Walfangboote vorstellen, die in der Vergangenheit von den Azoren in See stachen. Wir ziehen mit unserer Riesenpizza friedlich und unbehelligt von dannen und lassen sie uns auf der Terasse unserer Herberge munden. Dazu zapft uns Teresa, die Service- Kraft, ein frisches Bier.

Ilha do Faial

Di, 07.10.03 Mit SATA, der Fluggesellschaft der Azoren, fliegen wir nach Faial. Dort übernehme ich unser nächstes Fahrzeug, einen Toyota Kleinbus. Unsere Route geht auf unbefestigten Nebenstraßen zunächst in den Westen der Insel. Die Querrillen verlangen dem Bus einiges ab. Der heutige Westteil von Faial entstand erst durch einen Vulkanausbruch vor ca. 50 Jahren. Der Vulkan Capelinhos spuckte mehr als 30 Mio. Tonnen Asche und Lava. Die Gegend hier ist eine vegetationslose Stein- und Staubwüste, die einer Mondlandschaft gleicht. Die ockerrot und schwarz gestreifte Lavasteilwand und die Ruine des Leuchtturms, der einst den Schiffen ihren Weg wies, sind wirklich beeindruckend. Man kann in diesem Teil der Insel förmlich die gigantische Kraft des Vulkanismus spüren.

Weiter geht es entlang der Nordküste, wo Andreas an einem Miradouro eine Kostprobe seines Wagemuts abliefert. Er ist ständig auf der Suche nach Perspektiven für ein außergewöhnliches Foto. Vor kurzem ist hier einer der zahlreichen Aussichtspunkte ins Meer abgerutscht. Und der Ort von Andreas' Foto- Exkursion sieht auch nicht gerade sonderlich vertrauenserweckend aus...

Wir biegen ab ins Landesinnere. Es geht in Serpentinen mit beachtlicher Steigung bergaufwärts. Zunächst fahren wir über eine grüne Hochebene mit zahlreichen kleinen Seen bis wir auf den Vulkankrater Caldeira stoßen.

Von der Straße führt ein schmaler Fußgängertunnel an den inneren Rand des Kraters, dessen 400 m tiefer Grund bis zum Ausbruch des Capelinhos von einem See bedeckt war. Dieser 2 km breite Krater gehört für uns zu den absoluten Highlights von Faial.

Horta, der Hauptort von Faial, wartet auf uns. Wir haben Hunger und finden schnell ein Restaurant, das allen zusagt. Mit fester Grundlage geht es anschließend ins legendäre verräucherte "Peter's Cafe Sport", der Kneipe der Atlantik- Segler. Der inzwischen betagte Besitzer, Sr. José Azevedo, genannt "Peter", sitzt an einem der Tische und wird von den eintretenden Stammgästen mit Handschlag begrüßt. Wir bestellen Gin Tonic, das ist hier das absolute Kultgetränk. Der Longdrink schmeckt hervorragend und wenn wir nicht die Fähre "Cruzeiro do Canal" um 17h nach Pico erreichen müßten, würden es wohl noch ein paar mehr werden. Die Kneipe liegt zum Glück direkt am Anleger der Fähre.

Der Fahrtwind bei der Überfahrt verschafft uns wieder einen klaren Kopf.

Ilha do Pico

In Madalena wartet ein VW- Bus auf uns. Im Reiseführer haben wir etwas von einer örtlichen kleinen Käserei gelesen, die wir in den engen Seitenstraßen schließlich auch finden. Die Käsemeisterin erklärt uns kurz die Käseherstellung aus Kuhmilch. Wie sollte es anders sein, hier riecht es käsig. Wir kaufen einen dieser kleinen runden Käse. Der wird am nächsten Tag verköstigt, ist aber nicht gerade der Hit, als der er beschrieben wird. Egal, probieren sollte man immer. Da bereits die Dämmerung hereinbricht, suchen wir unser heutiges Domizil auf, das Aldeia da Fonte in Silveira bei Lajes.



