"In Porto wird nicht gelebt, hier wird gearbeitet", behauptet ein Sprichwort. Ich habe Porto, eine der ältesten Städte Europas, während einer Kurzvisite Mitte Oktober 2003 allerdings als ausgesprochen lebenswert und viel ursprünglicher als die ewige Konkurrenzstadt Lissabon empfunden.
Von den Lisboetas haben die Portuenser auch den liebevollen Namen "Tripeiros" = Kuttelfresser. Sie gaben zur Zeit der Entdeckungen ihren Seeleuten alles Fleisch mit auf die Schiffe, für die Bürger von Porto blieben nur die Innereien (= tripas) übrig. Der berühmteste Sohn der Stadt war schließlich kein Geringerer als Heinrich der Seefahrer, der "Infante", der von etwa 1415 - 1460 die Entdeckung der Welt organisierte.
So, 12.10.03 Die Flugverbindung Ponta Delgada - Lissabon - Porto ist wirklich nicht verkehrsgünstig. Obwohl schon am frühen Vormittag auf den Azoren abgeflogen, erreiche ich Porto wg. des späten Anschlußfluges erst gegen 17:00 Uhr. Weil ich heute schon soviel Zeit verloren habe, nehme ich ein Taxi vom Flughafen in die Innenstadt. Das Taxi ist ein alter 190er, der kurz vor dem Auseinanderbrechen steht. Der Taxifahrer fährt nach wenigen 100 m erst mal eine Tankstelle an und füllt dort - unglaublich, aber wahr - 3 (!) Liter Diesel in den Tank. Damit erreicht er das Hotel Internacional im Herzen der Stadt. Meine Fahrtrechnung hilft ihm wohl zunächst über das Gröbste weg. Während der Fahrt erzählt er mir zuvor in gebrochenem Englisch alles über Fußball in Portugal...
Ich verstaue mein Gepäck im Hotelzimmer und verschaffe mir eine erste Orientierung. Wie Lissabon ist auch Porto in einer Hanglage angelegt. Läuft man bergabwärts trifft man hier unweigerlich immer auf den Douro- Fluss (gesprochen "do:ru"). Und genau dahin zieht es mich auch bei der langsam einsetzenden Dämmerung. In dieser Jahreszeit sind nicht sehr viele Touristen in der Stadt. Mein Weg führt mich durch Straßen, in denen die Wohn- und Geschäftshäuser auf mich ziemlich verfallen wirken, z.B. die Rua das Flores, die alte Straße der Goldschmiede. Ich erreiche die Granitarkaden unten am Fluss. Hier am Ufer treffen sich alte Männer und Jugendliche, hier gibt es Bettler und Maronenverkäufer, Hunde und Katzen. Wären die Leute anders angezogen, könnte man sich in einer mittelalterlichen Straßenszene wähnen.
An der Kaistraße, der Cais da Ribeira, mit ihren Restaurants, Cafés, Marktständen und kleinen Lädchen, sowie natürlich der beeindruckenden, zweistöckigen Eisenbrücke Ponte de Dom Luis I. herrscht eine gemütliche abendliche Atmosphäre. Es ist Essenszeit und ich wähle das urige Fischrestaurant "Mercearia" in den Arkaden, wo ich nach den üblichen Appetizern erst einen alten Portwein verkoste und dann Caldo Verde, eine Art Kohlsuppe, gebratene Forelle mit Schinken und als Dessert eine Eierspeise. Dazu gibt es einen Roten aus der Region. Die Qualität ist wirklich gut und der Preis moderat.
Satt und zufrieden mache ich mich auf den Rückweg ins Hotel und - verlaufe mich. Eine Straße zu früh abgebogen und ich bin mittendrin in einem Gewirr aus finsteren Gassen und fast menschenleeren Straßen, deren Verfall fast körperlich spürbar ist. Die Straßennamen finde ich nicht auf dem tollen Abreißstadtplan aus dem Hotel. Ich beschleunige meine Schritte unwillkürlich und komme an den Steigungen gehörig ins Schwitzen. Dann endlich entdecke ich einen Platz, den es auch auf meinem Stadtplan gibt. Erleichtert erreiche ich das Internacional in einer Seitenstrasse am Praca da Liberdade.
Mo, 13.10.03 Am Morgen beginne ich die Erkundung Portos zu Fuß - ohne jede Hast und Programm. Mein Weg führt mich zunächst in den Bahnhof São Bento, der Anfang des letzten Jahrhunderts mit außergewöhnlichen Azulejo- Bildern gestaltet wurde. Hinter der pompösen Eingangshalle warten die Züge an zahlreichen Gleisen. Hier herrscht zum Wochenanfang reger Verkehr.
