Jeder von uns hat schon einiges von der Welt gesehen, wir kennen uns zum Teil von vorherigen Reisen: Marion und Günter, Petra und Hubert, Doris und Jörg, Brigitte, Rüdiger und ich. Diesmal soll es nach Nordindien gehen. Unsere selbstgeplante Reiseroute haben wir diversen Veranstaltern vorgelegt und ein Angebot für Flüge, Unterkunft, Bustransport und Reiseleitung erbeten. Die Entscheidung fällt dann zugunsten Ikarus- Tours, die uns das erforderliche Visum für Indien besorgt und unsere Reise organisiert haben. Mein lieber Freund Günter Seitz hat mit seinem Reiseunternehmen Drei Franken Tours alles perfekt koordiniert.


Tag 1: Sa, 27.02.2010

Mit Lufthansa fliegen wir am frühen Nachmittag von Frankfurt nach Delhi. Glücklicherweise kann ich den vom Veranstalter gebuchten Fensterplatz nach "doppelter Rochade" noch gegen einen Platz am Gang tauschen, die begehrten Plätze an den Notausgängen sind leider vergeben. Auf einem Fensterplatz komme ich mir immer vor wie eine Sardine in der Büchse. Übrigens kann man sich über die Plätze an Bord jedes Jets einer Fluggesellschaft sehr gut vorab informieren, z.B. auf der website von SeatGuru.

Unter den Fluggästen unseres Lufthansa- Jumbos sind viele Inder und Franzosen und auch die Besatzung ist offensichtlich indischer Herkunft. Im Videoprogramm läuft ein Bollywoodfilm, so eine Art Mischung aus Kostümfilm, West Side Story und Saturday Night Fever als Handlung. Unser Jet erreicht nach 8 Stunden Flugzeit die Hauptstadt Indiens, die seit ein paar Jahren offiziell wieder ihren historischen Namen Dilli trägt. Die Zeitverschiebung zur MEZ beträgt + 4,5 Stunden, daher ist es jetzt kurz nach 1 Uhr nachts Ortszeit. Die Abfertigung bei der Einreise verläuft zügig, hingegen gibt es lange Wartezeiten am Gepäckband.

Indien empfängt seine Gäste aus Europa und Amerika immer nachts, die Flüge landen stets in den frühen Morgenstunden. Übermüdete Fluggäste drängeln sich dann in die Empfangshalle des Indira Gandhi Airports. Unser Reiseleiter in Indien, Pradeep Singh, erwartet uns schon. Er spricht ganz gut Deutsch und wird uns die ganze Reise begleiten. Wir werden ihn "Miku" nennen - wie seine Freunde.

Um 3 sind wir im Hotel, jedoch nicht wie ausgeschrieben im Crown Plaza, sondern im Hotel Park Vista - ganz offensichtlich ein downgrade. Miku erläutert uns den Grund. Der Reiseverlauf im sogenannten Goldenen Dreieck (Delhi - Jaipur - Agra) musste geändert werden. Schon nach kurzer Zeit werden wir die Stadt wieder verlassen. Wir sind nämlich mitten ins Holi- Fest hineingeraten und alle Geschäfte und Sehenswürdigkeiten Delhis sind geschlossen. Das Park Vista liegt angeblich strategisch wesentlich günstiger als das Crown Plaza um am Morgen recht zügig aus der 16 Mio.- Großstadt Delhi rauszukommen.

Indien hat vermutlich mehr als 1,2 Milliarden Einwohner, die letzte Volkszählung liegt einige Jahre zurück. Das Land ist seit 1947 unabhängig und eine demokratische Republik. Indien hat ein riesengroßes Problem: Die Hälfte der Bevölkerung hat weniger als einen US-Dollar pro Tag zur Verfügung, was zu großen sozialen Problemen führt. Fast ein Drittel der Einwohner der Millionenstädte lebt in Elendsvierteln. Hingegen soll es ca. 60.000 US-$- Millionäre in Indien geben. Nirgendwo auf der Welt ist die Kluft zwischen unermesslichem Reichtum und namenlosem Elend größer als in diesem Land. Zudem gibt es ethnische und religiöse Konflikte zwischen Hindus und Moslems, die sich in terroristischen Anschlägen und einer ständigen Kriegsgefahr mit dem Nachbarn Pakistan (Kaschmir- Konflikt) spiegeln.