Das gepflegte, hübsche Anwesen ist aus Lavagestein erbaut und wird von Gärten umgeben. Zum Gebäudekomplex gehört eine Bar und ein gutes Restaurant, das auch von den Einheimischen besucht wird.

Doch heute abend folgen wir wieder mal einem Tipp aus dem Reiseführer. Wir besuchen das einfache Fischrestaurant "Maris Queira" im nahegelegenen São João. Der Wirt soll ein aus den USA heimgekehrter Spitzenkoch sein, der sich auf das Ursprüngliche zurückbesonnen hat. Die so zubereiteten Speisen sind von hervorragender Qualität. Ich folge der heutigen Tagesempfehlung und bestelle einen Fisch namens "Lirio" - eine Bernsteinmakrele, gebraten und serviert mit Knoblauchbutter, Salzkartoffeln und Salat. Sehr lecker! Auf den Azoren kann man sich getrost auf die Empfehlung des Wirtes zum gerade verfügbaren fangfrischen Fisch verlassen. Die Artenvielfalt ist unvorstellbar groß, so dass man leicht den Überblick verliert. Wer gern Fisch isst, findet auf den Azoren ein Paradies. Fisch heißt im portugiesischen übrigens Peixe (gesprochen "pesch").

Mi, 08.10.03 Unser Domizil liegt am Fuße von Portugals höchstem Berg, dem 2.351 m hohen Pico. Dessen Spitze wird meistens von einer dünnen Wolkendecke verhüllt. Uns zeigt sich der Pico in voller Pracht. Heute morgen geht es zunächst nach Lajes, dem kleinen Walfängerort, wo noch bis 1983 die Walfangboote ausliefen und die erlegten Riesensäuger verarbeitet wurden. Heute erinnert daran das Walfangmuseum Museu dos Baleeiros, das wir besuchen, und die Whale- Watching- Ausflüge, die professionell und naturschonend von Espaço Talasso mit Spezialbooten organisiert und veranstaltet werden. Rund um die Azoren sind über 20 Walarten zu beobachten. Im Nachhinein bedaure ich nicht mitgefahren zu sein - aber vielleicht bei einem künftigen Besuch... Als die Azorianer noch den Walfang betrieben haben und Jagd auf Pottwale machten, gab es ein ausgeklügeltes Signalsystem. Verstreut standen bunkerähnliche Beobachtungsposten an allen wichtigen Aussichtspunkten.

Wir fahren entlang der Nordküste nach São Roque und besuchen dort die ehemalige Walfabrik, wo ausschließlich Pottwale vor nicht allzu langer Zeit zu Öl, Wachs, Tran und Knochenmehl verarbeitet wurden. Es soll bestialisch gestunken haben. Der größte Wal, der hier zerlegt wurde, war 22 m lang und wog 15 Tonnen. Das jetzige Museum (Museu Industrial da Baleia) informiert den interessierten Besucher allerdings schlecht. Fotos von den damaligen Produktionsbedingungen fehlen ebenso wie englischsprachige Hinweisschilder an den Maschinen. Wir gönnen uns am Kai den landestypischen Energy- Drink Cerveja und stellen uns vor, wie die schweren Körper der Kolosse mit Seilwinden an Land gezogen und zerteilt wurden.

Weiter geht es in das Küstendorf Santo Amaro, das für seine Werft bekannt sein soll, auf der die typischen azoreanischen Fischerboote gebaut werden, und wo es eine kunsthandwerkliche Schule für Frauen geben soll. Wahrscheinlich kommen wir zur falschen Zeit. Hier ist absolut "tote Hose". Allerdings finden wir per Zufall eine kleine Hinterhofgarage, in der gerade eines der typischen Fischerboot gezimmert wird. Na ja, landschaftlich ist es hier sehr schön. Wir machen Brotzeit an einem der zahlreichen Grillplätze an der Küste.

Hier bei Santo Amaro beginnt die Lava- Landschaft der Zona das Adegas. Aus schwarzem Lavastein errichtete Mauern umfassen kleine Weingärten und spenden den Reben Wärme. Die Weine von Pico haben eine große Tradition.