Vor dem Bahnhof stoße ich - wie an vielen weiteren Stellen in Porto - auf eine riesige Baustelle. Für die neue U-Bahn reissen die Bagger der alten Stadt den Bauch auf. Auch Fußgänger müssen dafür Umwege in Kauf nehmen. Ich laufe zur nahegelegenen Kathedrale, einem wuchtigen romanischer Trutzbau aus dem 12. Jahrhundert, der die Einwohner Portos damals auch vor Angreifern schützen musste. Deshalb sieht die Kirche eher wie eine Festung aus. Der angrenzende Bischofspalast mit seiner Barocktreppe entspricht dagegen auch künstlerischen Ansprüchen. Er wurde - wie viele Kirchen in Porto - von dem italienischen Barockbaumeister Nicolo Nasini errichtet.
Kleine Treppen und Steigen führen vom Kathedralplatz mitten durch das Leben der Altstadt hinunter zum Fluss. Es ist noch früh. Unten an den Arkaden stellen gerade die ersten Wirte Ihre Tische und Stühle raus. Ich entschließe mich zu einer Fluss- Rundfahrt mit einer der hier festgemachten Barkassen ( 1Std. =7,50 € ). Vom Wasser hat man eine herrliche Sicht auf die Altstadt, die Brücken über den Fluss und die Douro- Mündung. Nur wenige Passagiere sind mit an Bord.
Zurück an der Cais da Ribeira setze ich mich zur Mittagszeit in eines der Straßencafes und lasse mir bei einem frisch gezapftem Bier einige Petiscos, frittierte oder gebratene Häppchen, schmecken. Dabei genieße ich die Aussicht auf die Eisenbrücke Dom Luís, die unverkennbar die Handschrift von Gustave Eiffel trägt und in zwei Etagen das steil abfallende, felsige Dourotal (172 Meter) überspannt und Porto mit seiner Nachbarstadt Vila Nova de Gaia am anderen Douro- Ufer verbindet. Dort reihen sich die Keller und Gebäude der Portwein- Firmen aneinander: Sandeman, Calem, Taylor`s, Ferreira, Burmester, Graham`s - und wie sie alle heißen. Manchen Zwängen kann man sich nicht entziehen, z.B. dem, einen Portweinkeller in Porto zu besichtigen. Also mache ich mich auf den Weg zur anderen Uferseite über die "Eiffel- Brücke". Dabei komme ich an einer mit Kerzen und Blumen geschmückten schwarzen Gedenktafel vorbei. Sie erinnert an ein schweres Unglück, bei dem sehr viele Menschen in den Fluten des Douro ertranken. Auf der Flucht vor den Franzosen versuchten 1809 Tausende von Bewohnern über eine Pontonbrücke das andere Flussufer zu erreichen. Die Brücke hielt diesem Ansturm nicht stand und das Unglück nahm seinen Lauf.
Viele der Portweinfirmen bieten Besichtigungen ihrer Keller mit anschließender Verköstigung einzelner Portwein- Jahrgänge an. Das ist bei allen kostenfrei - mit einer Ausnahme: Sandeman. Die haben sogar ein eigenes Museum eingerichtet. Hierher karren die Reisebusse wohl genau deshalb Pauschaltouristen zuhauf. Für mich ist das die reine Abzocke, weshalb ich mich einer (kostenlosen) Führung durch die Portweinkeller der Fa. Calem anschließe. Was ist nun das besondere an Portwein? Er wird mit Branntwein vermischt, damit steigt der Alkoholgehalt auf ca 20 % Vol. an. Portwein gibt es in den Geschmacksrichtungen von trocken bis süß, man genießt ihn meist als Aperitif. Bei der angebotenen Verköstigung setzen die Firmen natürlich auch darauf, dass die Besucher ihre Produkte in den hauseigenen Shops kaufen. Ich kaufe nichts, was weniger an Produkt oder Preis, als am zu vermeidenden zusätzlichen Gewicht des Reisegepäcks liegt. Im Fluss ankern alte Segelkähne, barcos rabelos, mit denen früher der Most herangeschafft wurde. Die Weinberge liegen nämlich 100 km stromaufwärts, z.B. bei Pinhão. Heute legen Tanklastzüge die Strecke zurück. Die Kähne dienen nur noch als Fotomotiv und Werbefläche.