Aber wie so oft in derart brisanten Regionen, hat auch Indien für kultur- und naturinteressierte Besucher seine ganz besonderen Reize. Die Geschichte Indiens geht ca. 5000 Jahre zurück, die Induskultur ist eine der ältesten Hochkulturen der Welt. Hinduismus und Buddhismus waren die maßgeblichen Geistesströmungen Indiens und bestimmen bis heute das alltägliche Leben. Wir werden dafür viele Beispiele auf unserer Reise kennenlernen.

Tag 2: So, 28.02.2010

"Namaste!" Miku begrüßt uns zum Frühstück auf Hindi, neben Englisch und 17 weiteren Amtssprachen eine der Hauptsprachen Indiens. Das sind wahrlich babylonische Verhältnisse! Die lokalen Sprachen unterscheiden sich voneinander derart, dass Menschen aus unterschiedlichen Bundesstaaten sich nicht verstehen können. Miku meint, das sei der Grund, warum Inder so leicht fremde Sprachen lernen könnten. Sie wären schon im eigenen Land dazu gezwungen.

Um halb acht starten wir mit dem Bus Richtung Jaipur, das "dʒeehpuhr" ausgesprochen wird. Miku erläutert uns die Religionszugehörigkeit der Inder. Sie verteilt sich im wesentlichen auf Hindus (80%) und Muslime (12%). Christen, Sikhs und Buddhisten sind verschwindend geringe Religions- Minderheiten. Miku erzählt gern Witze von Santa und Banta, zwei Sikhs, die stets versuchen, klüger zu sein als andere. Das führt zwangsläufig zu witzigen Situationen.

Hier zwei Beispiele:

1) Santa und Banta fahren mit dem Auto. Fragt Banta: "Funktioniert das Warnblinklicht?"
Antwort von Santa: "Ja - Nein - Ja - Nein - Ja - Nein - Ja...."

2) Santa bekommt eine Quizfrage gestellt: "Warum stirbt man ohne Wasser?" Seine Antwort nach einigem Nachdenken: "Ohne Wasser kann man nicht schwimmen. Und wer nicht schwimmen kann ertrinkt!"

Die Sikhs- Männer sind im Strassenbild an ihren Turbanen und den gepflegten Bärten zu erkennen. Der Turban hatte ursprünglich die Funktion eines Schutzhelms. Das lange Tuch, womit er gebunden wird, konnte auch anderweitig eingesetzt werden, so z.B. als Seil zum Wasserschöpfen in Brunnen, als Wasserfilter oder als Mundschutz im Sandsturm. Heute hat der Turban nur noch traditionelle Bedeutung. Es gibt sehr viele verschiedene Methoden, ihn zu binden. Daran erkennt man die regionale Herkunft seines Trägers. Auch die Farben haben eine Bedeutung. Helle Farben wie weiß oder hellblau zeigen an, dass es einen Trauerfall in der Familie gibt, safran ist die traditionelle Farbe der Soldaten. Je farbintensiver oder dunkler die Farbe, desto reicher ist der Träger. Die Sikhs haben in den vergangenen Jahrzehnten um ihre Eigenständigkeit im Punjab gekämpft. Im Gegensatz zu Kashmir scheint sich die politische Spannung hier jedoch zu beruhigen. Aktuell ist seit 2004 mit Manmohan Singh wieder ein Sikh Ministerpräsident Indiens.

Schwerlastverkehr beherrscht die Straßen. Fast jeder Lkw befindet sich in bedenklichem technischen Zustand. Delhi liegt wegen der fehlenden Abgasfilter unter einer dicken Smogglocke, und das obwohl man in der Innenstadt Taxis und TucTucs bereits vollständig auf Gas umgestellt hat. Ansonsten ist Immissionsschutz jedoch ein völliges Fremdwort. Wenn sich hier nicht bald etwas entscheidend ändert, erstickt Indien im eigenen Dreck.

Neben den vielen Schlaglöchern müssen die Fahrer auch Kühen auszuweichen, die auf der Strasse stehen oder auch liegen. Sie sind den Indern bekanntlich heilig. Die Viecher wurden aus praktischen Erwägungen irgendwann einmal für heilig erklärt, erzählt Miku. Sie sind keineswegs herrenlos. Jede Kuh, die auf öffentlichen Flächen herumläuft, hat einen Eigentümer. Die ärmeren Kuhhalter treiben ihre Tiere am Morgen auf die Strasse damit sie sich am Wegesrand Futter suchen. Am Abend kehren die Kühe dann selbstständig zu ihren Eigentümern zurück, die sich der Milch erfreuen und den Dung als Heizmaterial nutzen.