Die kleinen Weiler auf der Strecke wirken verschlafen. In einem der Dörfer halten wir spontan und schauen bei einem Tresterbrenner vorbei, der uns freundlich hereinbittet. Er berichtet davon, dass er viele Jahre in Kanada gelebt habe, die Sehnsucht ihn aber wieder in die Heimat zurücktrieb. Das ist ein azoreanisches Phänomen: Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Vergangenheit sind über Jahrzehnte viele Azoreaner nach Nordamerika ausgewandert, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Nicht wenige sind wieder zurückgekommen, das Heimweh war zu stark. Unser Tresterbrenner destilliert Aquardente, den die Heimkehrer "Moonshine" nennen, eine Bezeichnung für Selbstgebrannten, noch aus den Zeiten der Prohibition in Amerika. Wir kosten nicht davon - aus Angst zu erblinden...

Wir fahren hinauf ins Hochland rund um den Pico. Die sattgrüne, fast neongrüne, Landschaft mit ihren Seen und Kratern ist grandios. Auf einer der Wiesen liegt am Westhang des Pico die Höhle Furna de Frei Matias, eine mit Moos und Farnen zugewachsene aufgebrochene Lavablase, die ohne entsprechende Ausrüstung nur ein kurzes Stück begehbar ist. Dirk und Andreas steigen in die obere Galerie hinab, ich warte lieber draußen, quasi als Sicherungsposten. Die Kraterseen Lagoa do Capitao und da Barreiro sind unsere nächsten Ziele auf der Hochebene.

Heute abend essen wir im Hotelrestaurant, der asiatische Küchenchef kocht crossover: die Gerichte sind chinesisch angehaucht und delikat. Unter der üppig bewachsenen Terrassenpergola lassen wir den Abend ausklingen.

Ilha Terceira

Do, 09.10.03 Die nächste Insel wartet auf uns. Nach einem hastig eingenommenen Frühstück jagen wir zum Mini- Flugfeld von Pico. Wenig später bringt uns der kleine SATA- Flieger nach Terceira. Wir übernehmen den nächsten Minibus und beginnen unsere obligatorische Inselrundfahrt.

Wir fahren nordwestlich nach Biscoitos, einem freundlichen Küstenstädtchen, wo wir das Weinmuseum der Adega Brum aufsuchen. Es hat gerade zur Mittagszeit geschlossen, wird aber extra für uns von der Museumsleiterin geöffnet. Der noch heute auf dem angrenzenden Weingut produzierte hochwertige Wein aus der Verdelho- Traube hat 17° Vol. und ist eigentlich eher ein Aperitif. Jeder von uns kauft eine Flasche von diesem göttlichen Tropfen ("Chico Maria") für daheim.

Der Kult zur Verehrung des Divino Espirito Santo (heiliger Geist) hat auf Terceira die Impérios genannten Kapellen hervorgebracht. Sie sind für unsere Maßstäbe in kitschigen Zuckerbäcker- Farben angestrichen, auf ihrem Dachgiebel sitzt meist eine Taube oder Krone.

Überall auf den Azoren ist die unbändige Kraft des Vulkanismus gegenwärtig, so auch auf Terceira. Heiße Quellen setzen bei Furnas do Enxofre schweflige Dämpfe frei. Bei unserem Rundgang in diesem Gelände setzen wir jeden Schritt wohlüberlegt. Man weiß ja nie...

Am Nachmittag beziehen wir unsere Zimmer in der Quinta Nasce-Água am Ortsrand von Angra do Heroísmo.

Das herrschaftliche Anwesen aus dem 19. Jahrhundert soll das vornehmste Herrenhaus der Insel sein. Die Quinta bietet seinen Gästen neben den historisch elegant eingerichteten Zimmern ganz besondere Annehmlichkeiten: Eingebettet in eine prachtvolle Gartenanlage mit einem Teich und historischem Baumbestand findet man einen Swimmingpool mit Sonnenterrasse, einen Tennisplatz, ein Putting-Green sowie ein Türkisches Bad. Wir nutzen dieses Angebot aber nicht, es fängt an diesem Nachmittag erstmals während unserer Reise zu regnen an. Wir beschließen eine Ruhezeit einzulegen bevor wir uns auf den Weg nach Angra machen.