Auf dem Rückweg taucht die untergehende Sonne Porto in ein honigfarbenes Gelb. Ich esse im Hotel zu Abend. Das Restaurant wird von den Kurzurlaubern des Hotels nicht stark frequentiert, so dass ich quasi einen Kellner, einen Sommelier und einen Koch für mich allein habe. Also ein super individueller Service für Genießer!
Di, 14.10.03 Richtig gut ausgeschlafen nehme ich ein schnelles Frühstück ein und warte am nahen Praça da Liberdade auf den Bus von Diana- Tours. Er kommt dann auch mit ausgiebiger Verspätung - "very much traffic this morning". Ich habe einen Tagesausflug "Historischer Minho" mit englischsprachiger Führung gebucht. Mit mir sind es 16 Touris, die jeweils in der Nähe ihrer Hotels abgeholt werden - eine sehr bunte Mischung, wie sich noch herausstellen soll.
Unser erstes Ziel ist Braga, die alte Stadt mit der jüngsten Bevölkerung Portugals. Braga ist eine bevorzugte Wohnstadt bei den jungen Portugiesen. Auch unsere junge Reiseführerin Antonia schwärmt von dieser Stadt. Sie präsentiert uns im Rahmen ihrer Führung durch die Altstadt das historische Braga mit seinen Baulichkeiten unterschiedlicher Stile. Besonders in Erinnerung bleibt mir das Crivos- Haus aus dem 18. Jahrhundert, typisch für seine Zeit mit Gitterblenden vor den ansonsten offenen Fenstern. So bewahrte man sich seine Intimsphäre in der dichtbebauten Stadt.
Auch die Kathedrale Santa Maria de Braga ist erwähnenswert. Die Bischofskirche mit ihren Nebengebäuden wurde im Laufe der Jahrhunderte in einem bunten Durcheinander verschiedener Baustile labyrinthartig ausgebaut. Mächtige Erz- und Fürstbischöfe mischten sich von hier in den Lauf der portugiesischen Geschichte ein.
Von Braga geht es zum nahegelegenen Wallfahrtsort Bom Jesus, der mit seinen Anlagen die Gläubigen an Golgatha erinnern soll.500 Stufen führen in sich kreuzenden Treppen hoch zur prachtvollen Barockkirche. Auf jedem Absatz finden sich Brunnen, Kapellen und Heiligenstatuen. Wir nehmen für den Aufstieg lieber die museumsreife Seilbahn nebenan. Bom Jesus gehört zum Pflichtprogramm bei einer Minho- Tour ...
Der Veranstalter des Tagesausfluges hat das Mittagessen im noblen Hotel do Elevador direkt an der Wallfahrtskirche organisiert. Es gibt eine Gemüsesuppe als Vorspeise, danach Bacalhau, "Goldenen Stockfisch" mit Kartoffelpüree und Salat und als Dessert eine süße Creme. Dazu Mineralwasser und Vinho Verde, den jungen Wein, der hier aus der Umgebung kommt. Neben mir sitzt ein älteres Paar aus Australien am Tisch, die beiden sind entzückt von dem eher durchschnittlichen Vinho Verde. Wir kommen ins Gespräch. Sie sind auch begeistert von der Mehrsprachigkeit der Europäer. In Australien gäbe es in der Schule als Sprachen nur Englisch und Australisches Englisch. Ganz anders mein linker Tischnachbar, Mr. Orashima, Direktor des Tokioter Instituts für Psyichatrie. Er spricht gleich mehrere Sprachen, wenn auch nur gebrochen, und lädt mich bei dieser Gelegenheit gleich zu einem Besuch in Japan ein. Die ganze Welt sitzt hier an einem Tisch, ein schwedisches Paar, 2 Franzosen, ein Amerikaner und mehrere Brasilianer.
Unser nächstes Ziel ist Ponte de Lima, das seinen Namen von der alten Römerbrücke über den Lima- Fluss hat. Hier ziehen gerade ganze Horden von Erstsemestern mit Sprechchören und Gesang durch den Ort. Sie haben sich schwarze Plastiksäcke über die Schultern gelegt - wohl als demütiges Zeichen dafür, dass sie sich das Tragen der capa, des traditionellen schwarzen Stoffumhangs der Studenten, wohl noch verdienen müssen. Die capa wird immer über einem dunklen Anzug oder Kostüm getragen. Diese Tracht ist häufig im Straßenbild der Uni- Städte zu sehen.