Auf den Überlandstrecken schafft man pro Stunde höchstens 40- 50 km, mehr ist nicht drin. So erreichen wir erst Stunden später das unweit von Jaipur liegende Amber Fort. Angesichts dieser gewaltigen Trutzburg bekommen wir eine ungefähre Vorstellung von der Machtfülle der Mogulherrscher im 16. und 17. Jahrhundert. Akhbar der Große begann mit dem Bau des Forts, die nach ihm folgenden Herrscher vollendeten es.

Die Alternative zum in der Mittagssonne schweißtreibenden Aufstieg zum Fort bildet ein Elefantenritt oder eine Fahrt mit Jeeps. Wir entscheiden uns für die Jeeps. Die Fahrer lenken die Fahrzeuge mit fast millimetergenauem Seitenabstand zum nächsten Hindernis durch die engen Gassen hinauf zur Festung. Vorbei geht es an kamelgezogenen Karren, Elefanten, Kühen, Hunden, Menschenaufläufen und weiteren Fahrzeugen. Die Jeepfahrer verstehen ihr Handwerk.

Nach der Besichtigung des Forts nehmen wir unser Dinner ein. Es gibt Linsensuppe als Vorspeise und Chicken Tikka Massala als main course. Nun bin ich erklärtermaßen kein großer Fan der indischen Küche - sie ist mir auf Dauer zu eintönig - aber die lentil soup bleibt mir als ausgezeichnet in Erinnerung. Nach dem Essen werden oftmals Anissamen und Zucker angeboten. Man vermischt beides und zerkaut es als Verdauungshilfe.

Es ist verdammt heiß hier, aber die Luftfeuchtigkeit hält sich in Grenzen. Die Sonne brennt erbarmungslos, eine Kopfbedeckung ist unerläßlich. Wir besuchen die Freiluft- Sternwarte Jantar Mantar, die als größtes steinernes Observatorium der Welt gilt. Der ästhetische Reiz dieser Anlage ist allerdings ungleich größer als sein wissenschaftlicher Wert. Die riesigen Messinstrumente sind aus Sandstein und Marmor gefertigt, ihre kubischen Kunstruktionen wirken futuristisch und archaisch zugleich, sie sind leider sehr ungenau.

Der Stadtpalast des Maharajas von Jaipur mit dem angeschlossenen Museum ist unser nächstes Ziel. Dieser Palast unterscheidet sich erkennbar vom Baustil der Festung. Alles ist kunstvoller und leichter - ein Indiz für die Befreiung von der Mogulherrschaft, wenngleich nachwirkende Einflüsse auf den Baustil noch unverkennbar sind. Das Museum beherbergt wertvolle Gewänder und Waffen der Maharajas sowie den Schmuck der Maharanis. Es ist wirklich sehenswert.

Uns tun nicht nur die Füße weh, nach den 2-3 Stunden Schlaf in der letzten Nacht sind wir fix und fertig. Daher freuen wir uns jetzt ganz besonders auf unser Hotel in Jaipur, das Park Prime. Es gibt ausreichend Zeit zum Relaxen im Pool und auf der Dachterrasse, wo wir uns am Abend mit Cocktails verwöhnen lassen.

Im Zimmer klopfen ungebetene Gäste ans Fenster. Es sind Tauben, die die Nacht auf dem Fenstersims verbringen. Da hilft nur Oropax, aber das ist der übliche Audio-Off-Schalter für laute asiatische Nächte...


Tag 3: Mo, 01.03.2010

"Happy Holi!" wünschen uns die Kellner beim Frühstück. Noch wissen wir nicht, was da auf uns zukommt. Aber ein Blick in den Hotelgarten lässt schon einiges erahnen. Englische Touristen beschmieren sich dort gegenseitig mit Farbpulver. Anfangs beschränken sie sich dabei auf ihre Gesichter, dann aber geht das Anmalen auf das Kopfhaar und die gesamte Kleidung über. Die Tommys haben einen Mordsspaß und werden vom Hotelpersonal und anderen Zuschauern angefeuert. Sie sehen nun wie Regenbogen- Alliens aus. Crazy Englishmen, denken wir - aber gemach, gemach !