Die Renaissancesstadt Angra war 2 mal portugiesische Hauptstadt und wurde 1983 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Wir erleben das "Klein- Lissabon" bei ungemütlichem Nieselregen. Ein ausgiebiger Stadtrundgang erübrigt sich damit für uns wetterverwöhnte Azoren- Urlauber. In einem Fotoshop lasse ich noch meine bisherigen Aufnahmen von der CF- Karte auf CD brennen. Damit habe ich wieder ausreichende Speicherkapazität für meinen noch folgenden Abstecher nach Porto.

Wir kehren schon früh am Abend ein in das "Carolina do Aires" neben der Kathedrale, ein erstklassiges Fischrestaurant. Hier finde ich auf der Speisekarte "Lapas" (Napfschnecken), die ich unbedingt probieren möchte. Ich bestelle mir also eine Portion als Vorspeise und - bin enttäuscht. Die Lapas sehen aus wie in kleinen Austernschalen versteckte Mini- Fleischhäppchen, von harter Konsistenz und eigenwilligem Geschmack. Ich bin enttäuscht. Dirk schmecken die Lapas, so dass ich meine Portion gern an ihn weiterreiche. Als Hauptgericht habe ich eine Komposition aus Herz- und Miesmuscheln mit Prawns gewählt. Dazu gibt es Reis, eine Sauce zum Reinknieen und einen hiesigen Wein des Biscoitos. Alles superlecker! Als Dessert folgt eine der beliebten Süßspeisen Terceiras. Das "Carolina" können wir unbedingt weiterempfehlen.

Auf den Azoren habe ich in den Restaurants vergeblich nach Percebes auf der Speisekarte gesucht, die eine große Delikatesse sein sollen. Sie werden meist fälschlich als Entenmuscheln bezeichnet, sind aber lediglich ähnlich aussehende Rankenfußkrebse. Den Entenmuscheln wiederum haftet die Sage vom Entenbaum mit seinen vom Meer ausgebrüteten Vögeln an.

Unser friedlicher Versuch, das Castelo de São João Baptista, die imposante Stadtfestung am Fuß des Monte Brasil, im Mondschein zu erobern, wird von Soldaten gestoppt. Die alten Gemäuer werden offensichtlich vom portugiesischen Militär genutzt, was wir bis dahin nicht wußten. Der Nieselregen hat längst wieder aufgehört.

In der Quinta gibts noch was zu trinken. Für die Bestellung müssen wir aber die Angestellte, die heute Nacht Dienst hat, im ganzen Haus suchen. Das Auffinden wird dann jeweils mit einem kleinen Glas Bier belohnt. Wir finden, der Abendservice passt nicht ganz zum Anspruch der Quinta. Im Kaminzimmer können wir im TV ein Konzert der Jazzgeigerin Regina Carter verfolgen, die noch vor kurzem hier auf den Inseln gespielt haben soll.

Ilha de São Miguel - II

Fr, 10.10.03 Zurück auf São Miguel besuchen wir zunächst eine Ananasplantage in Fajã de Baixo bei Ponta Delgada. In der Plantage werden in Gewächshäusern ganz besonders wohlschmeckende Früchte äußerst aufwendig und zeitintensiv gezüchtet. Hier macht nur einer "Anna naß", nämlich der Gärtner. Und noch etwas besonderes gibt es bei der Behandlung der Frucht: Kurz vor der Ernte werden die Glashäuser ausgeräuchert. Diese Maßnahme sorgt für eine gleichzeitige Blüte aller Pflanzen, wonach unmittelbar geernet wird. Neben der Frucht selbst sind hier auf der Plantage auch aus Ananas hergestellte Bonbons, Marmelade und Liköre zu erwerben. Als ein voller Bus mit schwedischen Touristen hier einfällt, flüchten wir. Die Schweden sollen den höchsten Anteil ausländischer Touristen auf den Azoren stellen, wovon wir allerdings nichts gemerkt haben. Wahrscheinlich haben sie sich auch tagsüber in den Kneipen aufgehalten...;-)

Typisch für São Miguel und sehr beliebt soll übrigens Morçela sein, das sind kross gebratene Blutwurststückchen mit Ananas, dazu isst man traditionell Maisbrot - haben wir aber nirgendwo gesehen... Schade.