Weiter geht es auf den Monte Santa Luzia, der von einem kuppelartigen
quadratischen Gotteshaus gekrönt wird, das eher einer Synagoge
als einer Kirche ähnelt. Portugiesische Auswanderer haben in Nordamerika
Spenden gesammelt, von denen 1920 der Bau dieser Basilika finanziert
wurde. Kunsthistoriker finden den Bau verunglückt, ich meine, er
ist zumindest gewöhnungsbedürftig. Äußerst interessant
und effizient finde ich die elektrischen Opferkerzen. Außen am
Fuße der Treppen stehen 2 Fotografen mit ihren uralten Kameras
und Entwicklergeräten. Sowas habe ich zuletzt in Havanna auf Kuba
gesehen.
Vom Monte Santa Luzia schaut man auf Viana do Castelo an der Mündung des Rio Lima. Dieser Ort hat, wie die ganze Region,schon viele Herren gesehen: Kelten, Iberer, Griechen, Römer, Mauren und Burgunder. Alle haben lebendige Spuren in der alten Stadt hinterlassen. Am Praça da República, dem wohl schönsten Platz der Stadt, sind hübsche alte Bauwerke zu bewundern, z.B. der berühmte und oft kopierte Brunnen von João Lopes, das Misericordia- Armenhaus und das alte Rathaus. Durch Viana do Castelo führte der alte portugiesische Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Die Stadt ist zudem bekannt für ihre farbenprächtigen Trachten, die bis heute von Hand geklöppelt werden und die Auslagen zahlreicher Geschäfte schmücken. Auch der fein ziselierte Goldschmuck, der von den hiesigen Goldschmieden hergestellt wird, ist weit über die Region hinaus berühmt. Die Trägerinnen dieser Geschmeide repräsentieren damit -damals wie heute- den Reichtum ihrer Familien.
Mi, 15.10.03 Mein letzter Tag in der Stadt. Heute will ich mir das "geschäftige Porto" ansehen. Mein Weg führt mich in die Rua de Sá da Bandeira zum Mercado do Bolhão, der Markthalle mit ihren überdachten Ständen, wo die Händler frische Waren wie Obst, Gemüse, Fleisch und Blumen zum Kauf anbieten. Am frühen Vormittag halten die Marktfrauen mangels ausreichender Kundschaft erst mal ein Quätschchen. Ich schlendere durch die Rua de Santa Catarina, die wichtigste Einkaufstraße Portos, an der sich Geschäfte aller Arten und Qualitäten hintereinander reihen. Einige Geschäfte haben noch -oder wieder- Fassaden mit dieser Zuckerbäckermischung aus Jugendstil und Putzengelchen. Sehenswert allemal. Natürlich sind hier auch die bekannten Modehäuser zu finden. Die Straße endet am Praça da Batalha, den u.a. eine kleine Kirche mit blauer Kachelfront zieht. Drei alte Kinos rahmen den Platz an den anderen Seiten ein. Ich lasse mich auf einer der hier aufgestellten Bänke nieder und beobachte das alltägliche Treiben. Alte Männer sitzen und stehen sinnierend oder schwadronierend herum, junge Frauen - zum Teil mit kleinen Kindern im Schlepptau - machen ihre Besorgungen, kleine Gruppen von Studenten ziehen mit Plakaten und Spottgesängen vorbei. Die Lebendigkeit dieser Stadt ist spürbar.
Ich quere nochmals die Rua dos Aliados. Den markanten Glockenturm Torre dos Clérigos muss man als Porto- Besucher gesehen haben. Er ist das Wahrzeichen der Stadt und Portugals höchster Kirchturm. Mit fast 76 Metern Höhe diente der Turm einst Seefahrern als Orientierungshilfe, heute - nach 225 Stufen Leidensweg - den Touristen als Panoramaplattform. Die dazugehörige ovale Igreja de São Paulo dos Clérigos strahlt mit ihrer zweistöckigen Fassade für einen Barockbau beinah schlichte Eleganz aus.
Doi, 16.10.03 Irgendwann geht jeder Urlaub zu Ende. Heute muss ich aus dem warmen Portugal zurück ins kalte Deutschland. Mein Rückflug mit der TAP Air Portugal von Porto via Lissabon nach Frankfurt verläuft pünktlich und ohne spektakuläre Zwischenfälle. Die schönen Tage in Lissabon, auf den Azoren und in Porto sind endgültig vorbei. Meine Liebe zu Portugal ist noch intensiver geworden.
Für die Erkundung Portos und der Region Minho kann ich einen sehr informativ geschriebenen Reiseführer aus dem Michael Müller Verlag empfehlen: "Nordportugal" von Jürgen Strohmaier und Lydia Hohenberger.