Unser Bus bringt uns zu einem mit großen Baumwolltüchern verhüllten Platz, wo uns ein ähnlicher "Spaß" erwartet. Extra für Touristen hat man hier eine isolierte Bespaßungsplattform eingerichtet damit sie von den feiernden Einheimischen nicht ungebührlich eingesaut werden. Es steht eine Farb- Bar zur Verfügung, wo sich jeder mit grellem Farbpulver munitionieren kann um sich und seine Nachbarn zu kolorieren. Angestellte der Hotels und Reiseagenturen animieren die Touris, sich in mehrfarbige Gestalten zu verwandeln und bei den Klängen indischer Musiker abzutanzen. Manche sehen aus, als seien sie in Farbtöpfe gefallen. Vor was oder wem will man hier also die Touris schützen?

Ich kann dieser inszenierten Veranstaltung keinen besonderen Thrill abgewinnen. Wir bleiben eine gute Stunde. In den Straßen laufen die Einwohner bunt angemalt herum. Überall gibt es Verkaufsstände mit dem für das Holi- Fest unerläßlichen Farbpulver, das mittlerweile synthetisch hergestellt wird und teilweise gesundheitsgefährdend sein soll. Kinder haben einen Mordsspaß mit Wasserpistolen, die sie mit gefärbtem Wasser befüllt haben.

Indien ist eben auch das "Land der Farben", zum Holi- Fest wird das besonders deutlich. Wir fragen uns, wie wir all das Überraschende, Laute und Bunte wohl gewichten sollen. Einige Wochen nach unserer Rückkehr aus Indien wird Petra, unsere Künstlerin in der Gruppe, ihre Eindrücke vom Holi- Fest in Acryl festhalten...

So eingefärbt wie wir sind suchen wir nach dem inszenierten Festival ein Restaurant zum Lunch auf. Dass wir mit unserer farbbeschmierten Kleidung gleich auch die Polster einsauen, scheint als normal akzeptiert zu werden. Darauf erstmal ein einheimisches Bier. "Jai Mata Di!" - gesprochen "dʒeeeh matadieh!" - oder auf gut deutsch "Prost"! Das lokale Bier ist immer ein englisches Lager- Bier, also mit wenig Schaum im Glas. Die beliebtesten Sorten sind Kingfisher, Black Label, Golden Peacock, Indus Delight und Carona.

Am Nachmittag besuchen wir einige ausgewählte Manufakturen mit Verkaufsstellen. Es ist unsere ausdrückliche Entscheidung obwohl der Besuch doch sehr den Charakter von Showveranstaltungen hat. So besuchen wir eine Teppichknüpferei, eine Tuchweberei, eine Bronze- und Holzschnitzmanufaktur sowie einen Juwelierladen. Abgeschlossen wird unser Einkaufsmarathon in einem kleinen Gewürzladen, wo ich 3 g Kashmir-Safran No.1 Quality, für umgerechnet 6 € einkaufe. In Deutschland hätte diese Menge und Qualität gut das fünffache gekostet, schließlich benötigt man ca. 150 Krokusblüten für 1 g Safran.


Tag 4: Di, 02.03.2010

In den Straßen liegt noch der Müll vom Holi- Fest. Bevor wir Jaipur verlassen, fahren wir zum Palast der Winde. Dieser Palast ist kein Gebäude im üblichen Sinne, es handelt sich vielmehr um eine kunstvolle Fassade. Das Bauwerk diente einzig dazu, den Haremsdamen des Maharajas den Ausblick auf die pompösen Festumzüge zu gewähren ohne selbst gesehen zu werden - ein Luftschloss mit winddurchzogenen Erkern und Balkonen, daher der Name. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite besteigen wir auf engen Treppengängen das Dach eines Hauses, von wo wir eine hervorragende Aussicht auf diese wohl meistfotografierte Fassade Indiens haben.

Der Alltag nimmt langsam wieder Fahrt auf, ganz anders unser Busfahrer, der uns mit halsbrecherischen Überholmanövern sein Können beweisen möchte. Das kann gefährlich ins Auge gehen, wie man an den vielen Autowracks am Straßenrand sieht. Aber es scheint auf der Piste irgendwie business as usual zu sein. Viele Amaturenbretter der Fahrzeuge schmückt eine Darstellung Ganeshas, als elefantenköpfige Form des Göttlichen ein Glücksbringer im Hinduismus. Ganesha ist der Legende nach der Sohn von Shiva und Parvati. Es gibt gewisse Parallelen zu Isis und Osiris in der altägyptischen Mythologie und ihrem falkenköpfigen Sohn Horus.