Wir suchen unser neues Domizil auf, die Quinta de Santana in Rabo de Peixe, ein schönes, ländlich-rustikales Anwesen umgeben von Maracuja-, Zitrus- und Bananenplantagen.



Nach einer kurzen Ruhephase fahren wir zurück nach Ponta Delgada. Wir machen einen Erkundungsgang durch die größte Stadt der Azoren, die einen ganz besonderen Charme auf uns ausübt. Ponta Delgada ist nicht laut und aufdringlich, sondern eher gelassen, ja entspannend. Es wirkt durch seine Details: die hübschen Parks, die fantasievollen Balkone, die kleinen Straßen und Plätze. An einem dieser Plätze werden wir Zeuge eines ungewöhnlichen Schauspiels. Ein als Bischof verkleideter junger Mann "tauft" gleichaltrige junge Männer und Frauen und reicht ihnen Kartoffelchips als Hostie, wonach die Frischgetauften ein Wasserbassin durchtauchen müssen. Das ganze mutet wie ein Studentenstreich an. Die Akteure und die Zuschauer haben jedenfalls einen Heidenspaß!

Wir folgen heute abend einer Empfehlung aus dem Internet: Das O Azad in der Rua do Calhau neben dem Hotel Atlântico soll "freundlich und authentisch" sein. Vor diesem Lokal können wir aber nur dringend warnen: Der Service und die Qualität der Speisen sind eine einzige Katastrophe! Der senile Wirt versteht und behält nur die Hälfte und die - unsichtbare - Küchenkraft (-ist es am Ende der Wirt selbst?-) hat absolut kein Gespür für den Gargrad von Fisch und Fleisch. Ein frisches Thunfischsteak wird als Schuhsohle serviert, very well done, aber ungenießbar...

Sa, 11.10.03 An unserem vorletzten Tag auf den Azoren steht der Westen São Miguels auf dem Programm. Unsere Küstenfahrt geht zunächst wieder mal an zahlreichen so bezeichneten Miradors vorbei. Auf die Dauer sind diese Ausblicke wie alles, was man im Überfluß bekommt: Es stellt sich ein gewisser Sättigungsgrad ein. BWLer bezeichnen das als "abnehmenden Grenznutzen". Dennoch bietet die Küste mit ihren erstarrten Lavaformationen immer wieder eindrucksvolle Landschafts- Eindrücke, so dass wir gerne mehrere Stops einlegen.

Hinter Ponta do Escalvada biegen wir ins Landesinnere ab, Richtung Sete Cidades. Um diesen Ort ranken sich unzählige Legenden. Eine davon lautet:

Zu alten Zeiten gab es einen König, der sich sehr grämte, weil er keine Kinder hatte. Deshalb regierte er sein Volk äußerst grausam, obwohl er im Grunde seines Herzens ein guter Mensch war. Eine Fee versprach ihm eines Abends eine Tochter, die er aber nicht vor deren 30. Geburtstag sehen sollte. Diese Zeit sollte er nutzen um sich zum Guten zu ändern. Das war die Bedingung der Fee. Das Mädchen sollte in 7 stark befestigten Städten (Sete Cidades) aufwachsen. Und sollte der König versuchen, seine Tochter vor deren 30. Geburtstag zu sehen, müsse er mit seinem Tod und dem Untergang seines Reiches dafür bezahlen. Der König willigte ein. Wenig später kam die Prinzessin zur Welt. Die Jahre vergingen und der König sehnte sich immer mehr nach seiner Tochter. Als nur noch 2 Jahre fehlten, hielt er es nicht mehr aus und machte sich mit seinem Hofstaat auf den Weg zu den Sete Cidades. Je näher er kam, desto mehr begann die Erde zu beben, der Boden brach auf, riesige Flammen wurden herausgeschleudert und eine gewaltige Flutwelle riss die ganze Insel weg. Nur 9 felsige Inselflecken, die Azoren, blieben übrig. Der Ort, an dem die Prinzessin lebte, verwandelte sich in die Caldeira de Cete Cidades. Das Wasser in einem Teil ist (meistens) grün, dort sollen ihre Pantoffeln liegen. Der andere schimmert blau, weil dort ihr Hut vom Grund heraufleuchten soll.