Nach 6 Stunden Fahrt für 230 km erreichen wir das Wildlife Resort "The Pugmark" in Khilchipur unmittelbar am Ranthambore Nationalpark. Der Name der Lodge ist auch ihr Wahrzeichen. Es ist der Abdruck einer Tigertatze. Der Ranthambore im Osten Rajasthans war früher das Jagdgebiet der Maharajas von Jaipur. Auf einer Fläche von 400 qkm leben hier Tiger, Leoparden, Hyänen, Antilopen, Wildschweine, Pythons, Kobras, Krokodile und viele andere Tierarten.

Am Nachmittag steht eine Jeep-Safari auf dem Programm. Eigentlich ist es ein umgebauter Unimog mit Pritsche und darauf montierten schmalen Sitzbänken. Die Fahrt geht durch eine teilweise bewaldete, felsige Schluchten- und Berglandschaft. Am Eingang zum Nationalpark halten wir unter einem großen Baum, in dessen Krone sich neben bunten Vögeln auch Affen niedergelassen haben. Einer dieser Kameraden erleichert seine Blase vom Baum herab auf zwei unserer Mitreisenden. Die Einheimischen pflegen solche Situationen mit Ausrufen wie "Lucky Girl !" zu kommentieren, die unmittelbar Betroffene ist aber erst einmal nur angepi....

Die Wege sind streckenweise so schlecht, dass sie nur mit dem Sperrdifferential des Allradantriebs zu bewältigen sind. Sind Sie schon mal mit dem Auto eine Treppe herunter gefahren? Das Sitzen auf den engen Bänken gerät zum Höllenritt. Leider werden wir dafür nicht vollwertig durch die Eindrücke im Nationalpark entschädigt. Außer ein paar Hirschen, Gazellen, Damwild, Affen, einem einzigen Krokodil und zahlreichen Vögeln sind keine weiteren Vertreter der landestypischen Fauna zu sehen. Die nach jüngster Zählung 38 Tiger haben offenbar heute frei... Das eine oder andere Exemplar muss aber in der Nähe gewesen sein, denn wir sehen pug marks. Schade für uns, aber das übliche Safari- Risiko.

Um 1900 soll es ca. 40.000 Tiger in Indien gegeben haben. "Noch 1.411 Tiger" ist in diesen Tagen auf den am Straßenrand aufgestellten Plakatwänden zu lesen. Das Zusammenleben von Mensch und Tiger im dichtbevölkerten Asien ist sehr kritisch. Bis heute werden von der Raubkatze jedes Jahr viele Menschen getötet und gefressen. Umgekehrt sind Tiger beliebte Opfer von Wilderern, für die neben ihrem Fell auch bestimmte Organe äußerst lukrativ sind. So wird dem getrockneten und zu Pulver zerriebenen Tigerpenis von den Asiaten eine besonders potenzsteigernde Wirkung zugesprochen. Aber seit es Viagra gibt, sollte dem Tiger von dieser Seite weniger Gefahr drohen. Die Tierschützer versuchen, geschützte Tigerreservate durch Umsiedlung der dort lebenden Menschen zu schaffen. Bis 2022 soll sich die Zahl der Raubkatzen verdoppeln - so haben es die "Tigerstaaten" im Rahmen einer Tiger- Agenda beschlossen.

Am Abend sitzen wir im Garten der Lodge zusammen. Miku erzählt von der "indischen Hochzeit". Er selbst ist 27 und wird demnächst heiraten. Nicht er, sondern seine Eltern haben seine künftige Frau ausgewählt. Er kennt die Frau nicht und wird sie auch erst anläßlich seiner Hochzeit kennenlernen. Mikus Vertrauen in seine Eltern ist grenzenlos. Sie würden ihn besser kennen als er sich selbst und wären deshalb in der Lage, genau die richtige Frau für ihn auszusuchen, meint er. Er gehört der 2. Kaste, der Kriegerkaste, an und seine künftige Lebensgefährtin natürlich auch. Anderes sei unvorstellbar. Die Scheidungsquote soll in Indien angeblich nur 2- 3 % betragen.

Dann hören wir gespannt zu bei Mikus Schilderung der mehrtägigen Hochzeitszeremonie, zu der an einzelnen Tagen mehr als 1.000 Gäste erwartet werden. Zunächst feiern Männer und Frauen und die beiden Familien von Braut und Bräutigam getrennt bis sie zu einem gemeinsamen Fest zusammenkommen. Bei der Hochzeit spielen die indischen Göttergestalten Ganesha und Hanuman (der Affengott) eine große Rolle. Zu ihren Ehren werden spezielle vegetarische Mahlzeiten gereicht, sie sollen dem jungen Paar Glück bringen. Den Hindu- Himmel bevölkern übrigens drei Millionen Götter. Wer will sich da auskennen?

Wir stellen fest, dass die indische Hochzeit mit unseren europäischen Vorstellungen nicht kompatibel ist. Dennoch können wir uns vorstellen, dass ihre besonderen Regeln hier bestimmt ihre Berechtigung haben.


Tag 5: Mi, 03.03.2010

Kurz nach 8 steigen wir am Bahnhof von Sawaimadhopur in den Expresszug Richtung Agra ein. Unser Zielbahnhof ist Bharatpur. Mein Sitznachbar im Großraumabteil ist ein indischer Student der Ingenieurwissenschaften. Während der Fahrt entwickelt sich ein angenehmes und interessantes Gespräch. Wir reden über deutsche Autos und Autobahnen, deutsches Bier ("stimmt es, dass man bei Euch so schnell fahren darf wie man will, und dass Bier in Deutschland billiger als Wasser ist?"), Indiens Sprachenvielfalt und seinen Gastprofessor aus Stuttgart. Der junge Mann ist sehr wissbegierig und steht damit wohl stellvertretend für seine Generation.

Zwei Stunden später erwartet uns am Bahnhof in Bharatpur unser Bus. Fahrer und Beifahrer waren in der Nacht mit unserem Hauptgepäck vorausgefahren, eine ausgeklügelte logistische Meisterleistung der örtlichen Agentur Holiday to Treasure, Delhi. Wir haben dadurch viel Zeit eingespart und zusätzlich das Erlebnis einer Zugfahrt in Indien genossen.

Wir fahren nach Fatehpur Sikri, einst für kurze Zeit Haupstadt des Mogulkaisers Akhbar des Großen, mit prachtvollen, gut erhaltenen Gebäuden aus rotem Sandstein. Die Sonne steht im Zenit, wir nehmen uns TucTucs, dreirädrige Mopedtaxis mit bis zu vier Sitzgelegenheiten, für den Transfer vom Parkplatz zum Eingang. Die bis heute gut erhaltene Palast- und Festungsanlage und die angrenzende große Moschee haben nur eine kurze Zeit der Blüte erlebt. Dann wurden sie von den Herrschern wieder verlassen - mangels ausreichender Wasserversorgung in der Region. Ein Rundgang vermittelt uns einen Eindruck von Pracht und Macht, die einst hier zuhause waren.

In halsbrecherischem Tempo bringen uns die TucTuc- Fahrer wieder zurück zum wartenden Bus. Hier erwartet uns Touris ein Mann mit seinem Affen, dem er einige "Kunststücke" beigebracht hat.

Auf vielen Fahrzeugen und Gebäuden findet man in Indien das bei uns politisch durch die Nazis belastete Hakenkreuzsymbol. Hier symbolisiert das als Swastika bezeichnete Hakenkreuz Sonnenaufgang, Tag, Heil, Leben, männliches Prinzip und den Gott Ganesha. Es ist ein Glückszeichen für jedes Fahrzeug und jedes Haus.

40 km weiter liegt Agra und mittendrin das Agra Fort, auch Rotes Fort genannt, die gewaltige Trutzburg Kaiser Akhbars. Mehr als 20 m hohe und 12 m dicke Doppelmauern nebst Wassergraben umschliessen auf 2,5 km die Festungsanlage. Allein der Anblick der Burg wird wohl manchen Angreifer zur Aufgabe seines Vorhabens bewegt haben. Das Rote Fort wurde über 100 Jahre lang von mehreren Herrschern errichtet, wodurch die teilweise sehr unterschiedlichen Baustile der einzelnen Palastgebäude zu erklären sind. Im 16. und 17. Jhdrt. war das Fort eine eigene, in sich abgeschlossene königliche Stadt mit Tausenden von Bediensteten. Shah Jahan, der Enkel von Akhbar, verwandelte sie in einen einzigen Traum von Luxus. Er ließ viele Sandsteingebäude seiner Vorgänger abreißen und durch neu errichtete kunstvolle Marmorbauten ersetzen, die mit Gold und Einlegearbeiten verziert wurden. Eine Hollywood- oder Bollywoodkulisse von heute soll nichts sein dagegen. Schlangenbeschwörer <c> Günter SeitzAllerdings ist so gut wie nichts mehr davon zu sehen, lediglich die Ausmaße der imperialen Architektur lassen es erahnen.