Sete Cidades mit seinem Lagoa Azul und Lagoa Verde ist traumhaft gelegen in einem Vulkankrater. Die Kraterseen zählen unbestritten zum Schönsten, was die Azoren zu bieten haben. Typisch für den Ort sind die so genannten Espigueiros, kleine Pfahlhäuser, in denen Getreide gelagert wurde zum Schutz vor Mäusen und Überschwemmungen. Letzteres dürfte heute aber kein Problem mehr sein, seitdem man einen engen Tunnel zwischen dem Lagoa Azul und Mosteiros an der Küste als Überlauf gegraben hat. Der Tunnel ist 1.200 m lang, 1 m breit, in der Mitte 2 m hoch und - mit Taschenlampe - begehbar. Allerdings ist eine solche Begehung nicht jedermanns Sache, unsere auch nicht. Wir drehen schon nach wenigen Metern ab und genießen dafür den Anblick einiger weniger Hortensien, die ihre Blüte in den Oktober hinüberretten konnten. Felder und Straßen werden hier wie an vielen Orten auf den Azoren mit Hortensienhecken gesäumt. In der vollen Blüte von Juni bis August muß es ein herrlicher Anblick sein - geradezu ein Hortensien- Meer! Wir fahren die Serpentinen hoch zum 550 m hohen Aussichtspunkt Vista do Rei. Von der befestigten Plattform und einem daran anschließenden schmalen unbefestigten Weg auf dem Grat des Kraterrandes hat man atemberaubende Perspektiven. Auf der einen Seite fast senkrechte Kraterwände, auf der anderen der Blick weit hinaus auf den Atlantik.

Wir haben noch etwas Zeit bevor es dunkel wird. So beschließen wir von Ribeira Grande noch in die Serra de Água de Pau rund um den Kratersee Lagoa do Fogo zu fahren. Auf halbem Weg liegt ein Wasserfall, dessen eisenhaltiges Wasser aus heißen Quellen kommt. Wenige Besucher gönnen sich das Badevergnügen im Felsenpool.

Über schmale Wald- und Forstwege durchqueren wir eine wildromantische, eigenartig zerfurchte Berglandschaft. Einer der halbwegs asphaltierten Wege endet unvermittelt an einer Furt tief unten in einer Schlucht. Wir sind im Tal von Lombadas angelangt. Hier gibt es außer einer eingefallenen alten Brücke nur noch die Ruinen von zwei Gebäuden zu sehen, in denen vor 100 Jahren noch das beste Mineralwasser der Azoren abgefüllt wurde. Davon ist heute nichts mehr zu erahnen. Erdrutsche und Hochwasser der Bäche zerstörten den Betrieb. Es geht denselben Weg zurück, wir begegnen unterwegs lediglich einem weiteren Pkw. Hier ist man (fast) ganz allein mit der Natur.

Bei Beginn der Dämmerung verlassen wir diese wunderschöne Landschaft und kehren zurück nach Rabo de Peixe, wo wir uns für unseren letzten Abend auf den Azoren zum Abendessen in der Quinta angemeldet haben. Das 3- Gang- Menü ist gut und reichhaltig.

Am nächsten Morgen endet unsere Rundreise mit dem Rückflug nach Lissabon, von wo Andreas und Dirk nach Deutschland weiterfliegen und ich in den Norden Portugals, nach Porto.

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