An vielen Baudenkmälern wird eine Foto- und Videogebühr kassiert, die aber sehr moderat ausfällt. Oftmals wird nur eine Gebühr von 25 Rupien, als ca. 0,40 € verlangt.

Vom Roten Fort aus ist es bereits in einiger Entfernung zu sehen, das Taj Mahal, das bekannteste Bauwerk der Welt. Millionen ausländischer und indischer Touristen strömen jährlich hierher. Auch wir sind überwältigt von der einzigartigen Schönheit dieses Mausoleums. Fotos und Videoaufnahmen können das nur annähernd vermitteln, man muss es einmal selbst gesehen haben. Shah Jahan ließ das Taj Mahal zur Erinnerung an seine geliebte Hauptfrau Mumtaz Mahal erbauen nachdem diese bei der Geburt ihres 14. Kindes verstarb. Ihr Grabmal wurde vollständig mit weißem Marmor verkleidet und gilt als harmonische Vollendung indo- islamischer Bautradition.

Am Taj Mahal muss man sich unbedingt Zeit nehmen um den Eindruck auf sich wirken zu lassen. Zudem ändert sich über den Tagesverlauf je nach Stand der Sonne die Farbschattierung des marmornen Bauwerks. Das Innere des Bauwerks ist eher spartanisch. Hier stehen die Marmorsärge des Herrschers und seiner Frau. Die Besucher drängen sich daran vorbei, jeder will einen Blick darauf erhaschen.

Fotografieren darf man dort übrigens nicht, Aufnahmen sind nur aus der Ferne gestattet. Aufgrund von Umwelteinflüssen hat sich das Taj Mahal leicht verfärbt, weshalb sämtlicher motorisierter Verkehr im Umkreis von zwei Kilometer verboten wurde. Die Touris werden mit Elektrokarren von den zentralen Parkplätzen zum Eingang befördert.

Exkurs: Ich beobachte immer wieder Inder, die offensichtlich keine Hemmungen kennen, laut in der Öffentlichkeit zu rülpsen. Miku meint dazu, es handele sich wohl um Ungebildete. Diesen Eindruck habe ich nicht, es sind durchaus auch Geschäftsleute darunter. Vielleicht ist es ein ähnliches landesspezifisches Phänomen wie die ewig schmatzenden und schlürfenden Chinesen, die wir wiederholt in den Restaurants antreffen. Allerdings ist es eine Tatsache, dass in Indien 30 % der Bevölkerung Analphabeten sind.

Nach soviel Besichtigungsprogramm an kulturhistorisch bedeutsamen Stätten freuen wir uns auf unser Hotel. Das Marina Agra soll angeblich bis vor kurzem zur Radisson- Gruppe gehört haben. Warum das nicht mehr der Fall ist, werden wir erleben. Der Service ist grottenschlecht. Im Restaurant will der Kellner für die Getränke kassieren bevor wir zuende gegessen haben, in der Bar wird uns statt eines bestellten Mojitos ein Softdrink serviert und der Keeper besteht in arroganter Marnier darauf, mit seiner Cocktail- Mischung Recht zu haben. Die Getränkekarten sind dreckig und speckig wie in einem minderwertigen Etablissement. Ein Höllenlärm auf der Straße raubt vielen von uns die Nachtruhe, die Minibar auf den Zimmern ist leer. Dieses Hotel hat seine guten Zeiten lange hinter sich. Ich kann nur davon abraten.

Tag 6: Do, 04.03.2010

Am frühen Morgen besuchen wir zunächst eine Werkstatt, in der Marmorplatten mit Intarsien aus Lapislazuli, Malachit, Topas, Onyx, Türkisstein, Tiger Eye, Perlmutt, Koralle und mehr verziert werden. Daraus entstehen dann kunstvolle Tischplatten, Kacheln, Untersetzer etc. Auch in unserer kleinen Gruppe findet sich ein Liebhaber dieser Handwerkskunst, der die Gelegenheit für einen Einkauf nutzt. Natürlich werden die Platten per internationaler Spedition nach Deutschland geliefert, fürs Bordgepäck wären sie etwas zu schwer und zu sperrig.

Im Anschluss daran besuchen wir das Mausoleum Itmad ud Daula, das mit den gleichen aufwendigen Intarsien versehen ist wie das Taj Mahal. Die Kaiserin Noor Jahan ließ es 1622 zur Erinnerung an ihren geliebten Vater erbauen. Dieses Bauwerk darf als Vorläufer des später errichteten Taj Mahal bezeichnet werden. In der umgebenden Parkanlage beobachten wir possierliche Streifenhörchen.

Indien ist der Kontinent der Märchen und es gibt viele weise und schöne Geschichten. Seit dreitausend Jahren berichten sich die Menschen dort von Göttern und anderen Helden, so von den Liebespaaren Rama und Sita, Krishna und Radha, vom Adler Garuda, der den Unsterblichkeitstrank holte, vom sprunggewaltigen Affen Hanuman und vom hochverehrten Überwinder der Hindernisse, dem Elefantengott Ganesha, um nur einige zu nennen. Miku lässt uns an diesen Märchen und Legenden des Hinduismus durch seine Erzählungen teilhaben. Der Hinduismus kennt drei wichtige Götter: Brahma, den Erschaffer, Vishnu, den Erhalter, und Shiva, den Zerstörer.

Unsere Reiseroute geht zurück nach Delhi. Aber zunächst müssen wir mit dem Bus einen Reparaturstopp an einer der zahlreichen Straßenwerkstätten einlegen. Die Bremsen haben irgendeinen Defekt. Innerhalb einer halben Stunde wird das jedoch durch die Mechaniker der Werkstatt auf einem staubigen Platz behoben. Natürlich ist unsere kleine Gruppe eine willkommene Abwechslung für die Männer und Kinder des Dorfes. In kurzer Zeit bildet sich ein Menschenauflauf, alle wollen uns besichtigen.

Wieder in Delhi, der Hauptstadt des Bundesstaates Rajastan, besuchen wir zum Lunch das sehr empfehlenswerte Essex Village Garden Restaurant, wo ich ein vorzügliches Fisch- Curry geniesse.

Jamia Masjid, die große Freitagsmoschee, ist unser erstes Nachmittagsziel. Auch diese größte Moschee Indiens wurde auf Geheiß des Großmoguls Shah Jahan errichtet. Besonderes Merkmal ist ihr 90 m x 90 m großer Innenhof, worin sich 20.000 Gläubige zum Gebet versammeln konnten. Dagegen fällt die Gebetshalle mit ihren Kuppeln und Bögen eher bescheiden aus. Wir sind dennoch beeindruckt. Die Frauen unserer Gruppe dürfen vor Betreten der Moschee gepunktete Kaftane anziehen.

Von der Freitreppe am Eingang des Moscheegeländes blickt man auf das Basarviertel von Old Delhi, das wir nun zufuß durchwandern. Die engen Gassen werden beidseitig von Läden aller Art gesäumt. Es ist auffallend, dass wir nicht von Händlern und Schleppern belästigt werden, ein großer Unterschied zu den mir bekannten Basaren des vorderen Orients. Hingegen müssen wir wiederholt hupenden Moped- und Rikschafahrern ausweichen, die tollkühn durch die engsten Lücken preschen.

Anscheinend unvermeidbar ist ein kurzer Trip zum India Gate, einer Art Triumphbogen, der an die gefallenen indischen Soldaten im 1. Weltkrieg erinnert. Er wird von bewaffneten Soldaten bewacht, die Touristen, die einen Schritt zu weit gehen, energisch mit einer Trillerpfeife zurückrufen.

Abends sind wir im Crown Plaza, dem nach üblicher Standardisierung besten Hotel unserer Rundreise. Wir geniessen den Luxus und das hervorragende Dinner- und Frühstücksbuffet dieses Hotels.

Weiter gehts zu Teil 2 der Reise: Nordwestbengalen - Sikkim - Assam - Kolkata


*Maps courtesy of www.theodora.com/maps used with permission.
Fotos: *² <c> Rüdiger Bromm, *³ <c> Marion Maul, Günter Seitz

Hier gibt es Teil 1 des Reiseberichts als PDF zum Ausdrucken.



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Meine Reiseliteratur- Empfehlungen für Nordindien findet Ihr am Ende von Teil 2 des Reiseberichts.

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